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Gestapo ihm schon auf den Fersen war, floh er nach Riga, wo sich seine Frau bereits aufhielt. Nachdem die Sowjets 1940 Lettland besetzt hatten, wurde Rauchinger 1941 beim Überfall Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion vom NKWD als Deutscher interniert und deportiert, wodurch er abermals Hitlers willigen Vollstreckern entging. Es folgten sechs Jahre Lagerhaft, zunächst in Novosibirsk (Sibirien), dann in Karaganda (Kasachstan). Im Lager in Karaganda lernte er seine zweite Frau kennen, die Wienerin Erna Reismann; sie stirbt 1959 indirekt an den Folgen der Lagerhaft. 1947 erreichte Rauchinger nach 73 Tagen Fahrt in einem Viehwaggon Wien. Hier fand er vorübergehend Unterkunft im Obdachlosenheim in der Meldemannstraße. Er trat in die KPÖ ein, wurde aber bereits zu Beginn der 50er Jahre wegen trotzkistischer Kontakte und ,,parteifeindlichen und schädigenden Verhaltens “ wieder ausgeschlossen. In Wien lernte er u.a. auch Roman Rosdolsky, Ernest Mandel und Franz Moadlik kennen. Nachdem er einige Zeit im Kulturamt der Stadt Wien unter Viktor Matejka gearbeitet hatte, ermöglichte ihm eine kleine Erbschaft, den Roman ‚‚Der Eindringling“ zu schreiben. Rudolf Felmayer, Edwin Rollett und Daniel-Henry Kahnweiler (Paris) setzten sich für die Publikation des Romans ein. Es konnte Jedoch nur der erste Teil in Fortsetzungen in der ‚Wiener Zeitung“ erscheinen. Seit der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre und Tusia Herzberg Ein Augenblick des Glücks Im Oktober 1998 ist im Orgal-Verlag, Tel-Aviv, graphisch schön ausgestattet Tusia Herzbergs Buch ,, Ein Augenblick des Glücks “ auf Hebräisch erschienen. Ein Buch über Kinder, nicht für Kinder. Es sind einfache, aber gerade darum überzeugende Erzählungen von Tusias freiwilliger Hilfstätigkeit im Rahmen der Internationalen Zionistischen Frauen-Organisation (WIZO) in den Armenvierteln. Für diese Tätigkeit wurde Tusia Herzberg 1982 mit dem Preis des israelischen Staatspräsidenten und 1998 mit der Ehrenbürgerschaft ihrer Heimatstadt Ramat Gan ausgezeichnet. - Von Tusia Herzberg, geboren in Bendzin (Polen), ist 1996 in der Edition Mnemosyne des Alekto Verlages, Klagenfurt, das Erinnerungsbuch ‚Der lachende Sand. Junge jüdische Widerstandskämpfer im Zeiten Weltkrieg“ erschienen. — Ich habe zwei Stellen aus ihrem neuen Buch für die Leser von MdZ übersetzt. Hanna Blitzer Vorwort Ich habe in unserem Land keine Wege gebaut und keine Sümpfe trockengelegt. Als wir Kinder waren, haben wir Lieder über die Wüste und die Sümpfe in Erez-Israel gesungen. In meiner Jugend war ich in einer Untergrund-Gruppe mit Jungen zusammen, die gegen die Deutschen kämpften, von einem eigenen Staat träumten und gefallen sind. Als ich nach Israel kam, war das Land schon aufgebaut und organisiert. Trotzdem habe ich einen Weg gefunden, dem Staat zu helfen. Ich habe die Familien in den Armenvierteln besucht, und zusammen mit meinen Freundinnen haben wir die Mütter lesen und schreiben gelehrt und den Kindern bei den Schulaufgaben geholfen. Wir kümmerten uns um die desolaten Wohnungen 12 bis zu seiner Pensionierung 1975 arbeitete Rauchinger am neugegründeten Ost- und Südosteuropa-Institut in Wien. Über sein Leben wurden von Karl Stuhlpfarrer umfangreiche Tonbandinterviews für das Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien aufgenommen. Seit seiner Jugend war Georg Rauchinger, wie er selbst sagt, „von dem Gedanken besessen“, die im Roman geschilderten Vorgänge niederzuschreiben. Neben diesem etwa 500 Seiten umfassenden Werk schrieb er einen weiteren unveröffentlichten Roman über das Baltikum im Bürgerkrieg zwischen Weißen und Roten und einige Erzählungen, die an verschiedenen Orten erschienen sind. Beim ‚, Eindringling“ handelt es sich um mehr als einen ‚Schülerroman’ übers Akademische Gymnasium (das im Text als Universitätsgymnasium oder UG verschlüsselt wird). Der Autor macht in Stil und Form, wie auch durch wenige, aber signifikante Vorgriffe auf die Zeit der dreißiger und vierziger Jahre die Distanz oder besser den Abgrund deutlich, durch den das dargestellte Geschehen als fast unheimlich Vergangenes sinnfällig wird: Nationalsozialismus und Shoah, der Untergang Jener gesicherten Welt des assimilierten jüdischen Bürgertums, dessen junge Generation im Akademischen Gymnasium für einige Zeit seine Heimstatt gefunden hatte. Renate Göllner/Gerhard Scheit der Alteingesessenen und die leeren Behausungen der Neueinwanderer. Aber mein Hauptinteresse galt immer dem Kind, das traurig war. Und wenn manchmal plötzlich ein Lächeln in einem Kindergesicht erschien, dann setzte ich meine Tätigkeit des kleinen Lächelns wegen fort. Ich habe in unserem Land keine Sümpfe trockengelegt, doch versuchte ich Kindertränen zu trocknen. Dalia Dalia ist aus dem Kinderheim davongelaufen. Ja, einfach davongelaufen, und jetzt ist sie zuhaus. Im Haus sind die Mutter, der Vater, der große Bruder Jossi, die Schwestern und der kleine Bruder. Der Kleine freut sich am meisten mit ihr. Er weiß, daß niemand so schön mit ihm spielt wie sie, daß ihn niemand so geduldig füttert wie Dalia. Er spricht nocht nicht, aber er weiß alles. Er kriecht ihr auf allen vieren entgegen und sein kleines Gesicht lacht vor Glück. Er ist der einzige, der lacht. Alle schauen schweigend auf sie. Die Wände des Hauses haben bis jetzt kein solches Schweigen gehört. „Du Dumme“, zischt der große Bruder Jossi, ,,du hast es dort so gut gehabt.“ Und die Schwestern sagen: „Du hast dein eigenes sauberes Bett gehabt. Du hast gutes Essen bekommen und man hat dir bei den Schularbeiten geholfen.“ „Dalia, mein Kind, warum bist du zuriickgekommen?“ fliistert die Mutter und innerlich ist sie voller Furcht, fürchtet, daß Dalias Vater sie ins Heim zurückschicken wird. Aber Dalia strahlt. Sie schaut auf die ängstlichen und besorgten Gesichter, auf die geliebten, ihr so teuren Gesichter. ‚Ja, ihr habt recht‘, sagt sie lächelnd, ‚‚aber ich wollte nachhaus.“