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tie (oder gar des vielfach geübten professoralen Spezialistentums in Eckermann-Manier) stets zu widerstehen verstand,.beschied er sich auch nicht mit dem Einerlei akademisch-forscherischer Umtriebigkeit. Allzu eng und arm, kurios und weltfremd, zuweilen geradezu lächerlich erschien sie ihm mitunter, die universitäre Beschäftigung mit Literatur — auch in ihren Zielvorgaben und Ausdrucksformen (wie beispielsweise eine Parodie auf Goethes „Über allen Gipfeln ist Ruh“ belegt): Professors Nachtlied Über allen i-Tüpfelchen ist Ruh. In allen Satz-Gipfelchen spürest du kaum noch den eigenen Hauch. Die Fußnoten schweigen im Blätterwalde. Warte nur, balde, vergißt man dich auch.?” Die Zweifel an den ‚Großen’ und am ‚Großen’ in Dichtung und Philosophie waren stets von Zweifeln am Betrieb und nicht zuletzt an den Erkenntnismöglichkeiten akademischen Schreibens begleitet. „Furchtbar viel Wissenschaft“ habe er in den 1960er Jahren betrieben, bekannte Heller — „beziehungsweise das, was man eben so Wissenschaft nennt.“ Also schrieb er auch weiterhin Literatur: Gedichte, Erzählungen, Fabeln, Parabeln und Satiren. Zwar hatten sich mit dem erzwungenen Wechsel vom Deutschen ins Englische sowie dem Eintritt ins Berufsleben die Träume verflüchtigt, ein großer Dichter werden zu wollen oder sogar zu müssen, doch blieb die eigene und eigenständige Suche nach der literarischen Erweiterung der Welt stets Anliegen und liebgewordene Gewohnheit zugleich. Seit Mitte der 1950er Jahre erschienen einzelne Gedichte in deutschen und US-amerikanischen Zeitschriften, zwischen 1974 und 1995 schließlich mehrere eigenständige Anthologien: „Prosa in Versen” 3 „Menschentiere” >’, , Emigrantenlitaneien. Alphabet. Sprachlehrerlyrik” 6 In Transit. Prose and Verse in German and English”*'. Ebenso kundig wie rigoros geißelt der Lyriker jene Welt, in der sich nicht wenige ihrer Mitglieder bereits nach Eintritt und erster Eingewöhnung, die meisten dann nach Bewältigung der diversen Intitiationsriten in endgültiger Selbstgenügsamkeit und Selbstbeweihräucherung ergehen: die Akademia, die er selber wie aus der Westentasche kennt. Sein unbeirrter und unkorrumpierter galliger Zorn richtet sich gegen universitäre Katzbuckelei, Kameraderie und Animosität (ein noch vor jeder Globalisierung geradezu globales Phänomen): „‚Das halte fest, und frag dich immer: / ,Whose ass am I supposed to kiss?“ meint der ,, Professor in Amerika“ im gleichnamigen Gedicht.© Um zu reüssieren in dieser Anstalt, tun ,, Verbeugungen“ not: Manchmal, unter Kollegen, tut man, als war man nicht zu verbiegen — und bleibt doch fast auf dem Boden liegen und ist doch, weiß Gott, nicht minder verlogen und fiir sein Leben vom Buckeln verbogen manch Mal unter Kollegen.‘ Zweifel (nicht zuletzt auch an der Sinnhaftigkeit der eigenen Arbeit) beschlichen Heller, verglich er die angemaßte Anwartschaft der Universität auf intellektuelle und soziale Avantgarde mit deren tatsächlicher Funktion: „‚Academia, the community of the spiritually impotent, has ever lagged behind the vanguard of History.”°* Dennoch festzuhalten am Projekt der Aufklärung in akademischer Lehre und Forschung, heißt dann eben - ein Baron Münchhausen sein. „Was tun wir professionellen Akademiker, was versuchen, was streben wir einzeln sowie gemeinsam an, wenn nicht ebenjene Leistung, die dem Baron gelang? Im Schlamm unserer geistigen Existenz halb versinkend, trachten wir aus eigener Kraft, sei es am Zopf unserer Tradition, sei es an einem nach neuem Schnitt zugerichteten Zopf, Schopf, oder Kopf zerrend, uns selbst samt dem uns so werten, nährenden, tragenden Studentenvieh diesem Sumpf zu entheben“ & Zeit seines Lebens war Peter Heller passionierter Leser, mehr als vier Jahrzehnte hat er Literatur gelehrt: über Literatur des 16. Jahrhunderts, Aufklärung und Lessing; Sturm und Drang, Goethe, die Romantik, Heine und Nietzsche; über Expressionismus, Kafka, Brecht und Thomas Mann; auch Byron, Flaubert und Thomas Hardy, T.S. Eliot, Heidegger und Wittgensteins Wien. Was wunder, wenn die Lyrik und Erzählprosa Hellers Zitate und literarische Anspielungen durchziehen. Die Erzählung ‚Marcel. Epistel aus den 1950er Jahren“ stellt die Titelfigur mit ihren „zwei Seelen, der hohen und der niedern“ , nicht ohne Sarkasmus als „„‚faustischen’“ Charakter vor. Heimito von Doderer wird genannt und der „Herr H von H in Rodaun“ (Hugo von Hofmannsthal); Kastalien bereite nicht vor auf das Leben (wie in Hermann Hesses „‚Glasperlenspiel“ ), denn die ,,oben hocken, die Mächte, die tuns mit unreinen Händen fürs Leben, in dem man mit reinen Händen nichts aufsteckt” ; es „‚stehen die letzten Tage der Menschheit zur Diskussion zwischen zwei Pappendeckeln“ (Karl Kraus: ,,Die letzten Tage der Menschheit“ 6, und dem „Schmeichler der Welt“ wird prophezeit: ,,warte nur balde, kommt auch dir die Stunde, da, hochaufschlagend, Bitternis tiber dich herfällt“ (Goethe: „‚Über allen Gipfeln ist Ruh“ ).67 Nicht selten wird der Bezug zu Literarischem lyrisches Thema oder Programm und gibt auch die Form vor: Auf Hans Magnus Enzensbergers prominentes Gedicht ,,Ins Lesebuch fiir die Oberstufe“ (,,Lies keine oden, mein sohn, lies die fahrplane“) gibt Peter Heller die abschlägige ‚Antwort des Emigranten”: Laß die gelehrten Antipoeten, Artisten der Anti-Artistik, Laß Handlungsreisende, laß Touristen hochaufschlagenden Herzens vor fettgedrucktem Orient-Expreß, Queen Mary, oder dem jet-set, die Fahrpläne lesen. [...] - es währet aber, mein Sohn, der Fahrplan meistens ein Jahr nur [...] Lern mehr als ich, lern Griechisch, lies Pindar, lies Oden, denk ans Solide, die gut sind für zweitausend Jahre und mehr.°® 25