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Verbot. „Zwischen den Zeilen“ kann man eben nur lesen, nicht schreiben: Der getarnte Text bleibt mehrfach verfügbar. Selbstzensur wurde naturgemäß allenthalben geübt, auch von manchen, die das Dritte Reich im Grunde bejahten. Magdalena Michalak-Etzold gibt einen aufschlußreichen Einblick in jene Praxis und führt als Beispiel auch den Südtiroler Franz Tumler an, der übrigens als einer von wenigen nach dem Krieg auf schamlose Selbstverleugnung verzichtet und sich zu seinem anfänglichen nationalsozialistischen Engagement bekennt (siehe Hall). Hubert Orlowski berichtet animierend von dem unter Ubbo-Emmius Struckmann erstaunlich querliegenden, ja beinahe zur weißen Rose der NS-Publizistik aufgeblühten Feuilleton der „Krakauer Zeitung“, die immerhin als antipolnisches Kampfblatt im damaligen Generalgouvernement erschien. Zu den Autoren gehörten Georg Britting, Werner Bergengruen, Hermann Hesse und — Theodor Kramer, der leider den Autor tiberhaupt nicht interessiert und nur en passant in einer FuBnote erwahnt wird. Gewisse Uberschneidungen mit Orlowskis Beitrag zu einem jüngst bei Böhlau herausgekommenen einschlägigen Sammelband sind nicht zu leugnen. Für die nicht im braunen mainstream schwimmenden Autoren der Ostmark trifft Karin Gradwohl-Schlacher eine grobe Klassifizierung in eine bloße ,,nicht-nationalsozialistische Reaktionsform“, Innere Emigration und Widerstand. Gar nicht leicht ist dann natürlich die Zuordnung des einzelnen — die Textanalyse muß hier institutionelle Recherchen ergänzen. Gerhard Scheit liefert eine spannende Untersuchung der Stücke Arnolt Bronnens, der als ‚‚linker Nationalsozialist“ zunehmend an , ,nationalen Verdaungs-Störungen“ litt und in historischen Gleichnissen gegen den Stachel der Macht löckte. Auf diesen Boden wagte sich auch die katholisch-oppositionelle Erika Mitterer mit ihrem Inquisitionsroman Der Fürst der Welt, den nicht nur der Völkische Beobachter unverdrossen lobte. Herwig Gottwald legt die kritischen und ästhetischen Verdienste des breit ausgemalten Historiengemäldes überzeugend dar. Mit Albert Paris Güterslohs ebenfalls zu wenig bekanntem Roman Sonne und Mond befaßt sich eingehend Jörg Thunecke, der ihn als Allegorie auf den Dollfuß’schen Ständestaat und als komplexen Kommentar zu diktatorischer Machtergreifung deutet. (Die Geschichte vom Schloßherrn, der seinen Besitz einem Verwalter übergibt, der ihn sich aneignet, verweist auf ein Schlüsselmotiv der österreichischen Literatur, das sich bis zu Gerhard Fritsch und Thomas Bernhard fortpflanzt.) Ödön von Horväths zwischen Innerer Emigration und Exil entstandenes Spätwerk wird in Klaus Siebenhaars fundierter Studie gegen den Vorwurf verteidigt, Verrat an der eigenen gesellschaftskritischen Leistung zu üben: Der Rückzug auf individuelle Fragen und eine Position des Humanismus sei als Notwehr gegen eine soziale und politische Eiszeit nur (psycho)logisch. Auf Humanismus setzte auch der Theaterkritiker Oskar Maurus Fontana, der sich in der Kölnischen Zeitung zwar propagandistischen Tönen verweigerte, in manchem jedoch durchaus mit den Machthabern harmonierte. Peter Roesslers kritisches Portrait führt vor, wie allesverzeihende Menschlichkeit dem Inhumanen das Wort reden kann. Für den Wahlösterreicher Hans Leifhelm, auf den Sabine Rupp aufmerksam macht, einen guten Freund Theodor Kramers, stellte sich das Problem der Parteinahme nicht, weil er zunächst berufs-, dann krankheitshalber in Italien lebte. Als Lyriker allgemein (sogar von Josef Weinheber) hochgeachtet, galt er offiziell als deutscher Dichter — seine privat motivierte „äußere“ Emigration ersparte ihm eine etwaige innere. Prominent vertreten ist schließlich Alexander Lernet-Holenia, an dessen Beispiel sich die eingangs gestellte Frage nach dem Eintrittsbillet in die Innere Emigration zuspitzen läßt. Unzweifelhaft führt sich der 1940 in der Zeitschrift Die Dame in Fortsetzungen erschienene Mars im Widder als Kriegsroman ad absurdum, wie Robert von Dassanowsky in seiner Interpretation detailliert und mit einigem Spürsinn belegt. Aber immerhin war Lernet, nicht zuletzt als Drehbuchautor, einer der Großverdiener des Dritten Reichs. Dennoch siedelt ihn Roman Rocek in seinem Beitrag, einer Art Quintessenz seiner Biographie, ,,Zwischen Subversion und Innerer Emigration“ an. Nicht alle Biicher Lernets lassen sich freilich als subversiv auffassen — der schauerliche Schicksalsroman Ein Traum in Rot etwa bedarf dazu schon heftiger Umdeutungsarbeit. So heißt