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würdiger Miene sich bereit machten, in der Hand das aus der Rocktasche gezogene Notizbuch mit den Noten, die da über Sein und Nichtsein der Schüler entschieden. Latein, von der dritten Klasse an auch Griechisch, die von so vielen gefürchtete Mathematik, die ihr verwandte Physik, Geschichte und Geographie, das Paar, von dem die es unterrichtenden Lehrer gewöhnlich behaupteten — doch ohne besonderen Erfolg — es stünde an Wichtigkeit hinter keinem der anderen Fächer zurück, Deutsche Sprache — interessant oder öde Qual, je nach dem Vortragenden, und so weiter. Doch Turnen? Man muß sich nur die Gestalten der Kollegen ansehen, meinte Pesenheimer, um zu sehen, daß sie von der Wichtigkeit körperlicher Betätigung nicht die mindeste Ahnung hatten. Und doch empfand er es schmerzhaft, daß niemand zu ihm kommen sollte, den Hut respektvoll in der Hand, wie es gerade der soignierte Herr dort drüben tat, der sich dem würdig aufgeblähten Aschanti näherte. ‘Keiner braucht mich hier und ich bin für sie ein Niemand, ein Niemand, nichts anderes!’ sagte sich der Turnlehrer, während er allein die breite Treppe hinunterstieg und ihm überall die Väter und Mütter der Schüler begegneten. ‚Letzte Nummer bin ich hier! Doch sie sollen sich in mir täuschen, sie alle!’ Dabei machte Pesenheimer ein stolzes und verbissenes Gesicht, was ihm auch wirklich gut gelang, und drückte den Hut, dessen Krempe auf der einen Seite aufgebogen war und so der Kopfbedeckung etwas Verwegenes gab, noch tiefer in die Stirn. Dazu trug er einen grauen Anzug aus lodenartigem Stoff, der fast bis zum Hals zu schließen war. Dort sah dann ein Kragen heraus mit umgebogenen Ecken, wie er in diesem Land nur selten getragen wurde, eher in dem großen nördlichen Nachbarland, das auch hierin für Pesenheimer mustergültig war. Endlich gelangte er zur Ausgangstür. Da begegnete er Herrn Braunsteiner, dem Vater von Alberts Klassenkameraden. Dicklich, jovial, die Verkörperung des Prinzips, daß es allen gut ergehen möge, und es am klügsten sei, damit bei sich selbst anzufangen, stieß der Finanzmann in der Tür auf den erbosten Mann der körperlichen und auch nationalen Ertüchtigung. Pesenheimer, der Braunsteiner gar nicht kannte, blickte ihn wütend an, und da der Finanzier mit Schwung eingetreten war, so war ihr unbeabsichtigtes Rencontre ziemlich heftig. Eigentlich hätte der Turnlehrer zurücktreten müssen, denn Braunsteiner war zuerst hereingekommen, doch absichtlich schob Pesenheimer diesen recht brüsk beiseite. Der Geschäftsmann blieb einen Augenblick erstaunt stehen über solch ungehobeltes Benehmen, doch ehe er noch einen richtigen Schluß aus des Turnlehrers Verhalten ziehen konnte, sah er sich schon einem Bekannten aus seiner eigenen lukrativen Sphäre gegenüber, und während die gewichtigen Herrn die Treppe emporstiegen, um über den Lernerfolg ihrer Junioren informiert zu werden, entwikkelte Braunsteiners Bekannter diesem den Plan eines neuen Börsenmanövers, welcher auf der so gut wie sicheren Annahme beruhte, daß die gegenwärtige Stabilisierung des französischen Franc in Wirklichkeit nur eine vorübergehende Etappe in seiner angeblich unaufhaltsamen Devaluierung wäre, welche Mitteilung in Herrn Braunsteiner auf einen durchaus aufmerksamen Zuhörer traf. Pesenheimer, ehemals Prchala, stand jetzt draußen auf den obersten Stufen vor dem Gebäude. Vor ihm weitete sich ein großer Teil des Parks, hier inmitten der Stadt. Breitbeinig, die Hände in den Hüften seines tailliert geschnittenen feldgrauen Rockes stand er, den Hut kühn aufgesetzt. In ihm kochte es! ‚Einmal werde ich es Euch zeigen! Ihr alle werdet noch vor mir kriechen!