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an die ihn ein verschwörerisch-kumpelhaftes Gefühl des Einvernehmens, doch zugleich auch des schwelenden Argwohns und Mißtrauens bindet. Zwischen Peter und der Mutter ergibt sich „eine Art von intensiver Liebesaffäre und intimer, durch Abschiede zerrütteter und überspannter Freundschaft.” !! In Georg, der Hauptfigur der Erzählung ‚Eine Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit” = schildert Peter Heller einen solchen, von väterlicher Unbedachtsamkeit, mütterlichem Wankelmut, sexuellen Wirrnissen und einem tiefen Mißtrauen gegen sich selbst bedrängten Jugendlichen. Unschwer ist die Erzählung durch verstreute Hinweise auf heimatliches Wiener Ambiente, Anspielungen auf antisemtitische Ausfälle von Mitschülern, die zweite Heirat des Vaters, das Klavierspiel, die Tanzparties und nicht zuletzt durch die Sequenz vom Besuch der Mutter als autobiographische zu erkennen. Eindrücke, Episoden, kurze Dialoge und Reflexionen fügen sich zu einer Chronologie des Zweifels, des Ekels und der Entfremdung auf der Suche nach jenen Gesten und Gefühlen, die man das Erwachsensein nennt. Wie viele jüdische Gymnasiasten Wiens wird Peter Heller im Zuge des sogenannten ‚Anschlusses’ in das Sperl-Gymnasium in der Leopoldstadt, dem Stadtteil mit dem größten jüdischen Bevölkerungsanteil, transferiert. ‚In den Monaten bis zur Emigration bin ich weiterhin zur Schule gegangen. Die Lehrer haben uns beschimpft: ‚Ihr seid der Abschaum der Menschheit. Ihr habt es _ der Großzügigkeit des Führers zu verdanken, daß ihr überhaupt noch hier maturieren dürft.’ Das habe ich nicht vergessen. Aber es ist mir nichts passiert.“ Hatte Hans Heller unter dem Regime Schuschnigg und vor allem nach der Ankündigung des Plebiszits noch neue Hoffnung gefaßt, so bestand nach dem ‚Anschluß’ kein Zweifel mehr daran, daß Vater und Sohn als Juden und Sozialisten sofort außer Landes gehen mußten. Während Hans Heller 1938 noch die ‚Arisierung’ seines Betriebs in die Wege leiten und abwickeln muß, flüchtet der Sohn mit einem Cousin über Paris, wo er seine Mutter besucht, nach England. An der deutsch-französischen Grenze in Kehl werden die beiden von SS-Leuten — einer davon ein Schulkollege aus dem Realgymnasium - aus dem Zug geholt und müssen einen Raum am Bahnhof aufwischen. „„Saujuden, so wie ihr gekommen seid, mit euren Pinkeln am Rücken, so geht ihr jetzt wieder weg.’““ In England kommen Peter Heller und sein Cousin als Volontäre in der Zuckerwarenfabrik eines guten Bekannten des Vaters unter, doch kann der Achtzehnjährige sich nicht dafür erwärmen, ‚‚diesen Teig da zu walzen. Ich hab nur dumme Witze mit den Arbeiterinnen dort gemacht und bin sofort wieder weg.“ Nachdem auch dem Vater die Emigration nach England geglückt und die Stiefmutter nachgekommen war, lebte die Familie vorerst in London, dann in Liverpool, wo Hans Heller Arbeit in einer Zuckerwarenfabrik gefunden hatte. Peter Heller erneuert seine Freundschaft mit Katrina Ely Burlingham, die gemeinsam mit ihrer Mutter Dorothy sowie Sigmund und Anna Freud nach England emigriert ist. Auf Fiirsprache des mit ihm befreundeten, trotz Namensgleichheit nicht verwandten Germanisten Erich Heller! erlaubt Hans Heller seinem Sohn, nach Cambridge zu gehen, um dort Musik zu studieren. Doch ehe noch das akademische Jahr, in welchem Peter Heller sein Universitätsstudium beginnen soll, um ist, wird er 1940 nach der Kriegserklärung Großbritanniens an Deutschland von der britischen Polizei verhaftet und interniert — der zwanzigjährige Student gilt nun als ‚enemy alien’ (obwohl er bei den Tribunalen, vor denen jeder österreichische Flüchtling seine Verläßlichkeit als Nazi-Gegner beweisen mußte, unter die Kategorie C: ‚Refugee from Nazi Oppression’ und damit als Flüchtling eingestuft worden war). Was folgte, waren