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deutschtümelnden Bildungsbürger auf deren ureigensten Gebieten zu übertrumpfen. Feuchtwanger, der davon einiges berichtet, schrieb später mit leichter Hand eine vielbeachtete germanistische Dissertation und mußte doch erfahren, daß ihm eine Professur ohne Taufe versperrt bleiben würde. Man weiß: gerade Heine hatte ähnliche Erfahrungen gemacht. Übrigens behandelte Feuchtwangers Doktorarbeit Heines „‚Rabbi von Bacherach“, undes ist peinlich genug, daß die Münchner Universität, als sie sich 1952 endlich dazu herbeiließ, dem berühmten Romancier die 1933 aberkannte Doktorwürde erneut zu bescheinigen, förmlich urkundete, die Promotion habe vom Rabbi von Biberach gehandelt. Feuchtwanger in seiner Art hätte wohl sagen können: noch die „Wiedergutmachung“ fiel „‚rindviehhaft“ aus. Hier ist wohl die Stelle, anzumerken, daß sogar die zynischen Anwürfe gegen das deutsche Exil nach 1945 identisch schon gegen Heine vorgebracht worden waren. In der weit ausholenden Beschimpfung durch Adolf Bartels von 1906 kann man jedenfalls nachlesen, Heine habe ‚‚seine Kämpfe von Paris aus, wo er sicher saß, ohne Einsetzung seiner Person, gewissermaßen hinterrücks geführt.“ Hinsichtlich der Erfahrung, von vorgeblich deutscheren Deutschen bedroht und ausgebürgert worden zu sein, die des Deutschen so viel weniger mächtig waren als ihre jüdischen und nichtjüdischen Opfer, war Heine ein Vorgänger: Heine, der sich doch (nach eigenem Bekunden in einem frühen Brief) als Erbe und Erneuerer , deutschen Gefiihls“ und „deutschen Gesangs“ und der „tiefen Naturlaute‘“‘ des deutschen Volkslieds fühlte (1824); er war ein Vorgänger in der Verärgerung wie im galligen Humor ihrer Bewältigung. Seine Romanze „Donna Clara“ handelt von einem unerkannt jüdischen Ritter, der von einer antisemitisch schwadronierenden Schönen als Idealbild eines Recken und Inkarnation des Heiligen Georg angesehen wird und schließlich klarstellt: ‚Ich Sennora, Eur Geliebter, / Bin der Sohn des vielbelobten / Großen schriftgelehrten Rabbi / Israel von Saragossa.“ Von der Gestalt Heines ergingen vielfältige Einladungen an die Nachgeborenen zur Identifikation. Für manchen mag die positive Sinnlichkeit, seine angebliche ‚‚Frivolität“,, attraktiv und verblüffend jung gewesen sein; weiter seine unangestrengte Kunst, amouröse Poesie und politisches Engagement zu verflechten; wichtiger aber noch die Mittlerschaft zwischen Deutschen und Franzosen, die er als sein „Amt“ bezeichnete. ‚Ich werde [...] alles Mögliche thun, um den Franzosen das geistige Leben der Deutschen bekannt zu machen; dieses ist meine jetzige Lebensaufgabe und ich habe vielleicht die pazifike Mission, die Völker einander näher zu bringen. Das aber fürchten die Aristokraten am meisten; mit der Zerstörung der nationalen Vorurteile, mit dem Vernichten der patriotischen Engsinnigkeit schwindet ihr bestes Hülfsmittel der Unterdrückung.‘ Namentlich sah sich Heine berufen, den unterschiedlichen Errungenschaften der beiden Völker ihr je fehlendes Komplement zu vermitteln, denn die Deutschen hatten „den Bruch mit dem Bestehenden und der Überlieferung im Reiche des Gedankens ebenso wie die Franzosen im Gebiete der Gesellschaft.