‘ Einstweilen sollte es sich aber herausstellen, daß seine Tage am UG gezählt waren, denn nicht allzulange Zeit nach diesem 10 Sprechtag war er bei der versuchten Sprengung einer Versammlung, die von jener ‚‚Technischen Nothilfe‘“ in einem Arbeiterbezirk veranstaltet wurde, in eine Prügelei verwickelt worden, und obwohl die Polizei in erster Linie gegen die Gegner dieser Organisation einschritt, hatte Pesenheimer doch des Bösen zuviel getan, und da er sich dabei einer Art stählernen Rute bediente, die stark blutende Wunden hervorrief, so mußte auch er verhaftet werden. Im Ergebnis dessen wurde er von der übergeordneten pädagogischen Stelle, die mit Männern besetzt war, die für seine Anschauung wenig Verständnis zeigten, von dieser Lehranstalt versetzt, unbekannt wohin. Dennoch sollte er mit seinen Rache- und Vergeltungsschwüren recht behalten, denn gar viele Jahre später konnte der von seinen einstigen Kollegen nicht für voll erachtete Turnlehrer unter allerdings von Grund auf geänderten Verhältnissen eine sehr bedeutende Rolle spielen, und der Tod Unzähliger wurde im Zusammenhang’genannt mit dem Namen dieses einst so simplen Vertreters eines sogenannten Nebenfaches im Lehrplan. An einem Tag — so viele Jahre später — fährt sein großer Wagen mit der starren Standarte vorne zufällig wieder an dem schwarzgrauen plumpen Gebäude der Schule vorbei, in dem Pesenheimer seinerzeit solch unverdiente und unvergessene Erniedrigungen hatte erdulden müssen, wie er sich sagte. Nach längerem Aufenthalt in den ihm untertan gemachten fernen Gebieten ist er wieder einmal in die Stadt gekommen, wo er einst als Sohn eines kleinen, längst verstorbenen Beamten des Postaußendienstes das Licht der Welt erblickt hatte. „Halten“, ruft er dem Chauffeur zu und steigt aus, begleitet von seinem Adjudanten, einem bildhübschen Jungen, dessen helles Haar um so stärker von der Schwärze der Uniform absticht, in die er und auch sein Herr, der einstige Turnlehrer, gekleidet sind. Übrigens erschöpft die Bezeichnung ‚„‚Herr“ nicht völlig die Natur der Beziehung der beiden zueinander, da zwischen ihnen noch ganz andere Bindungen bestehen, durchaus intimerer Art. „Hier haben sie mich alle über die Schulter angesehen!“ murmelt er leise, damit Giselher, der Adjudant und Bettgenosse, es nicht hören könne. Jetzt, da die beiden die Treppe des Universitätsgymnasiums — ja, es heißt immer noch so, trotz so ganz anderer Zeiten, o, wie blutiger Zeiten! — hinaufsteigen, wollen wir den einstigen Turnlehrer ein wenig näher betrachten und da gibt es auch allerhand zu sehen, glaubt mir! Älter ist er um nicht weniges geworden, der Schnurrbart verschwunden, ebenso die lächerlichen Koteletten, dafür wirkt das einst so feste, muskulöse Fleisch schwammig. Doch Pesenheimer ist nun einer von jenen, die — „‚Incredibile dictu!“ sagten, in derartigen aber kaum so unerhörten Fällen die Herren Kollegen — Weltgeschichte machen, zumindest in jenem umfangreichen Territorium, wo er Herr ist und Gott. Ja, zuerst gab es für ihn hier in seiner Heimatstadt eine Position, von der er sich damals an eben diesem UG nie und nimmer hätte träumen lassen und dann im Verlauf des sich entwickelnden blutigen Unternehmens die eines Herrn über Leben und Tod, und fast zur Verkörperung des letzteren, im unterworfenen Sklavenland. Anstelle des ewigen grauen — pseudomilitärischen, würde man heutzutage sagen — Anzugs die drohend schwarzsilberne Uniform, die hohen blankglänzenden Stiefel, statt des verschwitzten Hütleins mit der aufgebogenen Krempe die Kappe mit dem furchtbaren Todeszeichen. Ja, nun steigt eine Macht über diese Treppe hinauf! ,,Da stinkts noch genau wie damals!‘ stellt der Mächtige fest, während er hallenden Schrittes durch die Gänge schreitet. ‚Gisel