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Recht auch immer in den Einzelheiten, Heinrich Heine war unzweifelhaft diejenige Gestalt der deutschen Literatur- und Kulturgeschichte, auf die man unter den Exilierten am meisten anspielte. Wenn sich die Initiative zu einer deutschen Volksfront im Exil „Lutetia-Kreis“ nannte, so ist das äußerlich mit dem Treffpunkt im Hotel Lutetia zu Paris erklärt - aber für jeden gebildeten Deutschen klang auch da noch Heine an und sein ,,Lutetia‘‘-Buch. Welche Schicksale und Parteinahmen seines gut dokumentierten Lebens, Elemente und Tendenzen des Werks und seiner Wirkungsgeschichte, welche Ziige auch der von ihm und anderen geschaffenen Kunstfigur Heine boten sich dem deutschen Exil an zu stabilisierender Identitatsfindung und einer auf praktische Wirkung denkenden Selbstdarstellung? Es waren zunächst natürlich die mehr oder minder äußerlichen Gemeinsamkeiten. Fast genau ein Jahrhundert vor jenen ‚‚trüben Gästen“ hatte Heine sich der - in seinem Fall gewiß ungleich geringeren — Gefährdung, der allgemeinen Unfreiheit, besonders aber der Zensur entzogen und seinen Wohnsitz in Paris genommen. Er hatte dies ‚mit dem Gesicht nach Deutschland“ getan, hat bei aller kosmopolitischen Neigung und aller Frankophilie nicht Franzose werden wollen, sondern verstand sich bis zu seinem Lebensende als ein exilierter Deutscher; ja man kann ihn — wohlunterschieden von denen, die er als ,, Teutomanen“ immerzu bekämpfte — mit guten Gründen auch einen Patrioten nennen. Die Position eines Verjagten oder doch Gewichenen, der sich nicht damit arrangierte, selber freiere Luft zu atmen, sondern sich in geographischer Nähe aufmerksame Sorge um seine Heimat angelegen sein ließ und — auch dies natürlich mit seinerzeit so viel geringeren Mühen: nach Deutschland hineinwirkte, stand dem Selbstverständnis der meisten Exilierten nahe. Wovon sie fast alle freilich nur träumen konnten, aber in aktivem Zelebrieren des Andenkens naturgemäß gerne träumten, war das „‚Eingebürgertsein, die geradezu häusliche Geborgenheit in Paris“ (W. Hinck), wie sie sich etwa in der Schlußstrophe der vielzitierten ,,N achtgedanken“ dokumentiert: „‚Gottlob! Durch meine Fenster bricht / Französisch heitres Tageslicht; / Es kommt mein Weib, schön wie der Morgen, / Und lächelt fort die deutschen Sorgen.“ Geradezu zu neiden war diesem Vorgänger die geachtete, mehr noch: beachtete Stellung im gesellschaftlichen und Kulturleben der gastgebenden Nation. — Ließe sich vieles, nicht alles, des bisher Vorgebrachten auch etwa über Georg Forster oder Ludwig Börne sagen, kommt im Falle Heines etwas Einzigartiges als das Entscheidende noch hinzu. Ich meine seinen Erfolg, seine Popularität und — mit Zögern hingesetzt, doch zu unserer Verständigung unerläßlich: seine Volkstümlichkeit. Aller Intellektualität und allen ironischen Brechungen zum Trotz gehört Heines Lyrik zum deutschen ,,Hausschatz“ und — häufiger noch vertont als Goethe — zum Repertoire jeder ‚‚Liedertafel“. Es ist dies das ideale Kernstück einer Exulantenidentität: von den Machthabern in die Verbannung getrieben, vom Volk aber geliebt, das Andenken der Tyrannis zu überdauern. Um noch genauer zu sein: was für eine Vielzahl der ab 1933 schmählich Exilierten so anziehend war, ist der merkwürdige Umstand, daß der in Deutschland zu Lebzeiten nicht Gelittene in Motiven, Gestus, Ton seiner Poesie so ungemein deutsch war, das Eigenartige, auch: Bezaubernde einer spezifisch deutschen Tradition traf, fortführte und schließlich insoweit mit-repräsentierte, daß er noch heute, weltweit, vielen guten Kennern der Literaturen als einer der zwei oder drei ganz großen deutschen Dichter gilt, den Russen vielleicht als unser größter. Blenden wir das Problematische seiner exponiert modernen, den Markt beliefernden Berufsübung mit den von Karl Kraus aufgespießten Auswirkungen im Dekorativen seiner Kunst noch aus, so ist hervorzuheben: Heine schien seinen deutschtümelnden Gegnern provokant überlegen auf Gebie Horst Janssen: Heinrich Heine. Bleistift und Farbstift, 1972 ten, die sie gern als die ihren gesehen hätten. Das in der Rezeptionsforschung häufig zitierte Diktum der SS-Zeitung ,,Das Schwarze Korps“ von 1935: „‚daß dieser Mann Jude war und daher nicht in den Raum unserer Literatur gehört“, ist ja gegen das Wissen angeschrieben, daß das Geleugnete gar wohl der Fall war. Aus Heines frühem Aufsatz ‚Die Romantik“ ist seine Formulierung geläufig, daß das deutsche Wort „ein Vaterland [sei] selbst demjenigen, dem Torheit und Arglist ein Vaterland verweigern.“ Theodor Adorno hat sich freilich für die These starkgemacht, daß die scheinbar unbemühte Glattheit seiner Diktion „‚das Gegenteil heimatlicher Geborgenheit in der Sprache“ gewesen sei: Heines ‚‚Widerstandslosigkeit gegenüber dem kurrenten Wort ist der nachahmende Übereifer des Ausgeschlossenen.“ Freilich ist Adornos Vermutung, noch Heines Mutter sei ,,des Deutschen nicht ganz mächtig“ gewesen, in der Forschung widersprochen worden. Wie auch immer: Heine gleich, verstanden sich die von der sogenannten Nationalen Erhebung verbannten und verbrannten Dichter als authentische Vertreter deutscher Kultur, sahen sich vertrieben und im literarischen Betrieb oder dem, was davon geblieben war, gewaltsam ersetzt durch regimegehorsame Drittrangige, die nun gerade auch was die deutsche poetische Tradition anging, ihnen das Wasser nicht reichen konnten. Die Juden unter ihnen hatten solche Erfahrung schon früh gemacht. Autobiographischen Aufzeichnungen läßt sich vielfach entnehmen, daß es eine lang etablierte Spielart des Pennäler-Antisemitismus gewesen war, das „Jüdlein“ in der Klasse zu zwingen, für die andern just „‚den deutschen Aufsatz“ zu schreiben, und wie leicht es für einen jüdischen Jungen — der eigentlich „nicht dazugehörte"! — bei einiger Begabung war, die 31