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die Einkünfte verschiedener Musiker exemplarisch auflistet. Im Fall der verschiedenen Prominenten gelingt es ihm durchwegs überzeugend, bisher gepflegte falsche Einschätzungen zu korrigieren: so wenn er Furtwänglers kontinuierlich und bis zuletzt aufrechterhaltene Nähe zur Führung des Dritten Reichs herausarbeitet, während er für Richard Strauss neues entlastendes Material aus den Archiven präsentiert und die Restriktionen hervorhebt, denen der wohl berühmteste Komponist im damaligen Deutschland mitunter ausgesetzt war; auch die Begeisterung von Anton Webern für Hitler und den NS-Staat, die man bis heute gerne verschweigt, wird von Kater in der erforderlichen Offenheit — und auch Ratlosigkeit— zur Sprache gebracht. (Beklemmend ist in diesem Zusammenhang, was der Autor tiber die dunklen Punkte in Hermann Scherchens und Hans Heinz Stuckenschmidts Leben zutage fördert.) Wenn Webern meinte, jemand müsse versuchen, ,,das Hitler-Regime von der Richtigkeit des Zwölftonsystems zu überzeugen“ , so wirft das im selben Maß Licht auf sein Verhältnis zu Nazideutschland wie auf das zur Kompositionsmethode. Wenig weiß Kater allerdings sonst über die Situation in Österreich, und dies führt etwa zu der peinlichen Fehleinschätzung, das „‚ständestaatliche“ Österreich sei „‚bis zum März 1938 zunehmend antinazistisch“ geworden (S.63). Doch Kater mutet sich im Empirischen insgesamt zu viel zu: Er schreibt etwa über Texte, die er ganz offenkundig nicht gelesen hat und präsentiert eine Neuauflage von Blessingers berüchtigtem, bereits 1939 erschienenem Machwerk Mendelssohn, Meyerbeer, Mahler unter anderem Titel (Judentum und Musik) als ein 1944 erstmals publiziertes Buch (S.293); bedeutend schwerer als dieser Lapsus wiegt allerdings, daß die auf Vernichtung der Juden zielende Publikation in der gewohnten bagatellisierenden Art als ‚„‚boshafte [sic!] Schmähschrift über die Juden“ apostrophiert wird. Oder er gibt die Vermutung, daß Clemens Krauss wegen der Absetzung von Kreneks Oper Karl V. Wien verlassen habe, als Tatsache aus (8.107), ohne darauf hinzuweisen, daß Krenek u.a. Clemens Krauss selbst für die Absetzung verantwortlich macht. Er wiederholt längst bekannte und gesicherte Fakten über das Verhältnis von Bayreuth zum Dritten Reich, statt strittige und bisher unerforschte Punkte zu beleuchten, wie etwa das informelle Parsifal-‚Verbot’ nach Kriegsbeginn. Dafür wird aber dreimal hintereinander darauf hingewiesen, daß Carl Orff von Igor Strawinsky beeinflußt war (einmal wäre bei dem bayrischen Komponisten für rhythmische Gymnastik schon zuviel gewesen). Geradezu stupend aber ist die Ignoranz, die der Autor gegenüber allen politischen Fragen an den Tag legt, die seit der Debatte um Goldhagens Buch über Hitlers willige Vollstrecker aufgeworfen worden sind. Hier bewährt sich die Musik ein weiteres Mal als Zufluchtsort des Unpolitischen. Warum jemand zum Nazi wird, erklärt Kater etwa damit, daß er „‚xenophob“ erzogen worden ist (S.65) — und merkt nicht, daß damit nichts erklärt ist. Alfred Rosenberg wird kurzerhand als ,,Steinzeitmensch“ (S.68) 46 abgetan (nebstbei eine Diffamierung aller Steinzeitmenschen), und was kann ein Steinzeitmensch schon mit klassischer Musik anfangen? Aber Rosenbergs Barbarei ist eben nicht Barbarei im ursprünglichen Sinn, sondern ein Dokument der Kultur. Weder Hitler noch Rosenberg sind etwa ohne Wagner denkbar (so wenig sie mit ihm auch identifiziert werden können). Solche Fragestellungen, ja überhaupt eine Reflexion der angewandten Kategorien und Methoden, sind Kater völlig fremd. Er entwickelt stattdessen ein ausgesprochenes Interesse an Intrigen — was den Verdacht erhärtet, daß es sich bei Kater um einen ausgepichten Opernliebhaber handelt. Sein Buch reduziert das Musik-System des Dritten Reichs im wesentlichen auf das Zusammenwirken und die Konflikte einiger großer (und ein paar kleinerer) Nazi-Persönlichkeiten und einiger großer (und ein paar kleinerer) Musiker-Persönlichkeiten. Welche Bedeutung der Musik bei der Formierung der Massen zur Volksgemeinschaft, bei der Verinnerlichung des NS-Staats, zukam, bleibt auch im Kapitel über die „Musik in den Institutionen“ weitgehend im dunkeln. Die Massen — das sind auf dieser Bühne eben nur die Statisten, die den Bühnenraum auffüllen, in dem die großen Individuen und Schurken ihren Kampf austragen. Um die Verstaatlichung der Massen durch die Musik zu begreifen, hätten die historischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen, die Musikkultur der Rechten und der Linken, insbesondere die in Deutschland und Österreich vor 1933 bzw. 1938 besonders ausgeprägte Marschkultur, in Analyse und Darstellung miteinbezogen werden müssen. Auch in dieser Hinsicht erweckt der Autor den Eindruck, daß 1933 in Deutschland quasi über Nacht Steinzeitmenschen das Land bevölkerten. Welcher Kunstbegriff dieser Studie zu Grunde liegt, kann man sich demnach schon denken: der des Liebhabers und Genießers, der sich das Vergnügen an der schönen Strauss- und Pfitzner-Musik durch keinen Nazi rauben läßt: ‚Daß die Politisierung von Musik letzten Endes nicht vollständig gelang, war wohl weniger Hitlers und Goebbels’ Politik zuzuschreiben als der Tatsache, daß wirkliche Kunst kraft ihrer wahren Natur unverletztlich bleibt.“ (S.81) Da aber die Kunst in Wahrheit nicht unverletztlich sein wird zur schönen Lüge. Daß nach Auschwitz nichts mehr selbstverständlich ist, was die Kunst betrifft, ein solcher Gedanke ist dem Buch freilich ganz fern - so fern wie die übrige Musiksoziologie von Theodor W. Adorno, der nicht einmal erwähnt wird, obwohl er doch auch ein Musiker im Dritten Reich und im Exil war. Bei Kater ist die wahre Kunst eben die lustige Witwe, der die Ehe mit dem finstersten Staat nichts anhaben konnte. Was Wunder, daß sein Buch besonders den Wiener Musikkritikern gefällt. Gerhard Scheit Michael A. Kater: Die mißbrauchte Muse. Musiker im Dritten Reich. Aus dem Amerikanischen von Maurus Pacher. München, Wien: Europa Verlag 1998. 575 S. OS 423,-. Bücher von Klaus Pringsheim und Erika Mann Der in den Worten Thomas Manns ‚‚unechte“ Sohn des Zwillingsbruders von Katia Mann, Klaus Pringsheim, der ebenfalls Klaus genannt wurde, hat mit seiner vorliegenden Autobiographie der komplexen Familiengeschichte des „Zauberers“ eine neue Facette hinzugefügt. Die Münchner Familie Pringsheim gehörte dem reichen jüdischen Patriziertum an. Viele ihrer Mitglieder, darunter auch Klaus Pringsheim junior, waren getauft, seine Mutter war Katholikin. Mit dem Judentum verband sie fast nichts mehr, was bereits aus den Erinnerungen Katia Manns hevorging, und so konnte der Autor von außen auch beobachten: ‚‚Die Juden, vor allem die jüdische Elite ... weigerten sich nach wie vor standhaft, Hitler ernst zu nehmen.“ Über sich selbst schrieb er: „An diesem prekären Übergang vom Kind zum Jugendlichen hätte ich, wie so viele andere, auch zum Nazi werden können.“ Klaus Pringsheim senior arbeitete in Deutschland als Komponist und Dirigent, aber auch als Musikund Kunstkritiker, wobei er oft Künstler beleidigte. Um Hitler nicht als Soldat dienen zu müssen, folgte der Sohn seinem Vater 1939 nach Tokio, der dort an der kaiserlichen Musikakademie engagiert war. In Tokio traf er den Korrespondenten der „Frankfurter Zeitung“, Richard Sorge, der sich als Journalist tarnte, eigentlich ein kommunistischer Spion war und 1944 gehängt wurde. Auch Pringsheim wurde als Spion verdächtigt, wurde verhaftet, und man entzog ihm die deutsche Staatsbürgerschaft. 1946 ging Pringsheim in die USA, von der er ein sehr idealisiertes Bild entwarf: ,,Ein Land, das reich war und schön, das fortschrittlichste auf dem gesamten Globus, und nun auch noch die Nation, die Adolf Hitler besiegt und Europa vom Faschismus befreit hatte. Es war für mich das sagenhafte Land, wo Milch und Honig fließen.“ Erst in Los Angeles lernte er, der vor seiner Auswanderung in Berlin lebte, seinen Onkel Thomas Mann kennen. Er lebte in dessen Haus, wurde eine Art Hausdiener, und seine Tante Katia lehrte ihn Autofahren. Ausführlich beschreibt Pringsheim die rigide Routine dieses Haushalts, in dem sich alle Mitbewohner völlig den Arbeitsgewohnheiten des Hausherrn unterordnen mußten. 1947 zog Klaus Pringsheim mit seinem Vater in eine eigene Wohnung in Los Angeles, wo er als Taxifahrer und Vertreter zu arbeiten begann. Als Thomas und Katia Mann 1952 nach Europa zurückkehrten, übernahm er es, ihren amerikanischen Haushalt aufzulösen. Danach heiratete er und begann, japanische und chinesische Politik zu studieren. Um diese Zeit erzählte ihm seine Mutter, daß sein Vater gar nicht Klaus Pringsheim war, und nannte ihm den Namen seines wirklichen Vaters. Erschüttert ging er zu Katia. Sie fragte ihn, ob ihm Klaus Pringsheim dennoch ein guter Vater sei, was er bejahte, und ob ihm je einer aus der Familie Mann oder Pringsheim das Gefühl gegeben habe, kein volles Mitglied der Familie zu sein, was er verneinte. Sie gab ihm den Rat: