OCR
Susanne Rasser Nichts Ganz vorsichtig trennt er den Erlagschein aus dem Heft. Mein Bub, mein einziger, geliebter Sohn. Er zählt das Ersparte, über Monate ersparte Taschengeld noch einmal nach, leise murrmelnd, wie im Gebet. Schreibt sorgfältig den Betrag auf das vorgedruckte Papier, malt die Zahlen, grinst verbissen. Zähes Vergnügen, entblößtes Zahnfleisch, gefurchte Stirn. Mein Kind ist kein Kind mehr. Er soll seine Geheimnisse haben, sie hüten. Ich will ihn nicht zornig wissen. Einen Zwerghamster habe ich dem Kind zum 14. Geburtstag geschenkt. Das war keine Freude. Nun steht der Käfig in meinem Schlafzimmer und dieses Tier treibt mir die Ruhe aus. Hamster laufen nachts im Rad, knabbern an den Gitterstäben. Hamster nimmt mir meinen Schlaf, trampelt alle Träume tot. Macht mich wach, raubt die Lügen, diesen, meinen glatten Selbstbetrug. Hamster laufen nachts im Rad. Die Zeit, sie vergeht nicht. Ich warte. Ich warte und hoffe, hoffe und vergehe. Ich sinke. Die Zeit, sie vergeht, vergeht viel zu schnell. Ich warte und schweige. Das Kind schweigt, füllt die Erlagscheine aus. Schnell ist er groß geworden, der Bub. Ganz unauffällig, ganz wie alle anderen auch. Hab ihn aufgezogen, alleine verbogen. Langsam werde ich kleiner. Alleinerziehende Mutter. Schnell habe ich mich gekrümmt. Schnell wird er zornig der Bub, und ich fürchte seine Wut. Immer, ja von Anfang an Ausreden, das Entschuldigungsgestammel: Bauchweh, die ersten Zähne, Trotzalter, Schulangst, wieder eine Trotzphase, Berührungsängste, dann — und immer noch - die Pubertät. Hab mich dumm beruhigt, herausgeredet. Aber außer Haus trägt er mir die Tasche, spannt uns den Regenschirm und grüßt die Nachbarn höflichst. Äußerst zuvorkommend, eben gut und konsequent erzogen. Dann bin ich stolz, glücklich. Dann bin ich stolz auf mich. Geliebter Bub. Alles andere wird nebensächlich, verwässert, wird nichtig. Das ist unbedacht. Ich gehe zur Arbeit, gieße Blumen, ich füttere Schweine. Ich tu es. Ich werde es nie getan haben. Das Geheimnis wird nicht mehr gehütet. Mit einem Lachen schlug mir der Bub seine Wahrheiten um die Ohren. Nun quäle ich mich durch seinen Lesestoff, jene abgegriffenen Hefte, aus denen er sämtliche Erlagscheine getrennt hat. Warnschriften für die deutsche Jugend, für ausgewählte Arier, von wahren Kämpfern, die sich unentwegt von rechts anschleichen. Absenderlos, inkognito, wahrscheinlich nie zu fassen. Überfremdung, Kulturverfall, Kriminalität, von politischer Feigheit der Altparteien — nein, und will und kann gar nichts verstehen. Mein Bub nicht! Er trägt sein Haar gewellt, leger gewickelt, hellbraun gefärbt. Beweist Geschmack, auch im Detail, und trägt die Schuhe nur vom Rind. Man sieht ihm nach, er weiß sich zu bewegen. Kein Tarngewand, eben nicht wie alle anderen auch. Mein Schritt stockt. Eis ist im Schuh. Die Beine gefrieren, erstarren, nageln punktgenau fest. Salz in den Augen, es kratzt. Kälte schneidet mir ins Gesicht, verunstaltet mich — macht blind. Jetzt lese ich alles ganz genau. Klaube Wort um Wort aus diesen schundigen, abgegriffenen Heften. Klaube, schlichte um und schlage nach. Hier werden Geister beim Namen genannt, angeschmiert, denunziert, verspottet und letztendlich sogar belehrt. Hier werden Feindbilder produziert, wie am Fließband, das scheint nicht weiter schwierig zu sein. Und immer wieder die Schuldgefiihle. Habe ich ihn verzogen, zu streng geformt oder war ich zu weich, nachgiebig, viel zu gleichgiiltig? Habe ich ihn ernst genommen, angenommen? Nachgegeben, des lieben Friedens wegen. Aufgegeben — und es war nie Zeit. Immer die Hetze, kein Ferienziel, schlechte Aussicht. Biigelwäsche und Socken stopfen, die Ordnung halten. Gegen das Gerede. Sparen für die neue Wohnung, die größer, lichter, näher am .Arbeitsplatz ist. Müde schon am Morgen, ja gerade am Morgen. Aber niemals krankgeschrieben, nie ausgefallen. Nicht arbeitslos. Und immer die Schuldgefühle. Ihn im Hort abgeben, später im Kindergarten. Verwischte Tränen, die sind durchsichtig, beinahe unsichtbar. Bald wurde er selbstständig. Lange war ich dann fast unbesorgt. Der Bub hat sich selber versorgt, seinen Weg gebahnt. Hat gelernt, ganz alleine, hat das Alleine-sein gelernt. Doch plötzlich seine Faust in meinem Gesicht. Schlug zu, vollkommen unerwartet, schlug mich später sogar zu Boden. Und dann einer — und zwar seiner — Meinung sein. Das war so einfach, so schwer. Ratlosigkeit krampfte einen Herzfehler in meine Brust. Unrhythmisch wurde der Takt zwischen Verzicht und Verzeihen, zwischen Verzagen und Zorn. Meine Kraft ließ nach, der Wille brach. Schmerz war schon bald ganz gewöhnlich. Was bleibt ist dieses Gefühl der Schuld, denn ich habe versagt. Ich war nicht hart genug, nicht weich genug — und es war nie Zeit. Kein Regen, der die Trauer verwäscht, meine Sorge verschwemmt, eine Abkühlung schafft. Kein Regen, der einen Bogen spannt, der wachsen läßt oder Unheil schwemmt. Keine Sonne, die den Weg sich erkämpft, meine Kraft erwärmt, den Funken entfacht. Keine Sonne, die mich gesunden läßt, mich färbt oder heillos versengt. Es ist der Wind, der mich nimmt und fallen läßt. Aber mein Sohn trinkt nicht, raucht nie, mein Sohn hat einfach Manieren. Er liest viel, begreift schnell, kann sich kurz und gewählt mitteilen. Er will weiter, höher hinaus, will weiterlernen, studieren. Der hat Ziele. Man traut ihm viel zu. In gewisser Hinsicht ist er sehr streng zu sich. Seine freie Zeit plant er ganz genau, nur für sich, penibel und nüchtern. Ja, selbst beim Fernsehen bleibt er unbeirrbar. Abendnachrichten, Inlandsund Auslandsreport, Pressestunde, Diskussionen, Belangsendungen. Keine Talkshow, keinen einzigen Spielfilm oder Krimi, niemals den Seitenblick. Keinen Trick, eben nur Kalkül. 13