eineinhalb Jahre Internierung — vorerst in 22° einem Lager bei Liverpool, dann auf der Isle of Man. Ohne Ahnung, wohin die Reise geht, wird schließlich Heller gemeinsam mit deutschen Kriegsgefangenen sowie Gefangenen unterschiedlichster ideologischer und beruflicher Ausrichtung — Zionisten und Kommunisten, Kraftstemmern, Musikern, Kunsthistorikern, Professoren, Künstlern, Geschäftsleuten und professionellen Verbrechern — nach Kanada transportiert. Im Lager bei Quebec und danach in Sherbrook müssen sich die jüdischen Flüchtlinge nicht nur der Rancune nazistischer Kriegsgefangener erwehren, sondern auch antisemitische Anwürfe ihrer kanadischen Bewacher über sich ergehen lassen. ‚Als sie hörten, daß es sich gar nicht um eine gefährliche Nazi-Elite handelt, sondern um ‚ganz miese’ jüdische Zivilisten, haben sie uns alles weggestohlen und uns wie den letzten Dreck behandelt.‘“ Beim Morgenappell wird ihnen gesagt: ,,, We know you are Jews, but here you have to wash.’ „Geschrieben habe ich von meinem siebten Jahr an. Das habe ich nie ganz aufgegeben.“ Verstärkt wendet Heller sich im Lager wieder der Literatur zu, doch an die Stelle der poetisch-fiktionalisierenden Ich-Erfassung seiner Jugendzeit tritt nunmehr die narrative Erfassung des Alltags in Form eines Tagebuchs über die Ereignisse im Lager. „Die haben sich immer lustig gemacht über mich, weil ich die ganze Zeit schrieb.“ In einem Duktus, der meist karg abbildet, oft auch sarkastisch kommentiert (nicht zuletzt auch sich selber), hält Heller einzelne Geschehnisse, Gespräche, Gesichter, Gesten fest, die einen sozialen Mikrokosmos eigener Art erstehen lassen. Einige haben sich dem Gedächtnis so stark eingeprägt, daß der Autor immer wieder darauf zurückkommt: so der verwirrte, im Müll wühlende Schwachsinnige, der in vogelartiger Hektik von Bett zu Bett hüpft und jedesmal schreit: ,,Fa wuB?“ (,,Fiir was?“ 4 Die Erzählung ,,Der junge Kanitz. Bericht aus den 1940er Jahren” > entstammt diesem in Kanada geführten Tagebuch und bildet eine Hommage an einen von jenen abertausenden Verfolgten, die, in einem scheinbar sicheren Hafen gelandet, zuletzt doch an der Last der Vergangenheit und der Fremdheit der neuen Heimat zerbrochen waren. Biographie, Berichte aus dem Lager und politische Analyse greifen ineinander und vermitteln dergestalt einen detaillierten Einblick in eine von Krieg, Verfolgung, materiellem und seelischem Elend, Angst, Feindseligkeit und Reibereien geprägtes soziales Universum der Entwurzelung, welches einen feinfühligen jungen Mann zugrunde richtet. Daß Heller erst Mitte der 1990er Jahre daran ging, dieses umfassende Tagebuch auf eine vollständige Publikation hin zu redigieren, mag auf die Wechselfälle seines späteren akademischen Lebens zurückzuführen sein — möglicherweise jedoch auch auf seine immer wieder (und auch in diesem „Bericht“ ) geäußerte Überlegung, daß die Darstellung von Emigrationsleid durch einen (noch dazu seines Erachtens vergleichsweise mühelos) ‚Davongekommenen’ sich an den viel schlimmer Gequälten, an den Deportierten, Erschlagenen und Vergasten moralisch vergehen könnte. So betont Heller eingangs auch hier: „Vergleicht man die Erfahrung dieser Internierung mit dem Schicksal der vom Genozid Betroffenen, so wird man diese kleine Episode im großen Zweiten Weltkrieg mit Recht als harmlos bezeichnen.” ! Nach seiner bedingten Freilassung im Herbst 1941 beginnt Peter Heller, an der privaten McGill University in Montreal Musik und deutsche Literatur zu studieren; 1944 erhält er einen Bachelor of Arts. Im selben Jahr heiratet er seine Jugendfreundin Katrina Ely Burlingham und übersiedelt mit ihr nach New York, wo er sein Studium an der Columbia University fortsetzt (Masters of Arts 1945). „Irgendwie habe ich immer geschrieben — aber dann hauptsächlich ‚papers’ fürs College.“ Aus beruflichen Er