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Beppo Beyerl Vor 70 Jahren am Isonzo Im März 1924 beschloß das Studentenpack der Wiener Universität zu demonstrieren, nachdem es mit zu wenig Leichen beliefert würde. Also Leute verreckt, auf daß bestialische Jüngelchen Arbeit haben. Und ihr alle, denen ein lieber Todesengel eine bittre Gnade erfleht, laßt Euch von diesen literarischen Tuberkeln zerfressen. Bezeichnend für diese Metzger ist, um nur einen dieser Raubmörder zu zitieren: Prof. Dr. Jul. Meyer, Major d.R. a.D.: ‚Auch der Gaskampf ist ein Ruhmesblatt der deutschen Wissenschaft, des deutschen Volkes in gewaltiger Zeit.“ Jakob Haringer, 1929 In der österreichischen Geschichtsschreibung wird es als ,, Wunder von Karfreit“ bezeichnet, manche Militärhistoriker treiben die Etymologie auf die Spitze und würdigen das „KarfreitagWunder“, obwohl es sich in den Morgenstunden des 24. Oktober 1917 ereignete. Und der slowenische Ort Kobarid kann ja wirklich nichts dafür, daß er auf italienisch zwar unverfänglich Caporetto, auf deutsch hingegen Karfreit heißt. Zu alledem hat sich das Wunder gar nicht in Karfreit, sondern in Bovec/Flitsch/Plezzo zugetragen. Dort - in Bovec/Flitsch - bildeten nach der 11. Isonzoschlacht die Truppen der 2. Italienischen Armee einen schier uneinnehmbaren Sperriegel durch die Sohle des Socatales/Isonzotales. Doch am 24. Oktober durchbrachen die österreichisch-deutschen V erbände des 1. Korps der 14. Armee in einem wunderbaren Furioso den Verteidigungsriegel der Gegner. Der nun einsetzende rasante Sturmlauf der sowohl im Tale als auch über die Berge angreifenden 14. Armee konnte erst am 12. November am Ufer des Flusses Piave gestoppt werden. In der Zwischenzeit ließ sich der Oberste Kriegsherr Karl in seiner Staatskarosse in Siegerpose durch das von Italienern restlos gesäuberte Socatal (Isonzotal) führen. Beeindruckt heftete er in Kobarid/Karfreit dem Kommandanten des 1. Korps, General Alfred von Krauss, den nächsten Orden auf die stolzgeschwellte Brust. Diesem Obersten Kriegsherrn Karl gelten seit Jahren die Bemühungen einer kleinen Gruppe unentwegter Aktivisten um den monarchistischen Altbischof Hermann Groér, die eine Seligsprechung ihres Idols im Vatikan anstreben. 50.000 Bittbriefe sollen dort eingelangt sein, 2000 „Nachrichten um Gebetserhöhung“ liegen vor, die literarische Seligsprechung erfolgte bereits in der Biographie ‚‚Karl I. - ein Kaiser sucht den Frieden“, in der der Autor Heinz von Lichem bekennt: ‚,... daß das Böse per se versucht hat, sein Wirken zu bekämpfen. Aber er, Karl, Diener Gottes und letzter Kaiser von Österreich, hat diesem Bösen, diesen Kräften der Hölle widerstanden, ließ sich vom Bösen nicht korrumpieren ... und starb in Frieden mit seinem Gott.“ Für die offizielle Seligsprechung durch den Vatikan ist allerdings laut Regolamento der „Heiligen Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse“ mehr als ein lobhudelndes Buch erforderlich: ,,Fiir die Seligsprechung ist ein ordnungsgemäß bewiesenes Wunder notwendig.