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gewissermaßen um eine Veranstaltung der überlebenden Mahler-Verehrer. Einen ähnlichen Eindruck vermittelt auch die Kritik der Achten von Fritz Deutsch im Neuen Wiener Journal: der Kritiker selbst zählt dabei zur jüngeren Generation — 1902 geboren, Studium bei Guido Adler, Anton Webern und Eduard Steuermann; er emigrierte noch im September 1936 über Einladung von Eugene Ormandy in die USA, wo er unter seinem neuen Namen Frederick Dorian vor allem als Musikwissenschaftler wirkte. In der Sprache der alten Mahler-Verehrer versucht Deutsch die Begeisterung über das endgültig Vergangene zu fassen, und es fragt sich, ob in den Formulierungen über die Mahler-Gemeinde nicht auch etwas Ironie mitschwingt: „In dem seit Tagen ausverkauften Saal eine in ihrer Liebe zum Werk gleichgeschaltete Hörerschaft, deren Jubel den diesseitigen, sinnenstarken Sieg der Partitur klar ausspricht. Am Pult als Führer des musizierenden Kollektivs und Deuter der Gemeinde Gustav Mahlers: Bruno Walter, Apostel im testamentarischen Sinn, der als Auserwählter über dem Erbe seines Meisters wacht und es der Nachwelt kündet...“!' In derselben Zeitung erschienen am 17. Mai auch mehrere Erinnerungsartikel, Alma Mahler-Werfel stand dabei im Mittelpunkt: „Es ist, als träte man in ein Museum“, berichtet der sichtlich ergriffene Rezensent von seinem Besuch bei der hohen Dame. „In das intimste und privateste Museum freilich, das sich denken läßt. Der grünlich schimmernde Raum ist gleichsam von einer musikalischen Stille durchflutet. Mit einem Gefühl, das sich als andächtig beschreiben läßt, schreitet man über weiche Teppiche zu den großen Glasvitrinen, die in die Wände eingelassen sind: die Originale sämtlicher Werke Gustav Mahlers ruhen in ihnen, man kann sich bedächtig in die zarten Schwünge dieser kostbaren Handschriften versenken. Sie war die Gefährtin eines der größten Komponisten - sie ist heute die Gefährtin eines der bedeutendsten lebenden Dichter: Franz Werfels. Um das Blond ihres Haares liegt ein Glanz der Milde, es ist als wäre die Stille und Harmonie des Raumes ein Ausfluß ihres Wesens; wenn sie von dem ersten Großen spricht, dem sie Gefährtin war, klingt es innig versonnen, mit einem deutlichen Ausdruck der Beglücktheit. Vor der Vitrine, in der die ‚Achte‘ zu sehen ist, bleibt sie stehen: ‚Sie ist mir gewidmet — das ist mein allergrößter Stolz.‘“'! Neben solchen seitenlangen feuilletonistischen Ergüssen, gibt es im Neuen Wiener Journal nur einen einzigen Artikel, der sich mit den Kompositionen Mahlers beschäftigt — und der stammt von Joseph Marx und trägt den Titel: „Was dünket Euch um Gustav Mahler”?“; d.h. er betrachtet die Werke Mahler nicht anders als der Berichterstatter im Hause Alma Mahlers die Vitrinen. Allerdings ist Marx darum bemüht, Mahler zu verkleinern - auf Albumgröße gewissermaßen — und ihn von der großen klassischen Tradition abzukoppeln, und dies unter dem Vorwand, ihn dadurch populärer machen zu können. „Es war unrichtig, da von gerader Weiterführung klassischer Art zu sprechen und die größten Namen zum Vergleich heranzuziehen. Viel anregender, Künstlers Maß aus seinem eigenen Werk zu finden und ihn daraus zu verstehen, zu werten.“'? Und Marx nimmt hierzu hauptsächlich an den kleinsten, frühesten Liedern Mahlers Maß - diese gelten ihm als die „Perlen des Meisters“, doch vergißt er nicht darauf hinzuweisen, das auch sie nicht wirklich originell, sondern der deutschen Volkskultur oder anderen, deutschen Komponisten abgeschaut seien: „frühere, einfache Stücke klingen innig nach deutschem Volkslied, das neben dem alten Balladen-Löwe Pate dabei stand. ‚Hans und Grete‘, ‚Um schlimme Kinder artig zu machen‘ vor allem das entzü16 ckende ‚Ablösung im Sommer‘ (...) Echte Romantik der Wunderhorn-Dichtungen, die er liebevoll nacherlebt.