OCR
„Kaspar Brandhofer“ als Herr von Dorsday Eifer perfektionierte der sich nunmehr Lionel Royce Nennende seine Englischkenntnisse, bevor er in einem historischen Ausstattungsfilm als Kleindarsteller vor die Kamera trat. Die drohende Kriegsgefahr veranlaßte Hollywood zur erhöhten Produktion von Antinazi-Filmen, bei denen der Typ des „‚bösen Deutschen “ mit entsprechendem Akzent gefragt war. Lionel Royce konnte sich in diesem Rollenfach profilieren. Inzwischen war auch bekanntgeworden, wie er die Nazis hereingelegt hatte. Er holte seine Kinder und seinen jüngeren Bruder nach Amerika und engagierte sich in der deutschen Emigrantenszene mit zahlreichen Bekannten aus seiner Berliner Zeit, vorallem im ,,GermanJewish Club“, dessen Präsident von 1940-1943 Leopold Jessner war. Es gelang jedoch nicht, das amerikanische Publikum für ein europäisches Theater zu begeistern. Mit kleinen und mittleren Rollen in wenig bedeutenden Filmen blieb er auf die Rolle des Bösewichts festgelegt. Nach Kriegsende war es auch damit vorbei. Zusammen mit anderen Exilanten machte sich Lionel Royce Gedanken über den Wiederaufbau des deutschen Theaters und beriet die amerikanischen Kulturoffiziere mit Repertoirevorschlägen. Im Frühjahr 1946 nahm er ein Engagement fiir eine Pazifik-Tournée im Rahmen der US-Truppenbetreuung an, obwohl ihn sein Arzt wegen eines Herzleidens gewarnt hatte. Lionel Royce starb am 1. April 1946 in Manila. Susanne Gföller Hilde Haider Pregler: Überlebenstheater: Der Schauspieler Leo Reuss. Mitarbeit: Isabella Suppanz. Wien: Holzhausen 1998. 321 $., 28 Abb. (Man vergleiche die in MdZ Nr. 1/1991, S. 19f., gegebene Darstellung einer Zeitzeugin— Gerda Hoffers Aufsatz ‚Kleider machen Leute“. Er erschien zu Reuss’ 100. Geburtstag. Die Legende vom jüdischen Schauspieler, der den ,, Tiroler Bergbauern“ mimt, bestimmt übrigens auch noch den relativen Wert oder Unwert ihrer Zerstörung. — Red.) Roths Morgenstern Er war ein freiwilliger Flüchtling von Anbeginn. Vielleicht weil sein Vater einer war, war es in seinem Blut. Er flüchtete erst vor seiner Familie. Der Krieg trieb ihn von seinem Studium weg, zu dem er nicht zurückkehrte. Wien verließ er, weil er hier keine Chance für sein Weiterkommen sah. Soma Morgenstern über Joseph Roths Flucht und Ende. Joseph Roth hat der Nachwelt keine Autobiographie hinterlassen, doch wenn er es getan hätte, so wäre sie der Gipfelpunkt seiner Mythomanie und grenzenlosen Selbststilisierung gewesen. Eine glückliche Fügung stellte ihm den ihm in lebenslanger Freundschaft verbundenen Soma Morgenstern zur Seite. Lange Jahre war dieser gerade noch einem kleinen Kreis von Literaturwissenschaftlern bekannt, und auch dies weniger als Beschwörer der untergegangenen ostjüdischen Welt, sondern eben als Begleiter von Joseph Roth. Kennengelernt hatten sich die beiden Galizier als Studenten in Wien, wobei Morgenstern es zum Dr.jur. brachte. Als Feuilletonist der ‚Frankfurter Zeitung“ war wiederum Roth der erfolgreichere, denn Morgenstern mangelte es an Betriebsamkeit und Willen zum Erfolg. Schließlich im Exil in Paris lebten sie im Hotel de la Poste Tür an Tür, und mehr als einmal war es Soma Morgenstern, der den betrunkenen Joseph Roth bettete. Der erste Hälfte des Buches enthält Rekonstruktionen der geistigen Höhenflüge ihrer gemeinsamen Jugend: Diskussionen über Karl Kraus und Sigmund Freud, Begegnungen mit Alban Berg, Robert Musil und Roths stillem Gönner Stefan Zweig, mit zahllosen Journalisten und Schriftstellern, immer wieder mit Karl Tschuppik und Hugo Schulz, der als Roths Lehrmeister in der niederen Kunst des Saufens „geoutet“ wird. Der Leser entdeckt eine Vielzahl kraftvoller Anekdoten über zeitgenössische Schriftsteller und Joumalisten, welche