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her grinst mir zu unverschämt, höchste Zeit, ihn abzubauen und ihm mal Ostluft riechen zu geben!’ fährt er für sich fort. Jetzt ist man beim Konferenzzimmer, dem für die Herren Professoren reservierten Raum. Doch die Tür ist verschlossen. Überhaupt sind ja jetzt Ferien. Wie sich Pesenheimer umdreht, erscheint aus einer Tür hinter ihm, auf der anderen Seite des Vorraumes, aus seiner Dienstwohnung kommend, der jetzige Leiter der Schule. Mit einem Blick erkennt der heute so Mächtige in ihm einen Kollegen von einst. Dieser selbst sieht nur auf die gefürchtete Uniform mit den Abzeichen des hohen Ranges, schrickt zusammen, lächelt duckend und streckt sogleich die Hand zum offiziellen Gruß vor, ruft dabei auch den Namen des Mannes, der in sich das Schicksal der ganzen Nation vereint, mit dem vorangeschickten Wunschwort. Dann stürzt er vor, schließt die Tür zum Konferenzzimmer auf und läßt Pesenheimer vorangehen. Der frühere Turnlehrer wirft die schwarze Kappe auf den mit grünem Tuch bespannten Tisch, so daß die Zeichen seiner verhängnisvollen Formation mit den unheimlichen knöchernen Symbolen auf den Direktor blikken, der in Achtungsstellung verharrt. Dann fliegen die Lederhandschuhe, mit denen sich Pesenheimer während der ganzen Zeit auf die Stiefel geklatscht hat, ebenfalls auf den Tisch, an dem die Schicksale so mancher Generation von Schülern entschieden worden sind. Der nunmehr so Gewaltige setzt sich in den breiten Stuhl, der sonst für den Direktor des Gymnasiums reserviert ist, kreuzt die in den hohen Stiefeln steckenden Beine, bedeutet mit einer Bewegung seines Kinns Giselher, ebenfalls Platz zu nehmen, und lacht befriedigt, während er die eichernen Lehnen des Stuhles umfaßt. „Na, erklennen Sie mich nicht?“ fragt er den noch immer stehenden und devot den Rücken krümmenden Schulleiter, der voller Entsetzen zusieht, wie der Junge mit den hellen Haaren auf einmal seine Pistole aus der Ledertasche zieht und an ihr herumfingert, da etwas bei der Sicherung der Waffe nicht in Ordnung zu sein scheint. Giselher ist voller Hingabe dabei und verschwendet keinen Blick auf die Jammerfigur neben ihm. Der Pädagoge wagt es schließlich, einen Schritt näher zu gehen, ist er doch stark kurzsichtig und vor seinen Augen tanzen nur verschwimmend Pistolen, gekreuzte Knochen, Totenköpfe und silberne Fangschnüre auf schwarzem Grund. Dann öffnet er oval den Mund, womit er allen Anschein nach zu erkennen gibt, daß er jetzt wisse, wer die mächtige Persönlichkeit einst gewesen sei. Dieser lacht auf: ‚Was, Holzer, die Zeiten haben sich geändert und wir auch!“ „Hehe, tempora muntantur et nos...“, fängt lächelnd und weiterhin geduckt der Apostrophierte zu übersetzen an. „Lassen Sie den alten Quark, die Humanoria etcetera pp. Mir scheint, hier müßte mal ein neuer Wind wehen.“ Holzer stehen seine nicht zahlreichen Haare zu Berge, denn Giselher richtet gerade beim Bemühen, die Sicherung der Pistole zu kontrollieren, unwillkürlich den Lauf auf den Schulmann. ‚Zuviel Staub da, Holzer‘, fährt unbeirrt der Turnlehrer fort. ‚Na, wollte nur die alte Bude besichtigen. Nun gehts aber zu wichtigeren Geschäften.“ Dann ruft er den Namen des alle Geschikke lenkenden Mannes und, gefolgt von Giselher, der zu des zitternden Holzers Glück die Pistole wieder versorgt hat, schreitet er hinaus. Der Leiter der alten Schule — einen Direktor gibt es nicht in diesen dem totalen Morden geweihten Zeiten, auch ist es unbestimmt, ob das Gymnasium überhaupt weitergeführt werden soll — läuft dem nun so mächtigen Exkollegen nach, öffnet alle Türen vor ihm und tut dies sogar mit jener des Autos, worüber der Chauffeur erstaunt die Brauen hebt. Dafür bekommt er zum Dank noch eine halbausgerauchte Zigarette von Giselher auf seinen Rockärmel geschleudert, so daß er sich diesen schleunigst abputzen muß, damit kein Loch hineingebrannt wird. Einige Wochen später. Pesenheimer fährt durch seinen Machtbereich. Es ist nachts und die Lichter des Wagens sind abgeblendet wegen der Fliegergefahr. Jetzt geht es durch einen weit sich dehnenden Föhrenwald. Plötzlich muß Pesenheimer an das UG denken und lacht hellauf. ‚Stinkende Bude das’, sagt er sich dann, ‚höchste Zeit, dort auszuräuchern. Na, der Kerl, der mich damals als Turnlehrer nicht ernst genommen hatte, hat jetzt ganz schön gebibert. Sollen sies nur!’ In diesem Augenblick scheint es, als käme vom schwärzlichgrauen Nachthimmel eine Föhre herunter. Der Wagen hält an mit kreischenden Bremsen. „Alle sollen vor mir zittern, alle!“ sagt sich noch der Machthaber und faßt nach dem Hebel, um das Fenster herunterzuschrauben, will er doch sehen, was es draußen gäbe. Doch in dem nächsten Bruchteil der kleinsten Zeiteinheit gibt es weder das Fenster, noch das große gepanzerte Auto, nicht die Hand des einstigen Turnlehrers und jetzt von hundertausend so gefürchteten, ja es gibt ihn nicht mehr und auch nicht den Chauffeur, sondern nur mehr eine Wolke von Schwaden, die sich über die Wipfel der Föhren in die Nacht erhebt. — Georg Rauchinger wurde am 3. September 1907 in Wien geboren. Die Eltern waren jüdischer Herkunft, die Mutter stammte aus Schlesien, der Vater aus Krakau. Die Familie sei “‘vollkommen assimiliert“ gewesen, erinnert sich der Sohn, der katholisch getauft worden ist. Das Einzelkind wuchs in einer großbürgerlichen Umgebung auf, der Vater war ein zu dieser Zeit angesehener Maler und Porträtist. Standesgemäß verlief auch die Ausbildung des Sohnes, der ins Akademische Gymnasium geschickt wurde und dort die Schulbank u.a. mit Georg Knepler, dem späteren Klavierbegleiter von Karl Kraus und bekannten Musikwissenschaftler, drückte. Mit Knepler teilte Rauchinger auch die Bewunderung für Karl Kraus, der neben der Jugendbewegung den größten Einfluß auf seine Entwicklung zu einem der Welt der Eltern kritisch gegenüberstehenden Linken gewonnen hat. 1932 heiratete Georg Rauchinger die Russin Tatjana Sollogub, eine Bibliothekarin aus dem Baltikum. Im Juni 1938, als die 11