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Science Association hatte sie die Ontologisierung seines Geschichtsbegriffes kritisch hinterfragt. In Heideggers Verständnis von Geschichte, so die politische Theoretikerin, seien die eigentlichen Probleme der Politikwissenschaft ausgeklammert. Als sie in ihrem Buch ,, Vita activa“ die anthropologischen und historischen Voraussetzungen fiir gemeinschaftliches politisches Handelns analysierte, und Heidegger, der nie besonderes Interesse an ihren Arbeiten gezeigt hatte, dieses Buch zusandte, fiihlten er und die Seinen sich brüskiert: „‚Ich weiß,“ schrieb Hannah Arendt an Jaspers, ,,daB es ihm unerträglich ist, daß mein Name in der Offentlichkeit erscheint, daß ich Bücher schreibe, etc. Ich habe ihm gegenüber mein Leben lang gleichsam geschwindelt, immer so getan, als ob all dies nicht existiere und als ob ich sozusagen nicht bis drei zählen kann, es sei denn in der Interpretation seiner eigenen Sachen; da war es ihm immer sehr willkommen, wenn sich herausstellt, daß ich bis drei und manchmal auch bis vier zählen konnte. Nun war mir das Schwindeln plötzlich langweilig geworden, und ich habe eins auf die Nase gekriegt.“ In den Briefen findet man diese Bemerkung immer wieder bestätigt. Jaspers freilich stand der Beziehung ArendtHeidegger distanziert gegenüber, und er fand ihre Schilderung zurecht ‚‚wunderlich“. Er, der mit einer Jüdin verheiratet war, hatte 1933 den Kontakt zu Heidegger abgebrochen. ‚Er war der einzige meiner Freunde, mit dem ich 1933 nicht einmütig blieb, der einzige, der mich verriet“, schrieb Jaspers später. Wiederholt hatte Arendt nach dem Krieg versucht, die Freundschaft zwischen Jaspers und Heidegger wiederherzustellen, jahrelang hatte sie zwischen den beiden vermittelt, bis sie schließlich an Jaspers Kompromißlosigkeit scheiterte. Zu Hannah Arendts sechzigstem Geburtstag flammte alte Liebe und Freundschaft erneut auf. Zwei Jahre später, 1969, erklärt sie sich sogar bereit, die Laudatio zu Heideggers achtzigstem Geburtstag zu halten. Es ist eine Hommage an sein Frühwerk, das sie stets weit mehr schätzte, als seine späteren durch den „‚deutschen Mystiker Meister Eckehart“ beeinflußten Arbeiten. Mit seiner Neigung zu „Iyrannen und Führer(n)“ aber übt sie darin großzügige Nachsicht, einer „Neigung“, die sie kurzerhand zu einer ‚‚deformation professionelle“ erklärte, einer Berufskrankheit, die er mit anderen großen Philosophen teilt. Weil sie ihm einen Platz außerhalb der Welt zuwies, konnte sie entschuldigen, daß er, der Außerirdische, sich ‚in menschliche Angelegenheiten“ eingeschaltet hatte und kläglich gescheitert war. Auch irdische Kritik — nicht nur von Jaspers - hielt sie von ihm fern und wurde schließlich seine Agentin in den Vereinigten Staaten. Glenn Gray, einer ihrer engsten Freunde, übernahm auf ihr Drängen hin die Herausgabe der gesammelten Werke Heideggers unter der Bedingung, daß Arendt die englische Übersetzung durchsehen und korrigieren werde. Wie aber ist diese schier grenzenlose Loyalität zu erklären? Ohne Zweifel war Hanna Arendt zu klug, um Heidegger nicht gründlich zu durchschauen. Egal, ob es sich um sein Denken oder seinen Charakter handelte, sie wußte genau, was sie von ihm zu halten hatte. Aus ihrer Korrespondenz mit anderen, vor allem aber Heinrich Blücher, wird deutlich, wie klar sie sich darüber war, es mit einem „pathologischen Lügner“, „einem Menschen, der immer und überall lügt, wo er nur kann ... “, zu tun zu haben. ,, Heidegger“, schrieb sie 1948, ,,ist faktisch (hoffentlich) der letzte groBe Romantiker, gleichsam ein gigantisch begabter Friedrich Schlegel und Adam Miiller, deren komplette Verantwortungslosigkeit bereits jener Verspieltheit geschuldet war, die teils aus dem Geniewahn und teils aus der Verzweiflung stammte.