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Gerhard Scheit Heldenplatz Der Privatgelehrte und Schriftsteller Franz Josef Murau entschließt sich in Thomas Bernhards Auslöschung, das verhaßte Erbe seiner Eltern auszulöschen: ‚„‚Wolfsegg“ — der wie eine Beschwörungsformel und Verwünschung wiederholte Name des Schlosses und Ortes, aus dem Murau stammt — steht vor allem für die Kontinuität in der österreichischen Gesellschaft: der Vater Muraus hat mit den Naziverbrechern ‚‚nach dem Kriege [...] den innigsten Kontakt gepflegt“, ‚obwohl er gewußt hat, daß es sich um Denunzierer und Mörder handelt; in diesem Bewußtsein hat er ihnen Unterschlupf gewährt, sie mit Lebensmitteln versorgt [...]” \ Und über all dem lag das große Schweigen: „Das Schweigen unseres Volkes über diese tausende und zehntausende Verbrechen ist von allen diesen Verbrechen das größte, sagte ich zu den Schwestern. Das Schweigen dieses Volkes ist das Unheimliche, sagte ich.” Thomas Bemhards letztes großes Prosawerk erschien im Jahr der Waldheim-Wahl; im selben Jahr gelang es auch Jörg Haider, die Spitze der FPÖ zu erklimmen. „‚In der Auslöschung sind die Österreicher die Henker. Murau weiß noch mehr: daß nämlich erst mit der Tilgung seiner eigenen Komplizität die — wie auch immer virtuelle - Chance gegeben sein wird zur Erschaffung einer ‚neuen Welt““.? Dennoch sicht Irene HeidelbergerLeonard, die dies erkannt hat, Bemhard letztlich scheitern — wobei sie vom Schluß des Romans ausgeht: Murau übergibt das materielle Erbe seiner Eltern, jenes Schloß Wolfsegg, als völlig bedingungsloses Geschenk der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien. Bernhards Schlußwendung erscheint wie eine Idealisierung von sogenannten: „Wiedergutmachungs” - und Entschädigungszahlungen an die Uberlebenden und die Angehörigen der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus. Irene Heidelberger-Leonard kritisiert in ihrem bemerkenswerten Essay, der fast als einziger der allgemeinen Apologie Bernhards im Literaturbetrieb widerspricht, Muraus Schenkung als schlechte ‚politische Lösung“, als fadenscheinige Versöhnung der ,,.Menschheitsgeschichte “, als ,, Versuch [...] sich auf materiellem Wege ein gutes Gewissen einzuhandeln, ja, eine ‘Buße’ zu erkaufen, als ginge es um einen Geschäftsakt [...]“. Was vom deutschen Feuilleton und von deutscher Germanistik als „‚großzügige symbolische Geste“ wohlwollend aufgenommen wird, empfindet die Kritikerin als eine ,,Beleidigung, wenn nicht gar eine Verhöhnung derjüdischen Opfer“ .* Von diesem „Deus ex machina“, diesem ,,mechanischen HappyEnd“ aus kritisiert sie auch die von Anfang an spiirbare philosemitische Zeichnung der Figur des Juden Eisenberg, die ,,dem offen antisemitischen Judenbild sicher eher nolens als volens wenig“ nachstehe.° Aber in der Welt dieser Prosa ist Wolfsegg eben mehr als nur ein materieller Wert: es ist eine Metapher für die Komplizität mit den Tätern — eine Metapher, die sich gleichsam verselbständigt und darin erstarrt, und das Problem des Werks und seiner Schlußwendung liegt letztlich in dieser Allegorisierung. Bemhard braucht sie, um nicht von dem zu sprechen und über das nachzudenken, was er mit dem geradezu naiven Gebrauch der Begriffe Volk — „unser Volk“, „österreichisches Volk“ - und „Vaterland“ offenkundig retten möchte. Und hier hebt inmitten der Negativität, die Bemhard mit seiner Wolfsegg-Metapher inszeniert, ein seltsamer Patriotismus an: Was von Murau beklagt wird, ist „diese nationalsozialistische und pseudosozialistische Zerstörung und Vemichtung unseres österreichischen Vaterlandes“ , „‚dieses um alles betrogene österreichische Volk, dem in den letzten Jahrhunderten auf die infamste Weise der Verstand ausgetrieben worden ist”®; ,,wir lieben dieses Land, aber wir hassen diesen Staat”. Tatsächlich fokussiert Bernhards Murau seinen Haß auf die Repräsentanten dieses Staats, die Politiker, die das „Volk“ verdorben hätten. (In ganz ähnlicher Weise ist auch immer wieder vom Verbrechen derMütteran den Neugeborenen