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Bundeskanzler Dollfuß versuchte im Rahmen der Mai-Verfassung 1934 anstelle des Parteienpluralismus endgültig einen „autoritär geführten, religiös fundierten, ständestaatlichen Staat“ mit der Vaterländischen Front (VF) als einzig erlaubter Staatspartei zu etablieren. Tatsächlich diente die VF (übrigens ohne jegliches Parteiprogramm) vor allem der Legitimation der Staatsführung (Massenbasis) und mehr noch der politischen Kontrolle der Bevölkerung als „Naderer- und Schnüfflerorganisation‘.!! Die letzteri freien Nationalratswahlen 1930 hatten folgende Mandatsverteilung erbracht: Partei Mandate Stimmen Sozialdemokraten 72 1,517.146 Christlichsoziale 66 1,314.956 Schober-Block 19 428.255 Heimatblock 8 227.401 NSDAP (Hitler-Bewegung) 0 111.627 Die „Mai-Verfassung“ 1934 als Grundlage der Aushöhlung der Rechtsstaatlichkeit Die Frage der Grundrechte und ihrer Realisierung spielt eine herausragende Rolle, will man die Verfassungswirklichkeit des Ständestaates, vor allem in Hinblick auf die StaatsbürgerInnen, beurteilen. Bei der Verwirklichung und Umsetzung der Grund- und Menschenrechte können in einem Rechtsstaat die Praktiken der Gerichte und Verwaltungsbehörden zu einem ganz anderen Bild führen, als sich bei alleiniger Betrachtung der gewährleisteten Grund- und Freiheitsrechte vermuten läßt. Grundsätzlich überrascht bei der Betrachtung der Vorkommnisse dieser Zeit aus heutiger Sicht die Unverfrorenheit, mit der die Machthaber demokratische Spielregeln mißachteten und mehr noch sich selbst Mittel und Wege „verordneten“, um autoritäre Strukturen zu etablieren und zu festigen. So wurde in einer kaum zwei Stunden dauernden Sitzung von der Regierung Dollfuß unter Anwesenheit von nicht einmal der Hälfte der Abgeordneten das sogenannte „Ermächtigungsgesetz“ durchgebracht, welches unter anderem die Funktionen des National- und des Bundesrates für erloschen erklärte und dafür eine Ermächtigung der Bundesregierung (ohne Notwendigkeit einer Volksabstimmung) festlegte. Öffentliche Kritik in den Medien wurde kurzerhand als linke Agitation abgetan. Der damalige Gesetzgeber drückte die zentralen progammatischen Grundlinien (christlich, deutsch, bundesstaatlich und ständisch) so aus: Im Namen Gottes, des Allmächtigen, von dem alles Recht ausgeht [Anmerkung: und nicht mehr vom Volk!], erhält das österreichische Volk für seinen christlichen, deutschen Bundesstaat auf ständischer Grundlage diese Verfassung.'? Im Artikel 36 dieser „Mai-Verfassung 1934“ wurde das für Fremde, Ausländer und Staatsbürger gleichermaßen wichtige sogenannte Heimatrecht in der Grundsatzgesetzgebung dem Bund und in der Ausführungsgesetzgebung den Ländern kompetenzrechtlich zugeordnet. Staatsbürgerrechtliche Angelegenheiten und Rechtssprechung waren Bundeskompetenz. Es wurden dem gesetzgebenden Organ des Bundes (Bundestag) vier vorberatende Organe vorgeschaltet: 1. der Staatsrat, bestehend aus 40 bis 50 „verdienten, charaktervollen Bundesbiirgern, die nach ihrem bisherigen Verhalten und nach ihren bisherigen Leistungen volles Verständnis für die Bedürfnisse und Aufgaben des Staates erwarten lassen"; 2. der Bundeskulturrat, bestehend aus 30 bis 40 „vaterlandstreuen Vertretern von gesetzlich anerkannten Organisationen aus Religion, Bildung und