OCR
Renate Göllner Ihr ganzes Leben lang hielt Hannah Arendt ihr Privatleben vor der Öffentlichkeit verborgen. Als sie starb, stellte sich heraus, daß sie ihren Nachlaß weit großzügiger geregelt hatte, als dies von ihr zu erwarten war. Was ihre persönlichen Dokumente anlangte, so war sie offenkundig eine Sammlerin. Ihre umfangreiche, mittlerweile publizierte Korrespondenz, hatte sie selbst Archiven zur Verfügung gestellt. Gesammelt und sorgfältig in ihrem Sekretär aufbewahrt hatte sie auch die Briefe Heideggers, die nun ebenfalls als Publikation vorliegen. Ob ihr Briefpartner dies gewünscht hat, ist fraglich: Gab es doch zwischen den beiden eine Abmachung, die persönlichen Dokumente zu vernichten, eine Vereinbarung, der sich Hannah Arendt widersetzte. So stammt denn auch in dem vorliegenden Briefband der überwiegende Teil der Korrespondenz aus Heideggers Feder; von den insgesamt 119 schriftlichen Zeugnissen, Briefen, Postkarten, aber auch Gedichten, geht nur weniger als eine Viertel auf die Urheberschaft Hannah Arendts zurück. Oft handelt es sich um Kopien oder Manuskripte, die sie, im Wissen, daß Heidegger sie vernichten würde, wahrscheinlich bewußt angefertigt und aufgehoben hat. Erst als der Philosoph bereits weit über siebzig war, reagierte er gelassener und rang “sich zu dem Entschluß durch, ihre Korrespondenz nicht mehr zu vernichten. Genau besehen bietet der Briefwechsel freilich nicht allzuviel Neues. Bereits Elisabeth Young-Bruehl hat in ihrer 1982 erschienenen Biographie über Hannah Arendt alles Wesentliche über die Beziehung zwischen der Studentin und dem berühmten Professor dokumentiert, ihre lebenslange Freundschaft, die auch durch Heideggers Engagement bei den Nazis und seinen Antisemitismus nur vorübergehend unterbrochen, nicht aber ernsthaft zu erschüttern war. Elzbieta Ettinger blieb es allerdings vorbehalten, in ihrer Schrift „Hannah Arendt und Martin Heidegger“ (1994), die Beziehung zum Thema einer eigenen Publikation zu machen. Ettinger, die schon in ihrer Biographie über Rosa Luxemburg deren Verhältnis zu ihrem Gefährten Leo Jogiches aus dem Blickwinkel einer Kammerzofe weidlich ausgebreitet hatte, erhielt von den Nachlaßverwaltern die Erlaubnis, in die bis dahin gesperrte Korrespondenz Einsicht zu nehmen. Auch im Falle Arendts fungiert Ettinger als distanzlos, spekulierende Interpretin, die sich in die Geschichte und „Tragik einer unmöglichen Liebe“ einfühlte und dies, was weitaus schwerer wiegt, auch noch zu Papier brachte. Der zunächst im angloamerikanischen, später auch im deutschsprachigen Raum erfolgreiche Band hatte den Sohn Heideggers schließlich dazu bewogen, der späten Veröffentlichung des Brief42. wechsels zuzustimmen. Ob er damit seinen Vater einen Dienst erwiesen hat, mag dahingestellt bleiben. Der zeitliche Rahmen der Korrespondenz umspannt genau 50 Jahre, er reicht von 1925 bis 1975, dem Todesjahr Hannah Arendts und zerfällt in drei Perioden, im Heideggerschen Jargon „Hoch“-Zeiten. Die erste Phase endet 1932/33, als Heidegger, der schon 1929 vor der „Verjudung“ der deutschen Hochschulen warnte, längst bekennender Nazi war. Wenige Monate später wurde er Mitglied der NSDAP und schließlich Hitlers Rektor an der Universität in Freiburg. Sind diese Jahre — zunächst in Marburg, dann in Freiburg für den populären Professor ,,die am meisten erregendste, gesammelte und ereignisreichste“ Zeit, so stellt sich dies für die blutjunge, 17 Jahre jüngere, bildschöne Studentin und Geliebte Heideggers, gänzlich anders dar. Schon 1925 hatte sie an den Freund, der sie in altväterlicher-professoraler Manier vor ihren wissenschaftlichen Ambitionen, vor der „‚furchtbaren Einsamkeit“ des Forschens warnt, und ihr die „ursprüngliche Bewahrung des eigensten fraulichen Wesens“ nahelegt, ein Selbstporträt geschickt, in welchem sie das Ende der für sie aussichtslosen Beziehung mit dem verheirateten Mann bereits vorwegnimmt: „Schatten“ ist ein sehr berührender, autobiographischer Text, in dem die 19jährige Arendt in der dritten Person Singular und noch ganz in abstrakten Heideggerschen Termini befangen, ihre jugendliche Verletztheit bloßlegt. Zugleich aber setzt sie eine Zäsur, versucht, Faszination