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sen. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts lebten über 1.000, Anfang des 20. um die 5.000 Jüdinnen und Juden in Sarajevo. Levy hat sein eigenes Resümee und Bekenntnis zum Geist der Aufklärung (Montesquieu und Rousseau) geschickt in die Kommentierung eines Prozeßprotokolls plaziert. „Die Türken, als intolerant beleumundet, haben sich niemals den nach den damaligen Verhältnissen berechtigten Wünschen anderer Konfessionen verschlossen.“ Er. vergleicht dann kurz die ‚damalige Türkei“ mit den westeuropäischen Ländern. Nicht vergleicht er die Lage der Juden in der Türkei mit der in den habsburgischen Ländern zur Zeit der Gegenreformation. Diese Aussparung läßt ahnen, was Levy darüber dachte. Levys Buch zu lesen, befriedigt nicht nur historisches Interesse. Man erfährt aus ihm — scheinbar ganz nebenbei, in Wirklichkeit den zentralen Problemen des jüdischen Lebens in Bosnien entsprechend — einiges über die Bedeutung und Geschichte von Wörtern. Und lernt Wörter kennen, so aus der über sechs Seiten wiedergegebenen Medikamentenliste einer türkisch-jüdischen Apotheke. K.K. Dr. Moritz Levy: Die Sephardim in Bosnien. Ein Beitrag zur Geschichte der Juden auf der Balkanhalbinsel. Mit 29 Illustrationen im Text. Nachdruck der Ausgabe von 1911. Klagenfurt: Wieser Verlag 1996. 156 S. (Bosnisch-österreichische Beziehungen. Band 1). Auch Helden sind käuflich Pargfriders Geschichte ist die Geschichte von Stefan Heym und seinen Gedanken über Heldentum, Alter, Bürokratie, Geld... und Kommunismus. Wir erfahren die Geschichte Joseph Pargfriders, des ehemaligen Schloßbesitzers von Wetzdorf in Niederösterreich und des Erbauers der Heldengruft und des Heldenberg daselbst auf Umwegen über einen russisch-jüdischen Leutnant. Die Rahmenhandlung, die uns das Schicksal .dieges Leutnants erzählt, ist eine wunderbar sarkastische Abrechnung Stefan Heyms mit dem kommunistischen Regime und seinem Umgang mit den Juden. Sie unterscheidet sich auch sprachlich durch den lockern Umgangston von heute zu Pargfriders altmodisch austriakischer Sprache des 19. Jahrhunderts. Stefan Heym schafft diesen Sprachparcour brillant. Der russisch-jüdische Leutnant Wladimir Dawydowitsch Grinberg war der Held von KleinWetzdorf bei der Einnahme des Heldenbergs und der Gruft durch die russische Armee. Allerdings wurde er nur durch das Versagen seines Vorgesetzten Oberst Petruschkin zum Helden, der sich allem Lebendigen gegenüber, das er zum Tode befördern konnte, zu wehren wußte - er erschoß gleich beim Eintritt ins Areal des Schlosses den Hund des einzigen Überlebenden von Wetzdorf - aber vor den Toten in der Gruft erfaßte ihn panischer Schrecken und er ergriff die Flucht. Die Schwäche seines Vorgesetzen bezahlte Grinberg mit zehn Jahren Verbannung nach Sibirien. Mit dieser makabren Geschichte des Leutnants Grinberg gibt Stefan Heym das kommunistische Heldentum der Lächerlichkeit preis, indem er Petruschkin, schon wieder vom Schrekken einigermaßen erholt, sagen läßt: „‚Vergessen Sie nicht, Genosse Leutnant, unser kühnes Eindringen in die Grabkammer zu erwähnen, wenn Sie ihren Rapport schreiben an den Stab über den Sieg der glorreichen sowjetischen Armee bei Klein-Wetzdorf, und daß wir uns in keiner Weise haben imponieren lassen von dem Totenkult der Bourgeoisie, dem dekadenten.“ Pargfrider, ein jüdischer Tuchhändler aus der Zeit der österreichisch-ungarischen Monarchie, schafft es, mit jüdischer Chuzpe und als sogenannter Kriegsgewinnler - er staffiert die österreichisch-ungarische Armee für die NapoleonKriege mit Stoffen für neue Uniformen aus — zu enormem Reichtum zu gelangen. Von den Kreisen des Adels verachtet, kauft er sich von der Monarchie, die vom Kaiser mit Geld und Gut kaum bedankten, verarmten Helden Feldmarschall Josef Wenzel Graf Radetzky von Radetz und Reichsfreiherr Maximilian Hermann von Wimpffen, ebenfalls Kaiserlicher Feldmarschall. Pargfrider ist ein Parvenu, allerdings ein sehr gescheiter. Er lebt nur seinem