Wissenschaft"; 3. der Bundeswirtschaftsrat, bestehend aus 70 bis 89 Vertretern der Berufsstände (von denen nur zwei der vorgesehenen sieben verwirklicht wurde); 4. der Länderrat aus 18 Mitgliedern (Landeshauptleute und Finanzreferenten der Länder) Deutlich werden die Lücken der Rechtsstaatlichkeit durch die „Neuregelung der Grund- und Freiheitsrechte“ im Artikel 15, wo durch eine Erweiterung der staatlichen Eingriffsmöglichkeiten der Grundrechtsschutz für den einzelnen mehr und Hrosht- Cislee - Weil Ein Abend revolusionärer Kunkt Der „Bunb proletarifcher Solibarttät” ber» anftaliet am Samstag, ben 22. April, um 7 Uhr abends im Babrifden Sof, 2 Bes. Zaborftraße 39, einen Abend. ber: Dichtungen bed berühmten Dichters . und, Genoffen Bert Brecht, ded Autors der „Dreigrofhenoper”. An biefem Abend werden Chire und: Songs von Brecht mit Mufit: ber vebolutionären Mufiter Eisler (Komponift bon ,,Urbeiter, Bauern, nehmt die Getvehre!*) und Weill (dem Romponifien der „Dreigrofchenoper“) zum Vorirag gelangen | “ : Ferner werben, aufgeführt Szenen aus ben dramatifchen. Werken "Brechts: „Die Make nahme”, ,,Babener Lehrftüd”, „Die Dreis grofchenoper“ und „Die Mutter”. Die Eintrittpreife find fehr nlebrig. gebaltien, von 6, 1.~ bis 3—; Karten find: im Vorverkauf erhältlich im Selretariat des BpS., 1. Bez, Köllnerhofgaffe:-. 3/14. ..(Telephon N 231.85), Buchhandlung Richard Lanyı, 1. Bez., Kärntnerftraße 44, Buchhandlung Zole ler, 3. Beg., Herzengaffe 5, Reflaurant Bahri[cher Hof, 2. Bez., Taborftraße 39, Bücherqueke, 3 Bej., Radetlnftraße: 13, Arbeiter-Buchhande Tung, & Bez, Wferftrake 69, Goethe-Buchands lung, 9. Be3., Qicdhtenfieinflrake 16, Dad Neinerträgnis flicht: dem Golidaritatsfonds für deutfche Klüchtlinge zu. Rote Fahne, 21. April 1933, S. 6. Bertolt Brecht hielt sich im März einige Wochen in Österreich auf. Heimat in der Fremde. Ser Samstag im Lauie wa Tages den atokern Sigungefaal des Barteibuufes beireten bat, der mochte jeiner Augen nit trauen. Mer day mitte ih der Raum. in dem jonit in erniter Peratung SNenjden Eeijummenfigen? Beihiitia Tiefen Reute bin und ber, cin Bieninw murde hinauje befördert, flinfe Sediener:nnen lieken 68 jich nicht nehmen, fojufanen als itleikauinabe Serfter, Boden und Bind yu reinigen. Und ‚wildens dur banden andre Tennengirlanden, Fahnen tud umfpanute die Sodeln der Büften, um bie Sampen floffen auf einmal meiche, brongefarbene Sängeibirme, der Lichterbaum belam feinen Bla. ein riefiner Hödentfrang grüßte Sor der Zür und auf den Tilden Büuften fih die Taderln, jeder einzelne in Reibnachtöpapier ger bUTE und mit einem ITannenzmeiglein refadinidt. Wat gina da vor? Was follten die vielen, vielen Befsbente? Das Franensentrallomiter dec josials demoftafiihen Garter bat die deutiden Stüchtlingne zu einer Meihnachlsfeier eins eeladen. Die Husgeftoßenen ihrer Heimat follten fühlen, dab ihnen überafl eine &eimat eriteht, mo Zozialiiten Tebeı. Weihnachtsfeier im „Vorwärts“ für Flüchtlinge aus Deutschland. Arbeiter-Zeitung, 28. Dezember 1933, S. 7. Nach Herbert Exenberger „kamen von Mai bis Dezember 1933 714 Emigranten aus verschiedenen Ländern, darunter mehr als 350 aus Deutschland, in die Sozialdemokratische Flüchtlingsstelle im 6. Bezirk, Königseggasse 10, an die rund 20.000 Schillinge [sic!] an Unterstützung ausgezahlt wurden.“