die Rede.) Vaterland und Volk aber müssen irgendwann heil, gleichsam unschuldig wie Neugeborene, gewesen sein, denn Bernhard, derimmerübertreibt, legt Murau keineswegs Worte in den Mund wie: schon immer waren dieses Volk, diese Österreicher, dieser Staat, so wie sie jetzt sind. Er denkt in bestimmter Hinsicht historisch — und so entgehtihm auch nicht der Unterschied zwischen deutschem und italienischem Faschismus: ‚‚Der Nationalsozialismus ist das größte österreichische Übel neben dem Katholizismus, dachte ich, wie es der Faschismus in Italien ist neben dem Katholizismus. Aber in Italien ist doch alles anders, die Italiener haben sich bis jetzt weder vom Faschismus, noch vom Katholizismus auffressen lassen, im Gegensatz zu den Österreicher, die von diesen beiden Übeln längst aufgefressen sind.”® Fürdie Schlußlösung des Buchs spricht allerdings, daß Murau vom Erbe seinerEltern sich nicht einfach reinigt, um unbescholten und unbelastet weiterleben zu können — ganz im Sinne der Politiker und Manager, die nach den Zahlungen an die Überlebenden und die Nachkommen der Opfer zur Geschäftsordnung übergehen wollen. (Das Werk müßte sonst auch ‚Reinigung’ und nicht ,Ausléschung’ heißen.) Ganz im Gegenteil: Murau zeıstört sich selbst — und das Schreiben ist diese Selbstauslöschung: ‚Tatsächlich bin ich dabei, Wolfsegg und die Meinigen auseinanderzunehmen und zu zersetzen, sie zu vernichten, auszulöschen und nehme mich dabei selbst auseinander, zersetze mich, vernichte mich, lösche mich aus” .° Und mit dem Ende seines Berichts stirbt folgerichtig auch sein Autor. Bernhard ahnt etwas vom beleidigenden Charakter der Schenkung, von der Unmöglichkeit, den Opfern etwas zurück zugeben — und sieht sich förmlich gezwungen, diese Schuld mit der inszenierten Selbstzerstörung seines epischen Subjekts zu sühnen. „Aber es ist mir immer klar gewesen, und in der letzten Zeit noch klarer geworden, daß dieser Bericht von mir gemacht werden muß, daß ich mich einem solchen Bericht über Wolfsegg nicht entziehen kann, was ich auch dagegen habe, ich werde ihn eines Tages machen müssen.” Nach dieser Auslöschung muß der Autor Thomas Bemhard, will er weiterschreiben, für sein Subjekt nach einer neuen Identität suchen — und er findet sie im Judentum. Murau wird zu Eisenberg — das Judentum zum Sprachrohr Muraus. Der Ort dieses Identitätswechsels ist naturgemäß das Theater: Heldenplatz, Bemhards letztes Stück, zwei Jahre nach der Auslöschung zur Uraufführung gebracht, macht eine jüdische Familie zur Antithese von Wolfsegg. Statt der philosemitischen Zeichnung, die bei Eisenberg dominiert, nehmen die Bühnengestalten die Physiognomie von Bemhards monomanisch monologisierendem Super-Subjckt an. Die Familie gruppiert sich dabei um das Grab eines Physik-Professors, der 1938 emigrieren mußte und, ins Land zurückgekehrt, Selbstmord begangen hat, kurz bevor er das Land zum zweiten Mal verlassen hätte: ‚in Österreich Jude zu sein bedeutet immer/zum Tode verurteilt zu sein / die Leute mögen schreiben und reden was sie wollen / der Judenhaß ist die reinste die absolut unverfälschte Natur des Österreichers.”'' Diese Natur aber bleibt unbegriffen — und wird gerade darum zur Natur erklärt. Der Vorgang, der die Individuen zu Antisemiten macht, erstarrt bei Bernhard zur geschichtslosen Identität. Das Resultat löscht sein Gewordensein aus. Die späte Identifikation mit dem Judentum im letzten Theaterstück und die Allegorisierung Wolfseggs im letzten großen Prosawerk haben denselben Effekt: Selbstreflexion zu verhindern. Murau trennt sich zwar nach dem Tod der Eltern von Wolfsegg, bewahrt aber seine Identität, seine Vorstellungen vom ,,betrogenen Volk“ und „‚geliebten Vaterland“. Ähnlich wie angesichts der geleisteten und noch zu leistenden Entschädigungszahlungen weiterhin beharrlich darüber geschwiegen wird, daß der Reichtum des Wirtschaftwunders in toto auf dem Massenmord an den Juden aufgebaut worden ist, nicht nur einzelne ,,Arisierer und Zwangsarbeits-Profiteure oder bestimmte Schichten ihren Nutzen 41