Ehrgeiz, sich Anerkennung zu erkaufen. Er liebt nicht, er kauft und verkauft und er rechnet. Und die Rechnung geht auf. Er bekommt alles, was er sich wiinscht: Reichtum, Freundschaft, Liebe und den Besuch des héchsten Herrn der Monarchie, Kaiser Franz Josef. Reichtum bescheren ihm seine kiihlen Kalkulationen und seine hemmungslose Anbiederung und Bestechung der zuständigen kaiserlichen Beamten. Nach dem Abschluß eines Geschäftes mit der Ofener Monturkommission, bei der ihm seine kühnen Sprünge fast mißlingen, schreibt Pargfrider die triumphierenden Zeilen in sein Tagebuch: „Ich habe obsiegt! Ich habe obsiegt! Aber was mußte ich erdulden, welch Gefahren bestehen, welch verzweifelte Sprünge vollführen, um den Ruin, den sie mir zugedacht, abzuwehren!“ Als Lebensgefährtin kaufte er sich eine schöne, rassige Italienerin, die er am lockern Band hält. Als sie ihm einen Sohn schenkt, bezeichnet er diesen nur als Balg. Er distanziert sich gefühlsmäßig von diesem Kind so sehr, daß er bei einem Mordversuch an seiner Person ohne weiteres seinen eigenen Sohn verdächtigt. Er liebt weder die Frau noch das Kind. Die Freundschaft zu den beiden Helden Wimpffen und Radetzky erkauft er sich, indem er die beiden schwer verschuldeten Adeligen immer wieder mit Geld und Wohnungen versieht. Damit macht er sie von sich abhängig, sodaß die beiden einer Beerdigung ihrer einbalsamierten Leichen in der Gruft Pargfriders zustimmen. Mit größtem Einsatz, nämlich seinem ganzen Besitz, ficht er einen Kampf mit der habsburgischen Hofkamarilla aus, um den Besuch des Kaisers auf seinem Schloß bei der Beerdigung Radetzkys durchzusetzen. Pargfrider hatte sich in den Kopf gesetzt, daß, wenn der Kaiser ihn schon nicht zu sich einlüde, dieser ihn eben auf Schloß Wetzdorf besuchen müßte. Und der Kaiser kam. Stefan Heym gelingt es, mit diesem Roman ein Sittenbild der Gesellschaft der Monarchie für heutige Verhältnisse zu aktualisieren. Allerdings unterscheiden sich die Wertvorstellungen Pargfriders sehr von den heutigen. Einen verarmten alten Helden als Aufputz der Persönlichkeit würde sich kaum ein Konzern auf sein Banner heften, der des höheren Gewinnes willen Arbeitnehmer auf die Straße setzt. Pargfrider ist ein wunderbarer Roman eines alten Mannes, großartigen Schriftstellers und klugen Zeitgenossen. Cecile Cordon Stefan Heym: Pargfrider. Roman. München: Bertelsmann 1998. 223 S. 6S 255,Und manches Herz, es träumt sich frei —- Gedichte und Prosa von Walter Lindenbaum Es träumt sich frei — zum Beispiel im Prater —, ein Wiener Ort der Zerstreuung und des Vergessens, wo man, auf einem hölzernen Rappen sitzend, sich im Kreise drehend, dem Leben eins für diesen Tag draufgeben kann. Doch Walter Lindenbaum, der junge Schriftsteller, ist ein Beunruhigter, ein Besorgter, der das alltäglich Gesehene und Gelebte nicht um eines falschen sozialen Friedens vergessen kann. In seinen frühen Gedichten porträtiert er Menschen, die von der Straße leben: Bettler, Prostituierte, Schuhputzer, Zeitungsverkäufer, Hofsänger. Ihr Schicksal heißt bitterste Armut, Einsamkeit, Hoffnungslosigkeit: Das Ausmaß des Unrechts wird im Verborgenen, Verschämten und Ab~stoBendein aufgespüft, eine Kontrafaktur zum Edelmut der ‘großen‘ Leute und der Vergeßlichkeit der Kleinen’ Leute. Walter Lindenbaum gehörte zu der engagierten Gruppe von ArbeiterschriftstellerInnen wie Else Feldmann, Benedikt Fantner, Margarete Pertrides, Fritz Brügel, Klara Blum, Schiller Marmorek, Josef Luitpold Stern, Theodor Kramer u.a., die sich in der ‚Vereinigung sozialistischer Schriftsteller“, gegründet im Jänner 1933, zusammenfanden, um für die Literatur Möglichkeiten im Kampf gegen den Faschismus zu eröffnen. Bereits ein Jahr zuvor brachte die RAVAG (Rundfunk) das Hörspiel ‚‚Großstadt“ des damals 25jährigen Schriftstellers. Nach dem Februar 1934 wurde durch die Austrofaschisten die zwangsweise Auflösung der Literaturvereinigung angeordnet und die oppositionelle linke Presse verboten. Die kulturellen und literarischen Räume waren rigoros einge53