OCR
Bürgern der Stadt Gmünd den Nazis ausgeliefert. Kreisleiter Lukas und sein Kollege Binder erfanden immer neue Bestrafungen für die gefaßten Delinquenten. So wurden sie nackt an Holzpfähle gebunden, die Folgen sind bei den arktischen Waldviertler Winternächten nicht ausgeblieben. Ab und zu schickten die Nazis den Amtsarzt Dr. Artur Lanc in den Getreidespeicher, um die sanitären Verhältnisse zu kontrollieren. Dr. Lanc lebte hochbetagt in Gmünd, als er mir erzählte: , Viele haben Ruhr gehabt. Die Latrinen befanden sich außerhalb des Lagers, doch manche waren zu schwach, um hinauszugehen. Sie lagen mitten in ihren eigenen Exkrementen.“ Kurz nach dem Interview ist Dr. Lanc gestorben. Pro Tag starben 10 bis 15 Juden, in den 65 Tagen ihrer Lagerhaltung starben insgesamt 485 Juden. Die Nazis unter dem Kreisleiter Lukas bemühten sich nicht einmal, die toten Juden vor der Zivilbevölkerung zu verstecken. Sie wurden auf einen Pferdewagen geworfen und durch die Stadt zum Friedhof in Gmünd III, dem heutigen Ceske Velenite, gekarrt. Angesichts dieser Leichentransporte müßte auch dem bis dahin zweifelnden Zeitgenossen klar geworden sein, daß sich buchstäblich vor seiner Haustüre, auf der anderen Seite der Bahntrasse, eine unerhörte Tragödie abspielte. Wer hier nicht draufging, dem blieb Besseres erspart. Am 16.2. 1945 wurden die noch lebenden Juden wieder in Viehwaggons getrieben und ins KZ nach Theresienstadt, dem heutigen TereZin, verfrachtet. Keiner von ihnen hat das Lager lebend verlassen. Drei der ungarischen Juden konnten dem von den Nazis vorgesehenen Schicksal entrinnen. Ihnen hat der Amtsarzt Dr. Artur Lanc das Leben gerettet. Und das kam so: Der im Lager der Kartoffel AG eingepferchte jüdische Arzt Dr. Schneider wurde von den Nazis zum Gmündner Arzt geschickt, um eine Venenpunktionsnadel zu holen. Dr. Lanc erinnert sich: „Ich habe ihn gleich in ein Hinterzimmer geführt und gefragt: Herr Kollege, brauchen sie was? Er war ganz baff, daß ihn jemand mit Kollege anspricht und hat nach einer Zigarette verlangt. Ich habe im ganzen Haus gesucht, bis ich endlich eine gefunden habe.“ Von diesem Zeitpunkt an entstand zwischen den beiden Ärzten eine Atmosphäre des Vertrauens. Dr. Fischer besuchte jeden Freitag seinen arischen Kollegen. Offizieller Grund: Bericht über die sanitären Zustände im Lager. Inoffiziell versorgte ihn Frau Maria Lanc mit Speis und Trank, Artur Lanc mit Tierkohletabletten gegen die Ruhr. Der jüdische Arzt erzählte Details über sein Schicksal und das seiner Glaubensgenossen. Eines Tages trat Dr. Schneider an seinen Kollegen mit der Bitte heran: ‚„‚Retten sie mich!“ — Dr. Lanc erarbeitete einen Plan: ,,Der Zeitpunkt war klar, es mußte in der letzten Nacht vor dem Abtransport der Juden passieren, das genaue Datum des Abtransportes konnte ich leicht erfahren. Das Codewort lautete Varizellen, das ist die lateinische Bezeichnung für Feuchtblattern“. In den Fluchtplan wurden noch zwei weitere Häftlinge einbezogen: Ein Budapester Rechtsanwalt sowie eine Krankenpflegerin. Am 15. Feber war es soweit: Über Mittelsmänner wurde „, Varizellen“ ausgerichtet. Wie vereinbart schlugen sich die drei zum Jungwald Richtung Albrechts durch, verfehlten aber den dort wartenden Amtstierarzt von Gmünd. Die Flüchtlinge schlichen in die Stadt und läuteten Dr. Lanc aus dem Bett heraus. Als neuer Treff wurde eine Garage vereinbart. ‚Ich bin sicher, daß uns irgendwer gesehen hat“, erinnert sich Dr. Lanc über die riskanten Momente. „Aber es ist nichts passiert.“ 36 Im Morgengrauen wurden die Lagerflüchtlinge nach Hoheneich gebracht, eine kleine Gemeinde südlich von Gmünd. Dort versteckte sie der Gerbermeister Weißensteiner im Dachgeschoß seines Neubaus. Die drei Juden waren nicht alleine: Sie teilten das Dachgeschoß mit einem katholischen Priester, dem Bruder des Gerbermeisters. Dieser hatte als Kaplan in der Wiener Votivkirche gewirkt, war verhaftet worden, hatte jedoch fliehen und sich bis zum Haus seines Bruders durchschlagen können. Im Dachgeschoß des Gerbers Weißensteiner blieben die vier bis zur Befreiung durch die Rote Armee am 9. Mai 1945. Vor dem Getreidespeicher steht eine kleine Gedenktafel: „Hier starben in der Zeit vom 22.12. 1944 — 16.2. 1945 485 politisch und rassisch V erfolgte.“ Der Speicher gehört nach wie vor der Firma Agrana. Weiter westlich, wo heute noch die Gebeine der verhungerten Ruthenen verscharrt sind, verkünden rote Buchstaben auf weißem Marmor: „Zur Erinnerung an die hier beerdigten 30.000 Flüchtlinge des 1. Weltkriegs.“ Zwischen den beiden Gedenktafeln steht am Gelände des ehemaligen Lagers die riesige Kartoffelfabrik. Auf den Halden türmen sich die Knollen, ein paar sind herabgekollert und liegen auf der Straße vor der Fabrik. Ich bücke mich und stecke eine Kartoffel in meine Jackentasche. Harald-Maria Höfinger leopold hödl verblendete jugend kroch an die front, wo eisen und feuer die leiber zerfleischten. bald siebzig schon schwang der bauer die sense zur mahd an sohnes statt. die frucht wogte schwer. am kuban im kaukasus hinter dem haus kommt die reue zu spät, die kugel so rasch, mit dreiundzwanzig. geschundene jahre verzweifeln am acker, wo die scholle beim eggen zu krümel zerfällt. zwei lichter aus wachs, das gehöft verwaist und die tränen der frauen ein salziger fluß.