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Hajo Jahn verfemte Kunst? Das abstrakte ‚Nie wieder“ kommt bei der Jugend nicht mehr an. Statt Denkmal Gedenkbibliothek? Eine Initiative von,, Exil-PEN“ und Else-Lasker-SchiilerGesellschaft. Vor der Entscheidung des Deutschen Bundestags tiber das Holocaust-Mahnmal in Berlin sind verschiedene Alternativen im Gespriich. Der jiingste Vorschlag, eine Gedenkbibliothek anstelle eines Denkmals, kam von Gerhard Kurtze, dem langjährigen Vorsteher des Börsenvereins des deutschen Buchhandels (Frankfurt). Die Idee einer Bibliothek emigrierter und einst verbotener Autoren ist seit Jahren wichtiger Bestandteil des erheblich umfassenderen Projekts, das vom Londoner P.E.N. Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland (,,ExilP.E.N.“) und der Wuppertaler Else-LaskerSchiiler-Gesellschaft betrieben wird. Ob das durch eine Stiftung getragene Vorhaben eines „Centrums der verbrannten Literatur und verfemten Kunst“ Ergänzung, Alternative oder eine eigenständige Institution werden könnte, bleibt abzuwarten. Dabei sehen sich Literaturgesellschaft und „Exil-P.E.N.“ nicht in Gegnerschaft zu den Denkmal-Verfechtern, weil alle in den diversen Projekten engagierten Bürger letztlich die Frage bewegt, wie jetzt und in Zukunft mit der deutschen Vergangenheit umgegangen wird. Bei dieser Fragestellung geht es der Literaturgesellschaft und dem „Exil-PEN“ vordergründig nicht um die Massenverbrechen der Nazis, sondern vor allem um Bücherverbrennungen und -verbote, Verfolgung und Emigration von Schriftstellern und anderen Künstlern. Und: Wie läßt sich diese Thematik kommenden Generationen vermitteln? Das abstrakte ‚Nie wieder‘ kommt bei Jugendlichen nicht mehr an. Die hier aufgeworfene Frage wird mehr als ein halbes Jahrhundert nach der Hitler-Diktatur noch immer kontrovers beantwortet, während die Freiheit von Meinung und Kunst in zahlreichen Ländern fortdauernd Ein- und Angriffen ausgesetzt ist. Deshalb auch favorisieren die Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft in Wuppertal und der „Exil-P.E.N.“ in London keine Bußübungen in Marmor, Eisen oder Bronze für eine zentrale Holocaust-Einrichtung gegen das Vergessen. Dafür gibt es die authentischen Denkmäler in den Konzentrationslagern. Sie gilt es zu erhalten. Eingerichtet aber werden soll ein „aktives Museum‘“, das nicht „Museum“, sondern „‚Centrum der verbrannten Literatur und verfemten Kunst“ (Arbeitstitel) genannt wird. Verfolgte Kunst oder Kunst-werke, die in Konzentrationslagern und/oder in der Emigration entstanden, wurden von keinem öffentlichen Institut systematisch gepflegt. Sammlungen oder Nachlässe finden keine dauerhafte Unterbringung. Unter förderalen Kulturglocken entstanden großartige Museen ebenso wie Tempel eitler Selbstdarstellung und Provinzialität, Spezialsammlungen zu ausgefallenen Themen und Zeitgenossen, aber keine Einrichtung, die sich mit dem hier angesprochenen Zielsetzungen befaßt. Nicht um gleichzusetzen, sondern um zu vergleichen sollen Unfreiheit und literarischer Widerstand in der DDR mit einbezogen werden, also jüngste deutsche Vergangenheit. Rund 50 Autorinnen und Autoren haben den Aufruf für die Stiftung ,, Verbrannte und verbannte Dichter (Ktinstler)“ unterzeichnet, darunter Salman Rushdie, Günter Grass, Alfred Grosser, Herta Müller, Sarah Kirsch, Reiner Kunze, Edgar Hilsenrath, Wolf Biermann, Siegfried Lenz, Ralph Giordano sowie der Verband deutschsprachiger Schriftsteller in Israel und aus deutschsprachigen Familien stammende israelische Intellektuelle wie Yehuda Amichai, Tuvia Rübner, Prof. Jakob Hessing, Asher Reich, Chaim Noll und Prof. Paul Alsberg: Weil die „Literatur das Gedächtnis“ der Menschen ist und der literarische Widerstand in beiden deutschen Totalitarismen dieses Jahrhunderts dargestellt werden soll, hat der Stiftungsaufruf diese breite Zustimmung gefunden. Im Vorgriff auf das Centrum wurden in Wuppertal internationale Foren zu Emigration und Zensur organisiert und „Dichterlesungen in Asylbewerberheimen“ mit prominenten Autoren. Bands wie BAP oder Liedermacher wie Reinhard Mey