“ Nun, das sind Ideen des 19. Jahrhunderts, aber jüdische Denker hatten noch bis in die 1930er Jahre im Anschluß an gewisse Theoreme Theodor Lessings über jene Mittlerrolle nachgesonnen, die aufgrund ihrer eigenartigen Stellung wohl den Juden zukomme. Muß man aber, was die partielle Verwirklichung dieser Postulate angeht, nicht an einen vor allen denken, einen nichtjüdischen Schriftsteller: an Heinrich Mann? Spätestens seit seinem Zola-Essay von 1915 galt er als ein guter Kenner und engagierter Deuter des französischen Geistes32° lebens, schrieb auch selber ein brillantes Französisch, so daß er mit seinen regelmäßigen Beiträgen für die einflußreiche Depeche du Midi einer der wenigen Emigranten war, die nicht nur ihresgleichen erreichten. Daß selbst er vergeblich um einen französischen Paß einkam, hat ihn nicht bitter gemacht: das opus magnum seiner Exiljahre, der ‚Henri IV“, ist eine Liebeserklärung an ein Land, das ihm nicht zufälliger Fluchtport gewesen ist. Nicht nur seiner konzilianten Integrität wegen, sondern auch aufgrund seiner souveränen, in gewisser Weise eben wieder an Heine erinnernden Stellung als Deutscher in Frankreich war er der ungekrönte König des Exils. Demütigend und beleidigend war für Heinrich Mann der erzwungene Abschied von Frankreich und sein letztes Lebensjahrzehnt als ein Irgendwer in Amerika. In der Flucht des 70jährigen Frankophilen zu Fuß über die Pyrenäen manifestiert sich die krasse Erfahrung der Flüchtlinge des Dritten Reichs, zweimal verjagt worden zu sein. Daß jemand von seinem Rang und Ruf in dieser neuen Phase des Exils fern von Europa und nun kaum bekannt und nicht gefragt mit manchmal vier Dollars die Woche, manchmal mit zwei auskommen mußte (wie ein Brief beklagt), macht nicht nur sein Scheitern, sondern eine weit größere Katastrophe anschaulich. Daß 1941 nach neuer und weiterer Flucht aus Lebensgefahr ein Heinrich-Heine-Klub in Mexiko konstituiert wurde; daß — wie eine bekannte Publikation im Titel hieß — „‚Heines Geist in Mexico“ (1946) beschworen werden mußte, kann gar nicht irritiert genug bedacht werden. Die sich in Heines Nachfolge verstanden, jetzt fanden sie sich, im günstigsten Fall, jenseits des Ozeans wieder, und, überblickt man es von heute, wirkt die vordem entfaltete politische Polemik und poetische Sehnsucht über den Rhein nachhaus fast „‚harmlos“ und irgendwie konventionell! Ja, es gibt eine allzu gefällige Rezeption des exul poeta Heine. Sie begegnet uns allenthalben, wo das Etikett „im Exil wie damals schon Heinrich Heine‘ leichthin vergeben wird, und häufig im Verein mit einer sentimentalen Metaphorik politisch eingefärbten Heimwehs. Bei allem ihm zukommenden Respekt, ja Sympathie, muß man Wolf Biermanns ostentatitve Nachfolge seines ,,Cousins“, wie er Heine in seinem ‚‚Wintermärchen“ (1972) nennt, hier verorten. Biermann ist ja nach seiner Ausbiirgerung aus der DDR nach Paris gegangen, nicht um dem geteilten und komplizierten Deutschland den Riicken zu kehren, sondern ihm in sehr Heinescher Manier von dort die Stirn zu bieten. War in seinem Fall die Nachfolge Heines eine kiinstlerisch durchaus fruchtbare Selbststilisierung, die aber doch den Eindruck der Unverhältnismäßigkeit hinterließ, so barg umgekehrt der alleweil angedeutete oder ausgeführte Vergleich des vom Hitlerfaschismus erzwungenen Exils mit dem des Heinrich Heine die Gefahr ungewollter Verharmlosung, ja das manifeste Unvermögen, einer bisher ungekannt schrecklichen Gewaltherrschaft, namentlich dann Not und Tod des deutschen Judentums, irgendwie angemessen zu begegnen. Freilich, was wäre schon angemessen gewesen? Paradoxerweise ließe sich aber sagen: Das scheinbar Groteske des erneuten, nunmehr in Mexiko, in „‚exotischer“‘ Fremde aufgerufenen Patronats Heines war der verwirrenden Radikalität der Erfahrung gemäß: der Erfahrung von Flucht und wieder Flucht und Lutetia nunmehr am Fuße des Popocatepetl. Ein Blick in die Veranstaltungsprogramme des Heine-Klub zu Mexiko zeigt indes, daß seine literaturkundigen Mitglieder, wo sie sich inhaltlich mit ihrem Namenspatron befaßten, in ausgetretenen Pfaden stapften und sich offenbar gar nicht dem späten Heine zuwandten, bei dem es Dichtungen, Parteinahmen, Gedanken zu entdecken gab, die in der neuen Lage wesentlich hätten werden können: existentielle Leiderfahrung, Witz im Elend, Ha