“ Also — wie wär’s mit dem Wunder von Karfreit? Immerhin brachten mehrere Autoren — unter anderem der katholische Priester und Publizist Rudolf Schermann (Zeitschrift „‚Kirche Intern“ ) sowie der slowenische Arzt und Historiker Vasja Klavora (,‚Blaukreuz — die Isonzofront Flitsch/Bovec 1915-1917“ im Klagenfurter Hermagoras-Mohorjeva Verlag) Licht in die bisweilen unerforschte und geheimnisvolle Konsistenz eines Wunders. Die teils in den Fels eingehauenen und teils mit Beton überdeckten Stellungen der Italiener galten tatsächlich als uneinnehmbar. Da mußte schon eine Wunderwaffe her, die bis dato im Kriegsverlauf noch nie flächendeckend eingesetzt wurde, die völlig neu war für die mit konventionellen Kriegsmaterialien vertrauten Infanteristen und Artilleristen, und deren verheerende Auswirkungen weder von Feind noch von Freund richtig eingeschätzt werden konnten: Giftgas. 111.000 Gasgranaten setzten die deutsch-österreichischen Verbände ein, schrieben slowenische Historiker, andere kamen auf nur 89.000 Gasgranaten, wieder andere auf 68.100. Die Gasgranaten wurden ergänzt durch die 894 in den Boden eingegrabenen Minen-Gaswerfer eines deutschen Gaswerferbataillons, von den ursprünglich geplanten 1000 Gaswerfern sind mehr als 100 beim aufwendigen Transport beschädigt worden. Als „Gaswerfer“ wurden nicht die bedienenden Mannschaften, sondern die Minen schleudernden Apparaturen bezeichnet: „Die Mine, eigentlich ein einfacher Metallbehälter, der oberhalb mit einem Zünder und explosivem Material ausgerüstet war, wurde mit 12 bis 15 Liter Phosgen bzw. Di-Phosgen unter Druck gefüllt. Sie wurde mit Hilfe einer elektrisch gezündeten explosiven Ladung abgeschossen. So konnte eine größere Zahl von Minen gleichzeitig abgefeuert werden“, soweit Vasja Klavora. Auf Granaten und Minen waren blaue und grüne Kreuze gepinselt. Die „‚Blaukreuze‘“ enthielten den Reizstoff Dipheny]chlorarcin, der über Reizungen der Schleimhäute zu Niesen, Husten und Erbrechen führte. Die ‚‚Grünkreuze‘“ waren mit Phosgen-Gasen gefüllt, die absolut tödlich wirkten. Angeblich sollen auch „‚Gelbkreuze“ verwendet worden sein, doch fehlen genaue Angaben über Einsatz und Zusammensetzung des betreffenden Giftgases. Beim Angriff wurde zuerst der Reizstoff „‚Blaukreuz“ abgefeuert, der die Italiener zum Herunterreißen ihrer Gasmasken zwang. Das danach abgeschossene ‚‚Grünkreuz“ wirkte schon in kleinster Dosis tödlich. Am 24, Oktober des Jahres 1917 begann die 12. Isonzoschlacht um zwei Uhr früh mit dem Befehl „Feuer“. Vielleicht glaubten die einfachen Soldaten, daß sie ihre gewohnten Granaten abfeuerten, auf die zwecks Unterscheidbarkeit ein blaues oder ein grünes Kreuz gemalt war. Wahrscheinlich hatte keiner von ihnen in seinem bisherigen Kriegsleben irgendetwas gehört von Stoffen wie Phosgen oder Di-Phosgen. Sicher wußte niemand, daß der Einsatz dieser Giftgase in der Haager Konvention verboten war, und unter „Haager Landkriegsordnung, HLKO, 2. Abschnitt“ hätte jeder nur ,,Bahnhof* verstanden. An die 100.000 Gasgranten, dazu 900 stetig feuernde Minenwerfer — die Wunderwaffen hielten, was die Heeresleitung sich von ihnen versprach. Vier Stunden lang — von zwei bis sechs Uhr — prasselten die Granaten und die Minen auf die gegenüberliegenden Kavernen und Erdlöcher. Die Italiener wurden im wahrsten Sinn des Wortes im Schlaf überrascht: Sie erstickten in den Unterständen und in den Schützengräben; manche schafften es nicht mehr, ihre noch dazu untauglichen Gasmasken aufzusetzen; wer sie aufsetzte, riß sie in Todesangst wieder hinunter; wer sie nicht herunterriß, erstickte trotzdem, da das Giftgas Phosgen mühelos durch die schwa33