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Die Freizügigkeit der Person Auch das Grundrecht der im Staatsgrundgesetz von 1867 proklamierten „Freizügigkeit der Person“ wurde durch einen Gesetzesvorbehalt, das Schubgesetz aus dem Jahr 1871, mehr und mehr eingeschränkt. Dadurch wurde die Entfernung bestimmter Personen aus einem Ort oder Gebiet auf Zeit bzw. für immer ermöglicht, und sollte ursprünglich ausschließlich „Landstreicher und sonstige Arbeitsscheue, ausweis- und bestimmungslose Personen, die kein Einkommen und keinen erlaubten Erwerb haben, öffentliche Dirnen, aus der Haft tretende Sträflinge und Zwänglinge, die die Sicherheit der Person und des Eigentums gefährden“, betreffen. Sehr schnell wurde diese Bestimmung unter Anwendung (unzulässiger, weil vom Gesetzgeber nie beabsichtigter) extensiver Gesetzesauslegung auch auf politische Gegner und unerwünschte Personen angewandt, worauf die „Abschaffung“ der unliebsamen Person erfolgte. „Abschaffung“, das ist nichts anderes als die zeitgenössische Abschiebung und funktionierte damals nach nicht unähnlichen Prinzipien wie heute. Zusätzlich hatte sie ein durchwegs „soziales“ Moment: von der Abschaffung bedroht waren Menschen, die ihren sozialen Standard aufgrund von Arbeitslosigkeit, Mittellosigkeit und Armut oder Staatenlosigkeit nicht entsprechend aufrechterhalten oder nachweisen konnten. Ausschlaggebend dafür war nach damaligem Recht das „Heimatrecht“ der einzelnen Bundesländer und Gemeinden aufgrund der Mai-Verfassung, dessen Administration durch die Bezirksverwaltungsbehörden erfolgte. Die Abschaffung stellte einen Verwaltungsakt dar, was naturgemäß den leichteren und direkteren Ein- bzw. Durchgriff gewährleistete. Vollzugsbehörde waren die Organe der öffentlichen Sicherheit (Polizei, Gendarmerie). Im Gegensatz zu dieser „Abschaffung“ konnte die „Expulsion‘ nur gegen Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung verhängt werden und nicht nur „aus politischen Gründen“, wie es beim Verwaltungsverfahren der Fall war. Zu beachten ist auch, daß diese Urteile immer von formell weisungsungebundenen Gerichten'° stammten, ohne daß — wie eben bei jeder Verwaltungsbehörde - eine direkte Einflußnahme seitens der politischen Führung auf die ihr unterstellten Behörden stattfinden konnte. Aber man war damals (fast ist man versucht zu sagen: natürlicherweise!) auch bemüht, „Bettler, Vagabunden, Personen mit ansteckenden Krankheiten, sowie Ausländer, die eines Verbrechens dringend verdächtig erscheinen oder wegen eines Verbrechens verurteilt sind“, gar nicht erst einreisen zu lassen. Verschärft wurden die ohnehin restriktiven Einreisebestimmungen zudem durch die Möglichkeit, jemanden bei „Gefährdung der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Ruhe“ trotz Erfüllung anderer Voraussetzungen (Reisepaß, Visum, Nachweis ausreichender finanzieller Mittel) an der Grenze abzuweisen. Genutzt wurde dieser „Gummiparagraph“ (eine rechtliche Bestimmung die im Wege der Interpretation vieldeutig und weit ausgelegt werden kann) vor allem bei politischen Maßnahmen gegen „Anarchisten, Kommunisten, bolschewistischen Agitatoren", wodurch ein Egon Erwin Kisch zum „Ausländer und kommunistischen Parteigänger“ mutieren konnte.!7 Aber es gibt auch eine Unzahl von „einfachen“ Menschen, die per simplen Bescheid der Bezirkshauptmannschaften aus dem Bundesgebiet „abgeschafft“ wurden.