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der mit der Amoralität der Geschichte, erneutes Bedenken seines Judentums, vor allem auch die Hinwendung zu den Misérables im Weltmaßstab. Heines Ballade vom „Sklavenschiff“ (1853/54) steht nicht so isoliert, wie mancher wohl meint. Harriet Beecher-Stowes ,, Uncle Toms Cabin“ (1852) war ihm eine wichtige Lektüre in der Matratzengruft, daneben die ältesten Berichte über die Neue Welt. Von Jugend an in der Welt des maurischen Spanien und der Reconquista zuhause, hat ihn die Conquista zuletzt sehr beschäftigt. Aber außer einer kleinen, in die Zeitung „Alemania Libre“ eingerückten Kostprobe aus Heines ,, Vitzliputzli* (der alberne Name ist ja eine Verballhornung des aztekischen Kriegsgotts Huitzilopochtli) haben die — nicht nur geographisch — hier naheliegenden Stoffe nicht Eingang gefunden in die Diskussionen der Exilierten bei ihren Treffen im Schiefersaal und der Calle Varsovia in Mexiko-Stadt; nicht das Versepos von der Insel Bimini: von den Fahrten des Juan Ponce de Leon, der die ewige Jugend findet — im Tod; ein keineswegs nur verspieltes Spiel um Utopie und ihren einzigen Ort: die Poesie. Gemeinsame Lektiire und Gespriich wert gewesen wire auch: eines der spannendsten Bücher der deutschen Exilliteratur überhaupt — es soll hier erwähnt sein, da es auch und besonders von Heines Großonkel handelt: ‚Der Chevalier von Geldern“ (Amsterdam, 1937): Fritz Heymanns Lebensbeschreibungen jüdischer Abenteurer und Glücksritter, einmal mehr im Umkreis der Columbus’ und Cortez’. 500 Seiten voll der erstaunlichsten Einblicke ins europäische Judentum, fern der etablierten Klischees! Anna Seghers sagt in ihrer Rede Abschied vom Heinrich-Heine-Klub von dem ,,Schutzpatron unserer Gemeinschaft in diesem seltsamen Land“: „Ihm wäre das Land nicht gar so seltsam erschienen.“ Er hätte sich Hidalgo, Morelos und ihren Nachkommen verbrüdert. Freilich zählt sie diese interessanten Gesichtspunkte, mit denen man der Eurozentrik einmal wohltuend entkommen wäre, unter den Themen auf, ,,die an unseren Abenden [im Klub] nicht zur Sprache kamen.“ So ist die Namenswahl nicht anders als die Gründung des Vereins überhaupt wohl doch ein bündnispolitisches Kalkül kommunistischer Intellektueller gewesen, das auf das jüdisch-deutschstämmige Bürgertum in Mexiko zielte, Attraktiveres bieten sollte als dessen Menorah-Kreis und so der vor Ort schon etwas länger tätigen, angeblich trotzkistischen Liga Pro-Cultura Alemana das Wasser abgraben sollte. Übrigens berief sich noch manch andere politische Bestrebung im Exil auf Heinrich Heine und naturgemäß nicht nur in Mexiko. So hebt ein Vortrag Ernst Fischers iiber ,, Deutschland ein Wintermärchen“ aus der Exilzeit Heines preußenfeindliche Haltungen enorm heraus (die in der Tat ja gelegentlich kräftigen Ausdruck fanden, besonders in der Vorrede zu den „Französischen Zuständen“ von 1832) — bei Fischer aber deutlich auf der Linie der von Moskau wieder gewünschten Eigenstaatlichkeit Österreichs, deren theoretischer Begründung sich seine Publizistik damals intensiv widmete. — Besonders instrumentalisierbar für stalinistisches Taktieren, konkret: für jene Konzeption eines „breiten Bündnisses“, in welchem den Parteileuten — etwas verträumt und ohne letzte Radikalität, aber willig — bürgerliche Künstler Gefolgschaft leisten, ist das Bild, das Heinrich Heine in der Vorrede zur ‚‚Lutetia““ von sich zeichnet. Da behauptet er, ‚‚Grauen und Schrecken“ vor der Zeit zu empfinden, wo die Communisten (denen „die Zukunft gehört‘) alle jene „‚Schnurrpfeifereien der Kunst“ zertriimmern, ,,die dem Poeten so lieb waren“: ,,und ach! mein Buch der Lieder wird der Krautkrämer zu Düten verwenden, um Kaffee oder Schnupftabak darin zu schütten für die alten Weiber der Zukunft... Und dennoch, ich gestehe es freimüthig, übt ebendieser Communismus, so feindlich er auch allen meinen Interessen und Neigungen ist, auf mein Gemüth einen Zauber, dessen ich mich nicht erwehren kann.