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Thurner: ‘Die Zigeuner’ als medizinische Opfer vor dem Hintergrund rassistischer Verwertbarkeitslogik[en]). Sozialgeschichte der Medizin, Wiener Gespriiche 1998.) So manche Uberlebende haben, völlig verstört, nachher ihre Namen geändert, um ein neues Leben beginnen zu können. Auch damit aber hatten sie wenig Glück. Die traditionellen Handwerke der Roma waren und sind nicht mehr gefragt und Handlesen bei Strafe verboten. In den kommunistischen Ländern wurden die Wohnwagen der Fahrenden Roma nicht mehr gestattet und waren schließlich zur Gänze verbrannt worden. Roma wurden unter Befehlen von Gadsche (Nichtroma) zu Arbeiten eingeteilt, die sie nicht gewöhnt waren undin Neubauwohnungen untergebracht, die, für Kleinfamilien geplant, ihren Ansprüchen in keiner Weise gerecht waren. ‘Zigeuner’ wurden zum sozialen Problem degradiert, ihre Kultur wieder einmal verachtet oder verboten. In Rumänien kursiert auch heute noch das Sprichwort ‚Wenn man von weitem jemanden kommen sieht, weiß man nicht, ob es sich um einen Menschen oder einen Zigeuner handelt“. Seit der „Wende“ ist in allen ehemals kommunistischen Staaten die Situation der Roma noch viel schlechter geworden: die neue Freiheit bot den Menschen auch die Möglichkeit, die Roma nun endlich offen zu verachten. Schnell wurden sie zu Prügelknaben für die enttäuschten Hoffnungen der Menschen, die sofort nach Beseitigung der Diktatoren bundesdeutschen Wohlstand erwartet hatten. Nur einige Beispiele: in Rumänien wurden ganze Roma-Siedlungen niedergebrannt und ihre Einwohner verjagt, in Tschechien und der Slowakei attackieren Skinheads völlig schuldlose Roma. Allein in Tschechien wurden in den letzten drei Jahren schon über 20 Menschen erschlagen und erst nach dem Massenexodus nach Kanada und England wurde das westliche Ausland auf ihre katastrophale Lage und den massiven Rassismus der Bevölkerung aufmerksam. In der tschechischen Republik hat das jüngst Bemühungen der Regierung ausgelöst, unter anderem auf dem Gebiet der Schulbildung, Roma zu unterstützen. Letztlich bedarf es aber in allen exkommunistischen Staaten großer, auch finanzieller Anstrengungen, um dem Volk der Roma zu helfen. Kein Staat, keine Regierung ist ohne massive Unterstützung der reichen Länder dazu in der Lage und auch nicht sonderlich daran interessiert, gerade den verachteten Roma Hilfe zukommen zu lassen. Derzeit befassen sich Wissenschaftler mit dem Folgen von Gewalt, Folter und Genozid. Das Institut für Sozialforschung hat Mediziner, Psychologen, Juristen und Historiker nach Hamburg zu einer einwöchigen Tagung zu diesem Thema eingeladen. An das Gewalt- und Foltersyndrom der Roma hat sich meines Wissens aber noch kein Wissenschaftler herangewagt. Im Gegenteil, in den 60er Jahren schrieb Prof. Thea Schönfelder, damals Ordinaria für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Hamburg zum Falle eines Mannes, der als Zweijähriger mit seiner Familie als ‚Zigeuner‘ deportiert wurde und Mißhandlungen, Hunger und Angst erlebte, über seine psychosomatischen Beschwerden „bei einer so einfach strukturierten Persönlichkeit, die zudem einfühlbar unter dem Druck einer zwecktendenziösen Darstellung steht, läßt sich ein solcher psychosomatischer Wirkungszusammenhang nicht nachweisen... “, sie kam zur Diagnose ,,abnorme Erlebnisreaktion auf der Grundlage intellektueller Minderbegabung“. Menschen mit intellektueller Minderbegabung sind demnach nicht einmal zu einer Traumareaktion in der Lage. (Vgl. Elisabeth Brainin, ‚Trauma Entschädigung“, Profil, 23. November 1998). Das Verfolgungssyndrom der Roma ist freilich nicht nur die Folge von besonders brutaler Behandlung in den Konzentrationslagern. Jahrhundertelange Vertreibungen haben ihre Spuren hinterlassen, auf denen ein Grundmißtrauen der Roma allen Gadsche gegenüber basiert. Die Überlebensstrategien, die das Volk entwickelt hat, entsprechen denn auch nicht immer den Vorstellungen der Mehrheitsbevölkerung. Wohl aber haben viele Roma auf ihre Weise, durch all die Zeiten, ihre nur mündlich überlieferte Sprache, ihre Kultur und Tradition bis heute erhalten. Auch an der Haltung der Gadsche (Nichtroma) ihnen gegenüber hat sich wenig geändert. Die Mehrzahl der heute in Österreich Lebenden ist aus Ex-Jugoslawien eingewandert. ‚Se sollen sich, wenn sie schon hier leben, so benehmen wie wir“, kann man aus dem Munde unserer lieben Mitmenschen hören. Da sie aber absolut nicht neben “Zigeunern’ leben wollen, müssen Roma meist für heruntergekommene Wohnungen unverschämte Mieten zahlen, werden von der Polizei grundsätzlich für potentielle Gesetzesübertreter gehalten und in Ämtern bestensfalls wie zurückgebliebene Kinder behandelt. Nicht nur in Österreich sind zugewanderte Roma kein Thema: Der neue, grüne Außenminister Deutschlands, Joschka Fischer, versicherte in einem umfangreichen ‚Zeit“-Interview: ‚‚Verfolgte Demokraten müssen wissen, daß sie in Deutschland willkommen und gern gesehene Gäste sind. Die Menschenrechte sind eines meiner Hauptanliegen.“ Hoffnungsvoll und gut gemeint, an Roma kann er dabei kaum gedacht haben. Die Zugewanderten wissen meist gar nicht, was Europa unter Demokratie versteht. Sie kommen oder kamen aus Ländern, in denen man die Mehrheit der Staatsbürger los werden will, und kein Staat steht hinter ihnen. Roma haben im Laufe ihrer traurigen Geschichte gelernt auszuweichen, sie sind geübt darin und mobil genug, um sich dort niederzulassen, wo sie am ehesten erwarten, in Ruhe gelassen zu werden. Das allerdings wird in Anbetracht immer strenger bewachter Außengrenzen und immer engerer Kooperation von Behörden innerhalb der Grenzen der Europäischen Union immer schwieriger. Überall droht 5