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Vladimir Vertlib Vom Wunsch nach Eindeutigkeit Ich habe keine Doppelstaatsbürgerschaft. Vielmehr hatte ich fast zehn Jahre lang überhaupt keine, war staatenlos. Als ich im Dezember 1986 in Österreich eingebürgert wurde, mußte ich im Großraumbüro der zuständigen Abteilung des Wiener Rathauses einen Satz nachsagen, den mir die Frau Verwaltungsoberoffizial von einem Zettel im Notizblockformat vorlas. Meine Worte gingen im Gemurmel zahlreicher Beamter und im Schreibmaschinengeklappere unter. Ich versprach, die Verfassung und die Gesetze der Republik Österreich zu achten. Draußen im Vorraum saß ein weiteres Dutzend angehender Österreicher. Ich selbst hatte auch schon gut zwei Stunden warten müssen, und die Frau Verwaltungsoberoffizial wirkte abgearbeitet. Der Satz, welcher mich unwiderruflich an die Grundfeste des österreichischen Staates binden sollte, entwich ihren Lippen wie das Murmeln eines lateinischen Gebetes, das die Gläubigen einst regelmäßig aufsagten, ohne je dessen Bedeutung erfaßt zu haben. Auf der Einbürgerungsurkunde klebten Stempelmarken im Wert von siebentausend Schilling. Insgesamt hatte das ganze Verfahren fünfzehntausend Schilling gekostet und fast drei Jahre gedauert. Meinen Eltern, die gemeinsam mit mir den Antrag gestellt hatten, mußten noch ein weiteres Jahr warten, bevor sie Österreicher werden durften. Die Ermessensentscheidungen der Behörde blieben undurchschaubar. In anderen Fällen, habe ich mir sagen lassen, schwingen Landeshauptleute langatmige Reden in Festsälen, fallen kluge Worte über die Rechte und Pflichten eines echten Österreichers, erfolgt Nachhilfeunterricht über Österreichs Stellung in der Welt. Ich aber empfand den etwas peinlichen, aber weitgehend unspektakulären und alles andere als feierlichen Moment meiner Einbürgerung als durchaus angenehm und dem Anlaß angemessen. Seit meinem siebenten Lebensjahr lebe ich — wenn auch mit Unterbrechungen - in diesem Land. Ich bin ein Teil davon. Mir braucht niemand etwas über das Wesen Österreichs zu erklären oder mich an meine Pflichten zu erinnern. Die Einbürgerung war nicht einmal ein logischer Schlußpunkt der Emigration. Sie war eine Selbstverständlichkeit. Sie stand mir zu. Eine Selbstverständlichkeit ist aber auch, daß ich in mehreren Kulturen verwurzelt bin. Als Kind habe ich in Rußland, Israel, den Niederlanden, den USA, vor allem aber natürlich in Österreich gelebt. Ich bin als Ausländer, Jude und Russe in Wien, als Zuwanderer in Israel, als illegaler Einwanderer in den USA und mit Russisch als Muttersprache, Deutsch als Bildungssprache und allen möglichen anderen Sprachen aufgewachsen... Manchmal fällt es mir selber schwer, diese Mehrfachidentitäten zu begreifen. Vielleicht war dies der Grund, daß ich so empört war, als die CDU in Deutschland gegen ein von der Bundesregierung geplantes Gesetz, das in Hinkunft Doppelstaatsbürgerschaften erlauben soll, eine Volksbefragung ankündigte. Jemandem, für den mehrere Identitäten und Loyalitäten selbstverständlich sind (und der dies durchaus auch als Bereicherung empfindet), muß der Versuch, Menschen auf eine einzige Identität und Loyalität festlegen zu wollen, als ganz und gar schwachsinnig erscheinen. In einer Fernsehdiskussion überrollt CDU-Chef Schäuble seine Gesprächspartner mit einer Welle von