“ Eine besondere Form der Dankbarkeit war wohl wesentliches Motiv, weshalb Arendt Heidegger lebenslang und unverbriichlich die Treue hielt. Immer wieder betonte sie, daß er es war, der sie „‚leidenschaftliches Denken“ gelehrt hatte. Mag heute die außerordentliche Faszination, die in den zwanziger Jahren von Heideggers Existenzialphilosophie ausging, auch nur schwer nachvollziehbar sein; der nicht unbedeutende Kreis jüdischer Intellektueller - neben Hannah Arendt, Günther Anders, Karl Löwith, Herbert Marcuse u.a. — die bei ihm studierten und in den Bann seiner Ontologie geraten waren, läßt erahnen, wie groß sein Einfluß tatsächlich war. Heideggers Anziehungskraft beruhte, so sein ehemaliger Schüler Löwith „auf einem produktiven Abbau, der Destruktion“ der durch die kapitalistische Krise längst obsolet gewordenen überlieferten Metaphysik. Doch im gleichen Maße wie Heidegger die Metaphysik destruierte, löst er die Realität in Abstraktion auf. Mit Phrasen vom ‚Sein’ und ‚Dasein’, und der ‚Verwurzelung im Geschick der Gemeinschaft’ geraten Staat und Kapital aus dem Blick, freilich nur bis zu dem Moment, als die ,,nationalsozialistische Revolution ... die völlige Umwälzung des deutschen Daseins“ brachte. Hannah Arendt hatte sich — gleich Ihren jüdischen Kollegen - an der Ontologie Heideggers abgearbeitet und der konkreten Wissenschaft zugewandt, als sie zunächst die Rolle der Philosophin zurückwies und als Historikerin und politische Theoretikerin zu schreiben begann. Doch bei aller Differenz blieben Dankbarkeit und wohl auch eine gewisse sonderbare Faszination ihr Leben lang bestehen. Daß sie, die prominente Jüdin, zu seiner politischen Entlastung und zu seiner Rehabilitierung beigetragen hatte — und das obwohl Heidegger sich nie von seiner nationalsozialistischen Vergangenheit distanzierte — bleibt wohl das eigentlich Problematische an der Beziehung. Herausgegeben wurden die Briefe von Ursula Ludz, die auch Teile des Nachlasses von Hannah Arendt ediert. Erschienen aber ist der Band im Klostermann-Verlag, der die Werke Heideggers publiziert. Das Nachwort widerspiegelt diese Zusammenarbeit und Hoch-Zeit zwischen der Arendt-Herausgeberin und dem Heidegger Verlag in aller Deutlichkeit: Ursula Ludz verzichtet darin zur Gänze auf die Darstellung persönlicher und vor allem historisch-politischer Zusammenhänge, erspart sich so jedes kritische Wort und ergeht sich statt dessen in kryptischen Andeutungen, etwa wenn sie vom „spannungsreiche(n) Verhältnis“ zwischen Heidegger und Jaspers spricht. So können nur Eingeweihte, solche, die mit der Biographie der beiden Briefschreiber einigermaßen vertraut sind, dem Inhalt der Briefe überhaupt folgen. Gerade weil Heideggers Briefe über weite Strecken dominieren, und Hannah Arendt völlig in den Hintergrund gerät, hätte es eines ergänzenden Nachwortes bedurft, um das merkwürdig schiefe und lückenhafte Bild der Beziehung zurechtzurücken. Der umfangreiche wissenschaftliche Apparat im Anhang des Bandes vermag daran nichts zu ändern. Hannah Arendt/Martin Heidegger: Briefe 1925 — 1975. Und andere Zeugnisse. Hg. von Ursula Ludz. Frankfurt/M.: Vittorio Klostermann Verlag 1998. 435 S., mit Abb. DM 68,Der Briefwechsel Hannah Arendts und Hermann Brochs Der Jüdische Verlag veröffentlichte mit diesem Buch ein wichtiges Zeugnis der Geistesgeschichte, das für den Leser weit mehr als nur biographisch ergänzende Informationen über diese beiden großen Autoren des 20. Jahrhunderts enthält. So kann man entdecken, daß Hannah Arendt, die mit Österreich sonst nicht viel verband, mit Hermann Broch in einer sehr offenen Sprache auch über österreichische Schriftsteller wie etwa Theodor Sapper korrespondierte. Die Briefe von Broch dokumentieren ausführlich dessen Intervention für H.G. Adlers Studie über Theresienstadt. Broch schrieb 1948 für das Buch, das sieben Jahre später erschien, aufgrund der Bitte Veza Canettis auch ein Verlagsgutachten, das in seiner Werkausgabe veröffentlicht ist. Dennoch wurde das Buch nie übersetzt. Deutlich wird aber auch Brochs Ambivalenz, vor allem in seinem negativen Urteil über H.G. Adlers dichterisches Werk und dessen „kafkaisierte“ Philosophie. Der Herausgeber Paul Michael Lützeler vermutet darin auch eine autobiographische Komponente: ‚Die Zeit und Mühe, die Broch in die Korrespondenz über das Buchmanuskript von H.G. Adler investierte, hatte wahrscheinlich auch damit zu tun, daß seine Mutter nach ihrer Verschleppung im Lager von Theresienstadt Ende 1942 an Unterernährung und Krankheit gestorben war.“ Die Briefe wurden vom Herausgeber exzellent kommentiert. Ergänzt wird das Buch durch Hannah Arendts Essays über die Romane und Essays von Hermann Broch und ein genaues Nachwort. E.A. Hannah Arendt, Hermann Broch: Briefwechsel 1946 bis 1951. Hg. von Paul Michael Lützeler. Frankfurt a.M.: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag 1996. 262 S. 43