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Protokolle fußen auf einer gegen Napoleon II. gerichteten Schrift des französischen Publizisten Maurice Joly, dem Dialog in der Hölle zwischen Macchiavelli und Montesquieu, der 1864 erschienen war und mit Juden und Judentum nichts zu tun hatte. Ein Exemplar aus der französischen Nationalbibliothek war mit Anmerkungen der Autoren der Protokolle übersät, die Jolys Text fast ohne Veränderungen übernommen hatten. Diese Tatsache hinderte jedoch diverse Leute, vom russischen General Koltschak bis zu den deutschen Nationalsozialisten, die um die Reinheit ihrer Nation besorgt waren, nicht daran, die Protokolle für ihre antisemitische Propaganda zu benutzen. (Adolf Hitler hat sich in den antisemitischen Thesen seines Buches Mein Kampf auf die Protokolle berufen, die in Deutschland sehr erfolgreich unter den Titeln Die Geheimnisse der Weisen von Zion [1919] und Die zionistischen Protokolle [1920] verkauft wurden.) Ich verweile so lange bei dieser wohl schmutzigsten Fälschung des 20. Jahrhunderts, weil der aktuelle russische Antisemitismus auf den Protokollen der Weisen von Zion beruht, gleichsam wie die gesamte zeitgenössische russische Literatur ihren Ursprung in Gogols Mantel hat. Immer wieder werden sie in Rußland zitiert als Beweis für eine ‘jüdische Weltverschwörung‘, die besonders Rußland bedrohe. Man sagt, daß der Antisemitismus schon seit der Zarenzeit im russischen Volk verwurzelt sei. Doch bis ins 18. Jahrhundert, als Katharina II. den Abstammungsnachweis einführte, gab es diesen Judenhaß nicht. Unter den ersten Herrschern des zentralistischen russischen Reiches, Ivan II. und Vassiliy IH. (15. — 16. Jahrhundert) waren die Juden am Hof willkommen. Der Leibarzt Ivan IIL, Mister Leon, der Baumeister Aristotele Fioroventi und, nicht zu vergessen, Jumtu (bzw. Jamtow nach jiidischer Schreibweise), der Mentor und Ratgeber von Elena Glinskaija, Gattin von Vassiliy II. Vizekanzler Schafirow, der Berater Rivjer, der Narr Lakosta und ein Vorfahr des großen Alexander Puschkin, Abraham Ganibal, alle waren Juden und Schützlinge von Peter I. (Der Name Abraham Ganibal deutet auf die Abstammung von äthiopischen Juden, den Falascha, hin. Diese verehrten die Thora und sprachen auch das Gebet ‚‚Schma Israel“. 1991 hat der Staat Israel mit der Operation ,,Schlomo“ die letzten Falascha aus Äthiopien geholt. In Addis Abeba steht ein Denkmal mit der Inschrift: „Dem genialen äthiopischen Dichter A. Puschkin“..) Das alles brachte den Juden Achtung... und Neid. Der Neid: „Der Jude betrügt den Russen immer.“ „Wo ein Jude durchgegangen ist, gibt es für einen Russen nichts mehr zu tun.“ Das war noch harmlos und kaum der Rede wert. „Der große Neid“ auf die Juden entstand im 18. Jahrhundert. 1772, nach der Teilung Polens, kamen viele Gebiete zu Rußland, die von Juden besiedelt waren. Katharina II. gab den jüdischen Geschätsleuten die gleichen Rechte wie den russischen. Allerdings erwiesen sich die Juden als flinker, geschäftstüchtiger und erfolgreicher als die Russen. Die russischen Kaufleute hatten nicht die Kraft, sich gegen die Konkurrenz zu behaupten, sie überschütteten ihre Kaiserin mit Bitten, den Juden diese Rechte wieder zu entziehen. Katharina, die Große, gab nach und verbot den Juden den Handel in Rußland und untersagte ihnen, nach Moskau zu kommen. So wurde der Abstammungsnachweis geschaffen und deshalb kam der große russische Neid gegen den Juden auf, diesen Halsabschneider, der nicht trinkt, dafür lernbegierig ist und seine Angelegenheiten klug und erfolgreich erledigt. Der reichliche Alkoholgenuß in Rußland ist ein Zeichen seines Zerfalls. „Wer Wodka und Bier trinkt, ist ein Handlanger Tel Valerij Nikolajewskij Avivs“ — das hat sich die russisch-nationalistische Organisation „Pamjat‘‘ (Gedächtnis) auf ihre Fahnen geschrieben. Mein Gott, 100 Millionen Russen als Handlanger Tel-Avivs! Außer den Säuglingen trinken doch alle - trinken ausgiebig und reichlich. Außerdem haben weder die ‚trockenen Gesetze‘ der russischen Zaren im 15. — 16. Jahrhundert noch das Abholzen der moldawischen Weingärten durch die Kommunisten das Volk vom Alkohol erlöst. Und daneben der Jude, der nicht trinkt sondern lernt, lernt, lernt! Es wurde dafür gesorgt, daß die Juden kein öffentliches Amt bekleiden durften. Im Zarenreich und auch später in der Sowjetunion wurde eine Zulassungsbeschränkung für Juden an Hochschulen und Universitäten eingeführt. Unter den Kommunisten durften nur drei Prozent aller Studenten Juden sein. Also mußte Chaim, wenn er unter diese drei Prozent kommen wollte, zehnmal bessere Leistungen nachweisen, als Nachbars Ivan. Dadurch wurde eine besondere Auslese getroffen. Die außergewöhnlichen Talente in Medizin, Technik und Wissenschaft waren in der Regel Juden. Der Neid wurde paradox, wie diese Anekdote zeigt: „Ivan komm, verprügeln wir den Juden!“ „Aber, wenn er uns dann verprügelt?“ „Wieso denn uns? Also, ‘ihn’ darf man allein schon dafür prügeln, daß er... Jude ist.“ Der russische Philosoph Nikolaj Berdjajew hat einmal geschrieben: „Das Fundament des russischen Antisemitismus liegt im Neid des Dutzendmenschen auf den Begabten!“ Was kann man dem noch hinzufügen? Diese Aussage trifft den Nagel auf den Kopf! Juden waren es, die Rußland zu Weltruhm in allen Sparten der Kultur verholfen haben: Schostakowitsch, Pliszeskaija, Eustrach, Meierhold, Kandinsky sind nur einige der unzähligen berühmten Namen. Vertuschung und Lüge sind die dunkelsten Flecken im heutigen Rußland. Zu Stalins Zeiten haben die Kommunisten alles getan, daß die Statistiken aus den Kriegsjahren in Vergessenheit gerieten, wonach es Juden waren, die die meisten ‘Helden der Sowjetunion’ stellten. Russen stehen hier nur an dritter Stelle.