haben sich im Wissen um die Verfolgung ,,undeutscher Musik‘ während der NS-Zeit gratis an einer Benefiz-CD beteiligt; Bundespräsident Roman Herzog hat den Tonträger von Schriftstellern (u.a. Hans Joachim Schädlich) und Sängern (u.a. Klaus Hoffmann) entgegengenommen und seine Sympathie für die Idee ausgesprochen. Dieses ,,Else-Lasker-Schiiler-Centrum“ , das individuelle Schicksale der Besten aus unserer Kultur darstellen und aktuelle Beziige herstellen möchte — etwa durch Aufnahme und Betreuung verfolgter Dichter/Kiinstler — soll von der oben erwähnten Stiftung finanziert werden. Die CD hat 23.000 DM in die leeren Kassen gespült; eine großzügige Spende, die erste Million, kommt jetzt von Privatseite. Der BayerKonzern, Leverkusen, hat eine ‚namhafte Spende“ angekündigt, ein Wuppertaler Unternehmer wird sich ebenfalls beteiligen. Doch das reicht nicht, um, wie geplant, aus den Zinserträgen der Stiftung das Centrum zu unterhalten. Industriebetriebe, von denen weitere Gelder erhofft werden, sollen mit ihrem Engagement werben können. Aber einen Mäzen, dessen Namen das Centrum ‚‚verewigen‘ könnte, gibt es bislang nicht. So ist Namenspatronin bislang allein die aus Wuppertal gebürtige Dichterin. Das Schicksal „„der größten Lyrikerin, die Deutschland je hatte“ (Gottfried Benn) steht als Metapher: Sie floh 1933 aus Nazideutschland. Ihre Bücher wurden wahrscheinlich ebenso verbrannt wie etwa die von Erich Maria Remarque oder Thomas Mann. Im Exil in der Schweiz hatte sie Schreibverbot und wurde von der Fremdenpolizei bespitzelt, später erhielt sie keine Einreisegenehmigung mehr. Im ,,Hebraerland“ hat sie die dortige Sprache nie erlernt und mit der Schwierigkeit aller kreativen Fliichtlinge im oder gar nicht publizieren zu können. Die Bilder der Lasker-Schüler, die auch eine Poetin der Zeichenfeder war, wurden 1937 als ,,entartet‘“ aus der Berliner Nationalgalerie entfernt. Paul Hindemith, der wohl bekannteste Komponist, der ihre Gedichte vertonte, wurde als „undeutscher Tonsetzer‘ verfolgt. Wegen des Holocaust-Denkmals in Berlin rudern Deutschlands Intellektuelle vor und zurück. Die Politiker sind einmal mehr keine Steuerleute. Wie auch, denn das erste nationale Denkmal von Tätern für Opfer im Land der Täter war von Anfang an unpräzis in seinen Vorgaben. Nie war eindeutig, wer Täter war, wer Opfer. Und wer in einer zentralen nationalen Gedenkstätte ausschließlich an die Millionen ermordeter Juden erinnern will, der setzt sich des Vorwurfs aus, die Millionen umgebrachter Russen, Polen, die Euthanasieopfer, die Homosexuellen, die ,,Zigeuner‘ oder die politischen Widerständler außen vor zu lassen. Weil darüber zuwenig und zu selten auf breiter Basis debattiert wurde — die Ungeheuerlichkeit der Verbrechen erschwert ja noch immer die notwendigen Differenzierungen — ist die Betroffenheit von Ignatz Bubis über die jüngste Wendung der Holocaust-Denkmaldiskussion nachvollziehbar. „Bisweilen erinnert es mich an vietnamesische Wälder nach Napalm-Angriffen. Entlaubt sieht man die Armseligkeit der verbliebenen Stämme, die im Wind zittern. Was mich geprägt hat, sagenhafte Figuren wie Joseph Roth, Anton Webern, Karl Valentin, Else Lasker-Schüler, Ludwig Wittgenstein oder Kurt Schwitters, das wird nicht mehr erzeugt... Man kann nicht ungestraft sieben Achtel der Qualität, alle Bastionen von Maßstäben, Weltoffenheit und schöpferischer Bedeutung vertreiben oder ermorden und die wenigen Überlebenden nicht einmal zurückbitten. Für Österreich bedeutet das, daß sich auf beinahe allen Gebieten die dritte Garnitur entspannt als erste etablieren konnte.“ Was Andre Heller in einem SPIEGEL-Gespräch auf die Frage, ob ihn das Geistesleben in Österreich langweile, geantwortet hat, gilt ähnlich für die Bundesrepublik. Wegen der Kontinuität gehört ebenfalls die Unfreiheit in der ‚„kommoden DDR-Diktatur“ (Günter Grass) zur Gesamtthematik. So etwas fehlt bislang in Deutschland. Die vorhandenen Institute arbeiten zwar hervorragend, sind jedoch überwiegend Elfenbeintürme der Wissenschaft, die sich zudem lediglich auf Teilaspekte beschränken. Sie stellen mal den einen, 39