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Der „Ballade vom armen B.B.“ (Bert Brecht) setzt Heller eine Iyrische Parodie auf deren Autor entgegen und gibt ihr denselben Titel®, und Goethes ‚‚Heidenröslein‘ , das Heller 1982 in den mit Edith Ehrlich herausgegebenen „German Reader“ ‚Dichter, Denker und Erzähler“ eingerückt hat””, verdorrt parodistisch zur Staude auf dem Baugelände: Traktor spricht: Ich breche dich Staude flüstert: Lächerlich! Staude Staude Staude grau Staude auf dem Baugelände”!. Überhaupt zählten Parodie, Satire, Groteske und damit Muster ebenso beißenden wie beziehungshaltigen Spottes zu den von Heller bevorzugten dichterischen Ausdrucksformen. Das Spektrum reicht von vereinzelten Stilparodien literarischer Richtungen (u.a. ,,Neuromantisch“, ,,Expressionistisch“, ,,Neu-sachlich“, „Neu-religiös” 7?) über parodistische Gattungsexempla (,,Hämisch reibt im Hexameter sich der Krüppel die Hände; / Im Pentameter drauf knallt dir sein Hieb vor den Latz.”’”?) bis zu ganzen Gedichtzyklen aus (auch so benannten) „‚Satiren”’* und „Grotesken“ .” Verzerrung als Entzerrung sowie das spottende laute Lachen über Dummheit und Gemeinheit verbinden die beiden Genres Satire und Groteske — aber auch der scharfe unerbittliche Blick. ,,Lucilius sagt‘ , heißt es im Gedicht ,, Aspekte der Satire“ mit Bezug auf den eigentlichen Begriinder der Gattung, Gaius Lucilius: ‚„‚Ein zorniger Köter spricht - / offener als ein Mensch’“ .’6 Insofern sich in der Satire durch Darstellung und Kritik des Normwidrigen eine kritische Grundhaltung äußert und die Groteske v.a. des 20. Jahrhunderts sich als Wiedergabe einer grotesk gewordenen Wirklichkeit versteht, verbirgt sich in beiden Genres ein didaktischer Grundimpuls. Offen didaktische Gattungen wie Parabel und Fabel stehen am anderen Ende der dichterischen Ausdrucksskala von Peter Heller (,,Fabeln” ”’ ‚‚Fabein und Parabeln” ’®). Kurzgefaßte, metaphorisch verknappte Exempla bıeten die beiden Gattungen definitionsgemäß dar, doch mißtraute der Autor jeder sentenziösen Pose allzu sehr, um auch der zweiten Forderung von Fabel und Parabel, nämlich der Lieferung fertiger Lebensklugheit, sklavisch genüge zu tun. So erzählt beispielsweise ‚On our Freedom of Speech” ”? von zwei Fabelgeschlechtern, denen eine Zauberwolke einen Sack von Wortern zum Geschenk macht. Das eine benutzt ihn dazu, die Menschen zum Wohle des Fortschritts den ,richtigen’ Gebrauch Das andere hat einen viel smarteren Weg zum selben Zweck gefunden, wie einer der ,,Gobelones“ beteuert: And when they say beep, millions have to listen, but when some crazies want to babble, it is okay with us, and nobody listens. And so they can speak and fill the air above their silly heads and be as free as they please. [...] And what is more, [...] we set aside places for those softheaded citizens. We put glasshouses over them, surrounded with greenery. And there ¢ in the groves of Academe ¢ they can talk to each other. Everyone, in fact, can go there and join in. It is even fun, as long as you forget about it when you get out again into the real world. [...] Therein, my friend, [...] lies the superiority of our system. For we slave in the name of freedom while you claimed to be free in the service of slavery.®° Die fabelartige Parabel gerät zur Satire über die Grundfesten der westlichen Welt, die ‚‚Freiheit‘“ auf ihre Fahnen geheftet hat, und des (damals) realexistierenden Sozialismus. Namentlich in den Fabeln, Parabeln und parabelartigen Gedichten öffnet die Perspektive sich auf Politisches: auf den Kalten Krieg (,,Die Angeber. Eine Rede des Barons [Münchhausen] aus der Epoche 26° des Kalten Krieges” Bly die schöne neue Konsumwelt nach dem Kalten Krieg (,‚Ein Teufelskonsilium (1995)“ mit den Hauptfiguren Luzifer und Beelzebub*’) und auf die politische Dynamik von Masse und Macht. Im Gedicht ,,Apologie des Arsches“, einem kurzen dialogischen Schlagabtausch zwischen ,,Arsch“ und ,,Knie“ (eine Anspielung auf Christian Morgensterns Galgenlied ,,Ein Knie“ 2°, lautet die vorangestellte Kardinalfrage: „Ein Knie /— warum nicht auch ein Arsch?“ Das Knie beantwortet sie mit einem Vierzeiler: Der Arsch ist gesellig Gesellen gesellt, es zieht den Arsch zu den Ärschen: das macht: wo viel Ärsche beisammen sind, da kommt es zu Massenmärschen.* Die Zeit der Massenmärsche in Wien blieb Peter Heller ganz genau im Gedächtnis, und die Untiefen des ‚goldenen Wiener Herzens’, das deren Bodensatz abgab, ebenso. Bei seinem ersten Wien-Besuch nach dem Krieg war die Stadt noch in Zonen eingeteilt. „Damals war ich von Wien wenig angetan. [...] Alsich dann später nach Wien kam, war ich... wie weg, wie aufgelöst, hingerissen. Komisch ist das.“ Was sich hinter der ‚Wiener Gemütlichkeit” verbergen kann, brannte sich der Erinnerung unausléschlich ein: ,,Man hat immer diese merkwürdigen Gefühle — immer. Da denkt man: ‚Der, der war sicher ein Nazi, der hätte dich umgebracht.’ Ich glaub nicht, daß man das je ganz los wird.“ Der argwöhnischen Abscheu vor der unvergänglichen Vergangenheit der Stadt begegnete der ehemals Ausgestoßene mit jenem Habitus, der auch sein Verhältnis zur literaturwissenschaftlichen Zunft prägte: mit Zynismus. „Hab dich damals“, sprach er Wien in familiärem Du an, ‚„‚ja recht gern verlassen,“ ohne Trauer, ohne Phrasen, ohne dich zu lieben oder sonderlich zu hassen, einzig, weil ich, artfremd wie ich bin, mich nicht wollt’ vergasen lassen.” Dem zwischen Amerikakritik und Österreichskepsis zerrissenen „Inbetweener“ , als der sich Heller fühlte®®, erschienen die leeren Straßen Wiens noch am behaglichsten: Heimlich sind mir die Straßen von Wien wenn sie menschenleer sind und abends der Lahngangsee im Toten Gebirge.®’ Die Sprache wurde dem aus der Sprache vertriebenen Professionisten der Sprache notwendig zu einem ganz besonderen Angelpunkt der Existenz — zumal man ihm einst als Juden die Muttersprache überhaupt abgesprochen hatte. ‚Muttersprache‘ wurde dergestalt zur Fastheimat. Wie alles Geliebte dem Juden mit Vorbehalt zugetraut.®® Dennoch hielt Heller an der ‚‚Muttersprache“ fest - „oder wurde von ihr festgehalten.” °° In den ersten Jahren in den USA versuch