der Teufel darin nicht etwa Adolf, sondern Wladimir Ijitsch... Außerdem ignoriert Rock jene beschwörenden Hinweise auf eine Auferstehung des „Reiches“ unter anderer Flagge, die Die Standarte (1934!) unübersehbar enthält. Schattenseiten verdunkeln das Bild nicht, sie machen es schärfer: Denn die Erhabenheit der nationalen Erhebung, der Lernet 1933 in einem Briefwechsel mit Gottfried Benn abwägend Tribut zollte, hat ihn von Anfang an nicht blind gemacht. Weshalb Roceks Biographie Die neun Leben des Alexander Lernet-Holenia heißt, bleibt rätselhaft. Etwa deshalb, weil diese Biographie zufällig neun Kapitel hat? Jedenfalls rückt der Autor dem legendären Lebenskünstler und Lebemann, dem grantigen Grandseigneur mit Verve, Detaillust und viel oral history zu Leibe. Er scheint dabei freilich immer wieder von der Erscheinung geblendet, die Lernet abzugeben beliebte: Denn der wollte, da er nun einmal vom Schreiben leben mußte, partout kein ernsthafter Dichter sein. Mit Literarischem kam er kurioserweise schon in der Kriegszeit bei den k.k. Dragonern in Berührung: durch die Rittmeister Karl Klammer, als K.L. Ammer ein berühmter Übersetzer Rimbauds und Villons, und Alfred von Winterstein, Freud-Schüler, Parapsychologe und „‚Fackel"-Poet. Entdeckt wurde der Lyriker Lernet von Rilke und Hermann Bahr. Damit war Karl Kraus’ Verdikt (,‚Sterilke‘“ bzw. „Puerilke“) vorprogrammiert. Daß Lernet sich bald der Dramatik zuwandte, hatte profane Gründe: Seine Familie war infolge des Weltkriegs verarmt — und das Theater das einträglichere Metier. Lernet, der zeitlebens als aristokratische Figur schlechthin galt, stammte mütterlicherseits aus großbürgerlichem Kärntner Haus. Der Vater war ein Marineleutnant Lernet — oder, wie Rock recherchiert zu haben meint, der allzu diskrete Erzherzog Karl Stephan. 1925 wird Lernet mit dem Drama Demetrius über Nacht berühmt, ein Jahr später erhält er den Kleist-Preis. Fortan deklariert er sich gar nicht bescheiden als „Beethoven, der Shimmies komponiert“. Aus einer Plagiatsaffäre zieht Lernet sich mit Achselzucken und einem Knalleffekt: Er gibt den Kleist-Preis zurück — freilich nur die Ehre, nicht das Geld, das er für „streng nichtliterarische Zwecke“ ausgegeben hat. — Der shooting star des Theaterhimmels hat seinen ersten ,,Stunk“ inszeniert und verlegt sich nun auch aufs Romanschreiben. Rock rekonstruiert das high life im sommerlichen St. Wolfgang, die professionelle Zusammenarbeit mit Stefan Zweig und Leo Perutz und des Autors amouröse Routine. In den ersten Kriegswochen in Polen leicht verwundet, zog Lernet es vor, als Leiter der Heeresfilmstelle in der Etappe zu überwintern. Die Germanisten, die immer an allem schuld sind, hätten dies laut Rock zu Unrecht besonderer Regimenähe zugeschrieben. Jedenfalls scheint es nicht unbedingt der passende Posten für einen Inneren Emigranten gewesen zu sein. Dennoch macht gerade Lernets unpathetischer Pragmatismus seine spätere Abrechnung mit der Nazizeit glaubwürdig. Er, dem man leichtfertig das Etikett eines kakanischen Traumtänzers verpaßt hat, war in Wahrheit einer der ersten, die sich der kollektiven Amnesie widersetzten. Die nachträgliche Selbststilisierung zum „stillen Helden‘ war seine Sache nicht, vielmehr gefiel er sich in der Rolle des politisch unkorrekten Provokateurs. Der dennoch bald zu einer Art Staatsdichter Aufsteigende agierte, um mit Karl Kraus zu sprechen, als ,,verfolgende Unschuld": Er nahm die Habsburger genauso ins Visier wie den „Kommunisten“ Heinrich Böll, das Finanzamt oder gegnerische Autolenker. Bruno Kreisky titulierte ihn brieflich mit „sehr verehrter Herr von Lernet“ und richtete ihm ein staatstragendes Fest zum Fünfundsiebziger aus. Roman Roceks spannend zu lesende Biographie profitiert vom romantauglichen Leben eines Dichters, der aus Angst vor der papiernen Bürde sogar die Briefe Rilkes verbrannt und ganz bewußt so manche Spur verwischt hat. Für einen Inneren Emigranten war sein Leben in der NS-Zeit zu extravertiert— kein Grund, ihn und seine unheimlich fatalistischen Romane zu dämonisieren, kein Grund aber auch, ihn als eine Art Graf Bobby der österreichischen Literatur abzuschreiben. Literatur der ‘Inneren Emigration’ aus Österreich. Hg. von Johann Holzner und Karl Müller. Wien: Döcker Verl. und Verlag der Theodor Kramer Gesellschaft 1998. 473 S. ÖS 398,-/DM 54,50/SFr 49,50. (Zwischenwelt. Jahrbuch der Theodor Kramer Gesellschaft. 6). Roman Rock: Die neun Leben des Alexander Lernet-Holenia. Eine Biographie. Wien u.a.: Böhlau 1997. 416 S., 70 Abb. ÖS 498,41