“!? In einem Brief an Adorno charakterisierte Ernst Kfenek, den „Typus“ Joseph Marx, der in Österreich bis in die sechziger Jahre als führender Komponist galt, durch genau jene „stumpfsinnig restaurative Haltung‘, für die in seinem Projekt von moderner Musik kein Platz sei.'* Das Trojanische Pferd Hinter der unsäglichen Phrasenhaftigkeit dieser Art feuilletonistischer Mahler-Pflege, die um so öfter die Naturliebe des Komponisten beschwört, als sie Angst vor dem gesellschaftlichen Gehalt seiner Musik zu haben scheint, verbirgt sich allerdings bereits eine ideologische Konstellation, die schließlich Mahlers Werke abschaffen und seine größten Verehrer und Alma Mahler selbst mit ihrem neuen „Gefährten“ aus dem Land treiben wird: zur selben Zeit wie jene vergangenheitssüchtigen Artikel über Mahler publizierte dieselbe Zeitung, das Neue Wiener Journal, allerlei zukunftsträchtige Lyrik, etwa folgende, die das Dritte Reich zur Besetzung des Saarlands und zur Eroberung Polens antreibt: „Ein deutsches Kampflied: Ins Herz sollst du dir graben / Dies Wort als wie ein Stein: / Was wir verloren haben, Darf nicht verloren sein. Denn heilig ist die Scholle (...) Wo tief im Schoß die Kohle / / Das schöne Saarland trägt, / Und wo an Danzigs Mole / Der Weichsel Welle schlägt - / Da schändet deine Erde / Landfremden Feindes Fuß; / Du Knecht der Freiheit erwache / Und schüttle ab die Schmach / Und sinn dem Tag der Rache / Dem Tag der Freiheit nach.“!> Und nur wenige Tage vor dem Beginn der Mahler-Feiern hielt Staatsrat Leopold Kunschak, 1892 Gründer des christlich-sozialen Arbeitervereins und nach 1945 Präsident des Nationalrates, bei einem Appell, den der Wiener Freiheitsbund, die Wehrorganisation der christlichen Arbeiterbewegung, veranstaltete, eine Rede, in der es hieß: „Vor einigen Wochen habe ich auf die Notwendigkeit verwiesen, mit der Vogel-Strauß-Politik in der Judenfrage zu Ende zu gelangen. Es ist von wesentlicher Bedeutung, daß die Führer der Arbeiterschaft in Abstammung und Denkart dem bodenständigen christlichen Volk angehören und daß der zersetzende Einfluß des Judentums aus dem Geistes- und Wirtschaftsleben des deutschen Volkes verdrängt werde. In dieser Frage gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder löst man die Judenfrage rechtzeitig, Eingebungen der Vernunft und Menschlicheit folgend, oder sie wird gelöst werden, wie das unvernünftige Tier seinen Feind angeht, im Toben wild gewordenen Instinktes.“'° Die christliche Arbeiterbewegung und insbesondere ihre Wehrorganisation bildete überhaupt so etwas wie das Einfallstor des Nationalsozialismus in den „Ständestaat“. Der Freiheitsbund lebte nicht nur von der geheimen finanziellen Unterstützung durch Nazideutschland, sondern mindestens ebenso von dem seit Jahrzehnten kultivierten Antisemitismus. In der Wochenzeitung Deutsches Volksblatt wurde die Rede Kunschaks mit begeisterter Zustimmung abgedruckt - als „überaus bemerkenswerte Feststellungen zur Judenfrage, die nicht verfehlen werden, in der gesamten Öffentlichkeit ein starkes und zustimmendes Echo auszulösen. (...) Staatsrat Kunschak dürfte hoffentlich vor dem Anwurf gefeit sein, sich irgendwelchen destruktiven oder gar staatsfeindlichen Gedankengängen hinzugeben. Dies festzuhalten mag vielleicht eigenartig scheinen; es ist aber nötig, weil sich verschiedene Wortführer des Judentums das probate Mittel zurechtgelegt