“ Präsentiert man eine solche humorige Confessio ohne Reflexion ihrer Entstehungszeit, in welcher die „Communisten“ ein Grüppchen Junghegelianischer und anderer Denkstuben-Provenienz mit geringem Einfluß waren, ist Heines Plauderei geeignet, Vorbehalte zu verniedlichen, die angesichts im kommunistischen Milieu mit liquidatorischer Härte geführten Formalismus- und Realismus-"Debatten“ Ernst und Tragweite bekamen! Gewöhnlicher aber war das Unterfangen, Heine etwas simplifizierend dem „Erbe“ zuzurechnen, das vorübergehend der Emigration zur Pflege anvertraut war. In einer Veranstaltungsreihe in Mexiko zum Beispiel folgten aufeinander Vorträge über Goethe, Heine und Kant. Auch sonst rangiert er in derartigen Listen. Doch genau da zeigt sich die ganze Problematik der Ikone, der Chiffre Heine. Als Präfiguration der Exiliertenexistenz drängte der Dichter der unerwiderten Liebe sich geradezu auf. Aber als Galionsfigur derer, die das ,,Erbe“ des ,,wahren Deutschland“ zu behiiten beanspruchten, bedeutete er eine gewagte Beglaubigung — von Anfang an. Das Patronat ja eines Juden, eines Schlemihl in den Augen der Bodenständigen, umhergetriebenen ,,Hollanders“, Ahasvers gar, eines „Kaspar Hauser“ (wie Hans Mayer sagte), wenigstens eines Eulenspiegel und problematischen Vorläufers der ästhetischen „Moderne"! Insoferne die Exilierten nach Deutschland hin argumentierten und davon träumten, dort (wieder) Gehör zu finden, erscheint ihre Berufung auf ihn jedenfalls naiv. Denn neben und trotz seiner Breitenwirkung und Beliebtheit war Heine in Deutschland doch auch immer ein Ärgernis - man denke nur an die Zankereien um jedes Heine-Denkmal oder das langwierige Tauziehen um eine Heine-Universität in seiner Geburtsstadt! —, und er ist eine ,, Wunde“ (Adorno) geblieben. Die Emigration hat wohl auch die Primitivität und Kulturlosigkeit des NS-Regimes unterschätzt, das Heine ja keineswegs, das Skandalon meidend, als ,,spaten Romantiker“ oder ähnlich approbiert, sondern theatralischen Autodafés ausgeliefert hat (es freilich nicht lassen konnte, die ,,Loreley“ zu einem anonymen Volkslied zu erklären, und also ein merkwürdig gebrochenes und keineswegs konventionelles Gedicht kanonisiert hat). Selbst von Lessing, den man mit den Methoden des Prokrustes in die Schullesebücher des Tausendjährigen Reiches paßte, hieß es ja hinter nicht immer vorgehaltener Hand, eigentlich habe er wohl doch Levi geheißen. ‚, Voltaire verhaftet man nicht“, ist kein deutscher Satz. Alles in allem blieb die Berufung auf Heine im Exil plakativ. Das Nebeneinander und Ineinander von seinem Erfolg unter den Deutschen und seinem Außen-vor-Gebliebensein — beispiellos und signifikant in der Geschichte der Juden in Deutschland — wurde nicht recht zum Thema. So sehr er die Exilierten zu einer rasch und dankbar angenommenen Identifikation einlud, so deutlich wird an ihm die Problematik der „Kunst zu erben“. Im Fall Heine war kein Erbe anzutreten, ohne es vorab und erstmalig schwierig zu erwerben. So war seine Ehrenbürgerschaft im Exil kein Remedium gegen das ‚„‚schiefe‘“ Verheilen der Wunde (um eine Formulierung Heiner Müllers aufzugreifen) — einer Wunde, die sich erst recht nicht in der fröhlichen Umarmung schließen mochte, die ihm zum 200. Geburtstag zuteil wurde. Wer aber wollte geringschätzen, daß in den Jahren vielfacher Schändung seines Grabs auf Montmartre dem als ,,Schmutzfink im deutschen Dichterwald“ Bespieenen ein deutscher Klub gewidmet war? „Unter Palmen in dem Süden“ allerdings, nicht ‚‚unter Linden an dem Rhein.“ 33