Erklärungen. Aber seine Argumente greifen nicht, wirken wie Schaum vor dem Mund. Neubürger müßten sich zu Deutschland bekennen, heißt es. Doppelstaatsbürgerschaft schließe ein solches Bekenntnis aus oder mache es unglaubwürdig. Mangelnde Loyalität wird unterstellt, begründet wird sie nicht. Dann ist plötzlich von Terroristen, von der PKK, die Rede, ohne daß der Zusammenhang zur aktuellen Debatte in einer nachvollziehbaren Weise hergestellt werden kann. Schließlich verrät Schäuble, worum es der CDU wirklich geht. Es ist die Angst, daß das neue Gesetz allzu viele im Land lebende Ausländer dazu bewegen könnte, von der Möglichkeit der Einbürgerung auch tatsächlich Gebrauch zu machen. Was von vielen vermutet wurde und eigentlich auf der Hand liegt, wird nun offenbar. Die CDU möchte einer „‚Überfremdung“ vorbeugen und sich, nach den verlorenen Wahlen im Herbst, mit rassistischen und ausländerfeindlichen Aktionen als Oppositionspartei profilieren. Diese Taktik hat sich bislang als erfolgreich erwiesen. Hunderttausende haben das CDU-Papier (Schlagworte: Integration? Ja! Doppelstaatsbürgerschaft? Nein!) unterschrieben. In Hessen, wo die Staatsbürgerschaft wichtigstes Wahlkampfthema war, gewann die CDU die Landtagswahlen. Dies allein wäre schon erschreckend genug, doch die CDUVolksbefragung bedeutet mehr. Sie wirft grundsätzliche demokratiepolitische Fragen auf, denn die pseudoplebiszitäre Aktion stellt, wie mir scheint, sowohl gegenüber den Betroffenen als auch den Angesprochenen eine Schamlosigkeit dar. Die Angesprochenen, jene Deutschen also, deren Unterschrift eingefordert wird, sollen ja nicht zu einer Sachfrage Stellung nehmen, die sie selbst betrifft, sondern über die Identitäten und die Loyalitäten anderer Menschen entscheiden. So wie ich mich dagegen verwehren würde, daß meine Nachbarn über meine Mehrfachidentitäten ein Urteil abgeben, so würde ich es auch als Zumutung, ja sogar als Beleidigung, empfinden, zu den Mehrfachindentitäten meiner Nachbarn befragt zu werden. Wer mir unterstellt, Privates von Öffentlichem nicht unterscheiden zu können, die Grenze zwischen persönlichen Gefühlen und Vorstellungen und dem gesellschaftlichen Verhalten meiner Mitmenschen nicht ziehen zu können, hat wohl auch keinen Respekt vor mir selbst. Der nächste Schritt wäre dann vielleicht, darüber abstimmen zu lassen, ob ein eingebürgerter Staatsbürger befähigt sei, ein höheres öffentliches Amt zu bekleiden oder sein Land nach außen zu vertreten. Denkbar wären auch Abstimmungen über die bürgerlichen Rechte von Vorbestraften, darüber ob Homosexuelle Lehrer werden dürfen, ob „Sozialschmarotzer‘“ zu einem Arbeitsdienst zwangsverpflichtet werden sollen oder ob man Sexualstraftäter kastrieren darf. „„Direkte Demokratie“ A la Haider. Schäuble hat den ersten Schritt getan. Demokratie hat bekanntlich dort ihre Grenzen, wo die Privatsphäre und die Freiheit des einzelnen unnötigerweise eingeschränkt werden. Von jemandem, der sich zwei oder mehreren Staaten verbunden fühlt, zu verlangen, er solle sich für einen einzigen entscheiden, ist ein solcher Eingriff in die Privatsphäre. Wenn ich jemanden als ständigen Mitbewohner in mein Haus lasse, kann ich von ihm erwarten, daß er sich an die Hausordnung hält. Aber es wird recht eigentümlich wirken, wenn ich von ihm auch noch fordere, daß er seine Zweitwohnung aufgibt, wenn ich 3