und Aura zu bannen, ihre Würde zu bewahren, Distanz und Fassung zu gewinnen. Der letzte Brief aus dieser Periode datiert vom Winter 1932/33 und stammt von Heidegger. Hannah Arendt, mittlerweile mit Günther Anders in Berlin verheiratet und Zionistin, mußte offenkundig von Heideggers Nahverhältnis zu den Nazis erfahren haben; verhalten und wütend zugleich versucht sich Heidegger gegen ‚Gerüchte und Verleumdungen“, die Hannah Arendt aufgeklärt wissen wollte, zu rechtfertigen. Es ist ein wirklicher Verlust, daß ihr Schreiben nicht erhalten ist, zumal es sich dabei um eines der raren DokuAntisemitismus explizit gegen Heidegger erhob und offen aussprach. Nach Jahren des Schweigens, und wie sie selbst schreibt, im ,,Zwang des Impulses“ nahm Arendt 1950 den Kontakt zu Heidegger wieder auf, Als die aus Deutschland Vertriebene nach dem Krieg zum ersten Mal wieder europäischen Boden betritt, kommt es zu einem Wiedersehen, in das nun — auf Heideggers Wunsch — auch seine Gattin Elfride mit einbezogen wird, der er seine Liebesbeziehung mit seiner ehemaligen Studentin bis dahin verschwiegen hatte. Die Briefe widerspiegeln undeutlich, aber klar genug wie diese merkwiirdige Begegnung zwischen der Jiidin und der Antisemitin, die aus ihren Ressentiments kein Hehl machte, ausgefallen war: ,,Meine urspriingliche Weigerung* (dem Treffen mit Elfride zuzustimmen, R.G.) schrieb Arendt später an Heidegger, ‚„‚beruhte nur auf dem, was ja dann auch mit ‚deutscher Frau’ angedeutet war, und was man mir just am Nachmittag vorher beim Tee erzählt hatte. Bitte mißversteh nicht; mir persönlich ist das ganz gleich. Ich habe mich nie als deutsche Frau gefühlt und seit langem aufgehört mich als jüdische Frau zu fühlen. Ich fühle mich als das, was ich nun eben einmal bin, das Mädchen aus der Fremde.“ Auch in dieser Periode — zwischen 1950 und 1954 - ist Hannah Arendt zumeist nur indirekt, in Heideggers Briefen präsent. Überraschend aber ist, wie scheinbar bruchlos gegenseitige Nähe und Vertrautheit — trotz Heideggers Parteinahme für die Nazis — sich wieder einstellt. Die Briefe, mehr noch Heideggers zahlreiche wunderlich-werbende Gedichte, die kleinen Präsente, die man einander schickte, legen das nahe. Hannah Arendt war, wie Heidegger ihr einmal gestand, „‚die Passion seines Lebens“, ein Rolle, die sie zumindest zeitweilig gerne gespielt haben dürfte; in Heideggersche Edelsubstantive (Adorno) gegossen, hört sich das so an: „Als Du beim ersten Wiedersehen in Deinem schönsten Kleid auf mich zukamst, schrittest Du gleichwohl für mich durch die vergangenen fünf Jahrfünfte ... Für jeden Augenblick des Wiedersehens bleibe Zeichen mir Dein braunes Kleid. Dies Zeichen werde uns immer zeigender.“ Ob sie die unfreiwillige Komik dieser Zeilen nicht auch erheitert haben mag? Heideggers braune Vergangenheit freilich ist kein Thema in den Briefen, nur indirekt und aufgrund maßloser Eitelkeit und Selbstüberschätzung des bis 1951 mit Lehrverbot belegten Philosophen wird das Thema überhaupt berührt: „Ich mache mir auch darüber nichts vor“, notierte er 1950 in seinem geschwollenen Stil, „daß ich mit meinem Denken zu den Bedrohtesten gehöre, die zuerst ausgelöscht werden. Wir können nicht nur ‚physisch’ in wenigen Tagen überrollt sein; es kann auch geschehen, daß auf lange Zeit hinaus kein Weitergeben des Großen und kein Wiederbringen des Wesenhaften mehr möglich ist.“ Doch die Russen und der NKDW, von dem er sich verfolgt glaubte, holten ihn nicht ab, statt dessen überhäufte ihn die wissenschaftliche Intelligenz im Nachkriegsdeutschland mit Ruhm, seine Hütte in Todtnauberg wurde zur Pilgerstätte. Gerade aber dieser Ruhm, die Zirkel und Cliquen, die sich um ihn scharten, trugen unter anderem dazu bei, daß Hannah Arendt sich in den folgenden Jahren, genauer bis 1967, von ihm fern hielt. Sie, die sich immer wieder in Deutschland aufhielt, vermied ein Treffen. “Was ich an Heidegger-Einfluß in Heidelberg gesehen und gehört habe, ist wirklich nur verhängnisvoll, wenn es nicht so kotzdämlich wäre ... “, schrieb sie an ihren Mann Heinrich Blücher. Zudem waren ihre Vorbehalte gegen Heideggers Denken gewachsen. In einer unveröffentlichten Rede vor der American Political