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Helga Schwarz Als im November 1938 die emigrierten deutschen Schriftsteller in Paris mit einer Festwoche das fünfjährige Bestehen ihres Schutzverbandes im Exil feierten, welches mit dem dreißigjährigen Bestehen des Verbandes zusammenfiel, war auch Maria Leitner als langjähriges Mitglied unter den Teilnehmern. Ihr damals für die Zeitschrift Internationale Literatur (Moskau) verfaßter Bericht gleicht einer Bestandsaufnahme und ist ein aufschlußreiches Zeitdokument geblieben. Maria Leitner selbst aber war auch hier die unauffällige, bescheidene Beobachterin im Hintergrund. Die Wirren eines wiederholten Exils und langer Lebensabschnitte illegaler antifaschistischer Arbeit machten außerdem die Privatsphäre Maria Leitners schwer zugänglich. Ihre seit den achtziger Jahren neu erschlossenen Arbeiten aber offenbaren Lebensspuren, Bekenntnisse und Standpunkte, die sich mosaikartig zum Bild einer bemerkenswerten Frau fügen. Die Schaffensbilanz der 1882 im damals ungarischen VaraZdin geborenen, in Österreich-Ungarn aufgewachsenen und ab Anfang der 20er Jahre in Berlin lebenden Autorin ist vielseitig und stets sozialkritisch: z.B. das Reportagebuch Eine Frau reist durch die Welt (1932), der Roman Hotel Amerika (1930), die Novelle Sandkorn im Sturm, Tibetanische Märchen, sowie Reportagen, Erzählungen, Kommentare und Berichte u.a., die im Ullstein-Magazin Uhu, in Der Weg der Frau und in Arbeiter Illustrierte Zeitung (AlZ) veröffentlicht werden. Nach 1933 erscheinen von ihr vor allem detailgenaue Berichte über Nazideutschland in Exilpublikationen. Als Korrespondentin hatte Maria Leitner bereits während des Ersten Weltkrieges journalistische Erfahrungen erworben, aber weil sie in den stürmischen Monaten der ungarischen Revolution 1919 zur Kommunistin wurde, mußte sie nach dem Sieg der Konterrevolution emigrieren. Sie ging über Wien nach Berlin und arbeitete zunächst im Verlag der Jugendinternationale, später vor allem für verschiedene Zeitungen des sogenannten MünzenbergKonzerns, aber auch 1924-28 für den Ullstein-Verlag als Reporterin in Amerika. Den Frauenproblemen widmete sie dabei stets besondere Aufmerksamkeit. Maria Leitner wurde durch ihre keineswegs alltägliche sozialkritische Sicht einem breiten, vor allem proletarischen Publikum, zum Begriff und gleichzeitig zum weiblichen Gegenpol des Rasenden Reporters Egon Erwin Kirsch. Anna Seghers, die sie schon lange vor 1933 gut gekannt hatte, bezeichnete sie als „‚begabte Schriftstellerin und als gute tapfere Reporterin“. Für Oskar Maria Graf war sie ‚eine sehr aktive, antifaschistische Schriftstellerin ... eine der mutigsten und bescheidensten Frauen ...“ Auch am sogenannten Saarkampf gegen eine Angliederung des Saargebietes an das Dritte Reich hat sie sich vor Ort beteiligt. Maria Leitner wurde wiederholt im Biiro der Roten Hilfe gesehen, hatte aber journalistische Kontakte zum Kreis um Hubertus Prinz zu Löwenstein, der später durch die von ihm in den USA gegründete Hilfsorganisation American Guild ihr in größter Not zu helfen versuchte. Als die Nazis Andersdenkende bereits mit Mord und Terror verfolgten, erschienen 1933 noch ihr antikolonialistischer Roman Wehr dich, Akato (AIZ) und die sozialkritische Serie Frauen im Sturm der Zeit (Welt am Abend). Ihr Roman Hotel Amerika kam dann allerdings gleich auf die „Liste 1 des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ der Reichsschrifttumskammer. Nur durch eine „‚Auslandsreise“ wider Willen konnte sich Maria Leitner vorübergehend retten: Prag, Paris, Forbach, Internierungslager Gurs, Toulouse und Marseille waren nachweisbar Stationen ihres Exils. Während dieser Jahre schrieb sie, besonders für „Pariser Tageszeitung“ und ,,Das Wort‘, noch heute bemerkenswerte Reportagen über die Zustände in Hitlerdeutschland, u.a. über die Entwicklung von Giftgas bei IG-Farben oder einen — illegalen — Besuch bei Heinrich Heine. Ihr Roman Elisabeth, ein Hitlermädchen (in: Pariser Ta- | geszeitung, 1937, Nr. 315-367) war einer der ersten Versuche in der Exilliteratur überhaupt, die Situation der Jugend in Deutschland von innen her aufzuschließen, die Wirkung der NS-Demagogie auf Gemeinschaftserlebnisse zu zeigen, in einer Geschichte vom alltäglichen Faschismus, in die authentisches Material (Lieder, Verfügungen, Zeitungsartikel) eingearbeitet ist. In den Jahren ihres unfreiwilligen Exils litt Maria Leitner unsäglich unter materieller Not, die auch durch gelegentliche Zuwendungen von der American Guild nicht wesentlich gelindert werden konnte. Vermutlich wurde Maria Leitners Situation zusätzlich kompliziert durch eine verstärkte Distanz zu den Kommunisten, zumal sie schon seit Anfang der 20er Jahre persönlichen Kontakt zu Willi Münzenberg hatte. Trotz widrigster Lebensumstände versuchte sie zu arbeiten und zu veröffentlichen. Sie schrieb in Paris an einem Roman über ihre Kindheit und Jugend in der k. u. k. Monarchie und verfaßte beispielsweise auch ein Filmmanuskript über Bertha von Suttner, welches in den USA ein Copyright erhielt, jedoch noch immer verschollen ist. Auch während Maria Leitners Internierung im Camp de Gurs und der Flucht von dort nach Marseille gingen wichtige Manuskripte verloren. Maria Leitner bemühte sich intensiv um ein Visum für die USA — jedoch leider erfolglos trotz nachweisbarer Unterstützung durch Hilfsorganisationen. Wie aus einem ihrer letzten Briefe hervorgeht, war sie von den amerikanischen Einwanderungsbehörden als Ungarin geführt —- und damit angeblich weniger gefährdet. Im Frühjahr 1942 wurde sie nochmals im Büro des Hilfskomitees von Varian Fry in Marseille gesehen: eine völlig verzweifelte Frau, die dringend ärztlicher Hilfe bedurfte. Danach verlieren sich ihre Spuren. Die Nachforschungen zum Schicksal Maria Leitners aber gehen weiter... Helga Schwarz, geboren 1938 in Chemnitz, studierte Maschinenbau und Elektrotechnik und war als Ingenieurin tätig; dann Tätigkeit auf den Gebieten der Wirtschaftspublizistik und der Kulturpolitik. Ab Mitte der 1960er Jahre freiberuflich publizistisch tätig, Verfasserin und Herausgeberin mehrerer Bücher: Biographien, verbunden mit Themen der Arbeiter- und Frauenbewegung sowie mit der Exilthematik (u.a. über Maria Leitner, Lene Radö-Jansen, Frida Rubiner, Karl Liebknecht und das KZ Ravensbrück). Helga Schwarz lebt in Bonn. 27