-Ein Herr Josef Huber aus Wals deshalb, weil er sich in „abfälliger Weise über die österreichische Regierung und Mitglieder derselben geäußert hat“, gar für immer!'® In diesem Zusammenhang ist es wohl bemerkenswert, daß es heute leichter fällt, unrechtmäßige Zwangsmaßnahmen gegen rechtsradikale politische Gegner zu recherchieren, als die gegen andere politisch, sozial oder religiös Verfolgte. Offenbar hatten die Anhänger der NSDAP damals eine entsprechende Lobby, die an maßgeblicher Stelle für sie intervenierte, wie es z. B. der bekannte Rechtsanwalt Dr. Führer in seinen Schreiben an BK Dr. Schuschnigg für seine Kameraden tat. Führer zeichnet jedoch ein für alle Betroffenen typisches Bild: das Abhören einer ausländischen Rundfunksendung, eine Äußerung in einem Brief oder Tagebuch (!), eine falsche Bemerkung in einem Gespräch, ein Flugzettel oder eine rein caritative Unterstützungstätigkeit genügten den Verwaltungsbeamten, um mit der „unerhört tief eingreifenden“ Rechtsfolge der „Abschaffung“ gegen Regimegegner vorzugehen. Anmerkungen zu A. Viehauser 1 Friedrich Torberg: Die Erben der Tante Jolesch, S. 145 (dtv). 2 Vgl. Botz: Introduction. In: Who Were the Fascists, S. 197. 3 Lehner 1994, Österreichische Verfassungsund Verwaltungsgeschichte, S. 287. 4 Erklärung vom 25. März 1933. Zitiert nach Huemer: Verfassungsbruch. In: Fröschl/Zoitl (Hg.) 1984. Der 4. März 1933, S. 111. 5 Zitiert aus der „Reichspost“. In: Der österr. Ständestaat, Seminarschrift, Berlin 1984, S. 17. 6 Vgl. Stiefel: Arbeitslosigkeit. Soziale, politische und wirtschaftliche Auswirkungen am Beispiel Österreichs 1918 — 1938, S. 89. 7 Angaben It. Österr. Statistisches Handbuch 1937. 8 Vgl. Lehner, wie Anm. 3, S. 287f, 9 Lehner, wie Anm. 3, S. 288. 10 So der Mandatar der Heimwehr und spätere Minister Neustädter-Stürmer, zit. nach Huemer, Verfassungsbruch, wie Anm. 4, S. 111. 11 Vgl. Jagschitz, Theorie und Praxis des österr. Ständestaates, in: Rettinger u.a. (Hg.), Zeitgeschichte, 1982, S. 124. 12 BGBl. 1934 17/239 bzw. ein zweites Mal erlassen von der Regierung BGBl. 1934 IV/L; vor allem um im westeuropäischen Ausland den Schein der Rechtskontinuität und Legalität zu wahren. 13 Entgegen der ausdrücklichen Gewährleistung durch Artikel 21 der Mai-Verfassung; der Verfassungsgerichtshof war bereits im Mai 1933 aus- bzw. gleichgeschaltet worden. 14 Vgl. dazu Lehner, wie Anm. 3, S. 309. 15 So betrug der Pauschalbetrag für die Bewachung durch zwei Polizisten pro Tag S 144,(Schwarzbuch der österr. Diktatur, S. 112); vgl. auch Lehner, wie Anm. 3, S. 297. 16 Allerdings wurde auch auf die Justiz zu diesem Zeitpunkt politischer Druck ausgeübt: Richter konnten „wider ihren Willen auch aus wichtigen dienstlichen Rücksichten bis zu einem Jahr außerhalb ihrer eigentlichen Amtsstelle eingesetzt werden.“ Dazu ausführlich: E. Holtmann, in: Neck/Wandruszka: „Die österr. Verfassung von 1918 bis 1938“. Symposiumsprotokoll. 17 Vgl. Rathkolb: Asyl- und Transitland 1933- 1938? In: Heiss/Rathkolb (Hg.) 1995, „Asylland wider Willen“, S. 111. 18 Vgl. Puschek: Ständische Verfassung und autoritäre Verfassungspraxis in Österreich 1933-1938, S. 234. 19 Vgl. Reichspost, 11. Februar 1933; Rathkolb, wie Anm. 17, S. 113. 20 Vgl. Rathkolb, wie Anm. 17, S. 115f. 21 Archiv der Republik, Bundeskanzleramt, Wanderungsamt, Z1.88.184 WA/1938, Vortrag für den Ministerrat, S. 6.