selbst die ,,Tante Jolesch“ etwas klapprig erscheinen lassen. (Zum Unglück leidet die vorliegende Taschenbuchausgabe jedoch an Ermangelung eines Personenregisters.) Gegen Ende wird das Buch zur „Chronik eines schleichenden Suizides“. Voll Pietät und Behutsamkeit, ohne die Konflikte zu verschwiegen, ersteht ein Bild von Roths gequälter Seele, die im Rausch Erfüllung und Inspiration sucht und sich immer tiefer in die Vergangenheit wühlt, auch Momente der Wahrheit erlebt: War es denn Wut oder Weisheit, in einem Pariser Restaurant in voller Lautstärke den anwesenden Pierre Laval einen „sehr schlechten Minister“ zu heißen, und dies die eigene Urteilskraft untermauernd in Berufung auf die Autorität, ein „guter Schriftstellers“ zu sein? Soma Morgenstern präsentiert sich als scharfsinniger Beobachter und Psychologe sowie als charmanter Erzähler. Herausgegeben von Ingolf Schulte, war die sorgfältige Edition von Morgensterns Gesamtwerk im Zu Klampen-Verlag vor einigen Jahren eine sensationelle Entdeckung. Es bleibt zu hoffen, daß der Aufbau-Taschenbuchverlag mehr aus dem umfangreichen Oeuvre folgen läßt, damit Morgenstern nicht wieder auf Roth reduziert bleibt. Marcus Patka Soma Morgenstern: Joseph Roths Flucht und Ende. Erinnerungen. Mit einem Nachwort von Ingolf Schulte. Berlin: Aufbau Taschenbuch Verlag 1998. 330 S. Eine Biographie des Soziologen Ernst Manheim Die Grazer Journalistin Elisabeth Welzig schrieb ein Buch tiber ihren Onkel, den 1900 in Budapest geborenen, 1934 aus Deutschland emigrierten Soziologen und Kulturanthropologen (Erné, Ernest) Ernst Manheim und überlieferte uns damit ein wichtiges Stiick Kulturgeschichte. Ernst Manheim stammt aus einer assimilierten Familie; das Judentum wurde nie ein Teil seiner Identität. Sein Vetter war der weitaus berühmtere, 1947 verstorbene Wissenssoziologe Karl Mannheim. Nach dem Ersten Weltkrieg lebte Manheim wie sein Vetter und Georg Lukäcs in Wien, wo sie den berühmten Budapester Sonntagskreis fortsetzten. Manheim studierte Philosophie, Soziologie und Volkswirtschaft in Wien, Kiel und Leipzig. Von 1926 bis 1933 war er Assistent des Soziologen und Kulturphilosophen Hans Freyer, der danach zum Nationalsozialismus überlief und diesen durch sein Prestige für viele Intellektuelle akzeptabel machte. Freyer, dessen anfängliche Willfährigkeit durch sein Buch ,,Revolution von rechts“ von den Nazis nicht honoriert wurde, nahm 1938 eine Professur in Budapest an. Manheim wollte sich bei Freyer habilitieren, zog aber im März 1934 von sich aus, obwohl von seinem Professor zur Habilitation ermutigt, den Antrag zurück. Freyer setzte sich dennoch für die Veröffentlichung der Arbeit „‚Die Träger der öffentlichen Meinung. Studien zur Soziologie und Öffentlichkeit“ ein. Manheim beurteilte ihn daher immer sehr positiv und blieb mit ihm auch nach 1945 in Kontakt. Hier relativieren die persönlichen Beziehungen, die im Buch geschildert werden, die problematische Rolle Freyers im Dritten Reich. Manheim wurde danach Assistent seines Vetters Karl an der London School of Economics und übersiedelte 1937 in die USA. Von 1948 bis 1968 war er Professor für Soziologie in Kansas City, 1955/1956 Fulbright Professor in Graz und Wien, 1960/1961 Gastprofessor in Teheran. Ergänzt wird das Buch durch Beiträge von Stefanie Averbeck und dem aus dem Iran stammenden amerikanischen Soziologen Hossein Bahmaie über das theroretische und sozialpolitische Werk Manheims in Kansas City. Die Bibliographie und die ausführlichen Biographien der im Text erwähnten Personen im Anhang enthalten weitere wichtige Informationen. E.A. Elisabeth Welzig: Die Bewältigung der Mitte. Ernst Manheim: Soziologie und Anthropologie. Wien, Köln, Weimar: Böhlau Verlag 1997. 292 S. 49