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haben, jeden, der aus seiner antisemitischen Einstellung kein Hehl macht, nazistischer Umtriebe zu zeihen ...“ In unmittelbarer Nachbarschaft des Artikels findet sich eine Werbeanzeige des Deutschen Volksblattes, in welcher zu lesen ist: „National sein heißt, für die völkische Art der Heimat kämpfen; dafür eintreten, daß Österreich das bleibt, was es immer war: Die freie deutsche Ostmark.“!? Organisationen wie der Freiheitsbund, Politiker wie Kunschak, Zeitungen wie das Deutsche Volksblatt verweisen darauf, daß sich offenkundig ein Trojanisches Pferd im „Ständestaat“ befand — nur daß es nicht ins Land als Geschenk der feindlichen Macht geschmuggelt werden mußte, sondern eben hier vor Ort gezimmert worden war. Immerhin bekundete man im Deutschen Volksblatt durchaus Staatstreue und bekannte sich emphatisch zur ständestaatlichen Ordnung, berief sich auf päpstliche Enzykliken etc. Nur in zwei Fragen wich man ab und übte in diesem Sinn eine Art solidarische Kritik an der aktuellen Staatsführung: die Frage der Einschätzung Hitlers und die Frage der Einschätzung der Juden. Vielleicht sollte man also sagen, daß es sich um ein gläsernes Trojanisches Pferd handelte. Inmitten des christlich-deutschen Ständestaats war hier bereits ein kleines Drittes Reich errichtet — eine Anzeige etwa fordert dazu auf: „Wählen Sie bei Ihren Einkäufen nur ein arisches Geschäft! Beachten Sie unsere Anzeigen. Wir nehmen nur Einschaltungen arischer Kaufleute an.“'® Bemerkenswert ist, daß diese Zeitung, die einen ausführlichen Kulturteil besaß, die Feierlichkeiten zum 25. Todestag Mahlers vollkommen übergeht; stattdessen wird von Liszt, „dem Deutschen“, und übers 60jährige Jubiläum von Bayreuth ausführlich berichtet. Auch die Reichspost hält sich in ihren antisemitischen ÄuBerungen zu Mahler in diesen Monaten auffällig zurück — es ist, als ob man noch abwarten wollte, wie sich das kulturpolitische Klima im Zuge der Umstrukturierung des Staates verändern würde. Zwei Jahre davor hatte im selben Blatt etwa Max Springer — vermutlich handelt es sich um den Komponisten und Lehrer an der Wiener Staatsakademie fiir Musik — seine Ressentiments über Mahlers Musik kundgetan. Max Springer beginnt seine Besprechung mit einer allgemeinen Kritik an der Programmgestaltung der Wiener Philharmoniker und am zeitgenössischen Musikleben — wobei er das im „Ständestaat“ durchaus nicht paradox klingende Kunststück fertigbringt, die Forderung nach zeitgenössischer Musik mit der nach bodenständiger zu verbinden: „Vom heimatlichen neuzeitlichen Schaffen hört man äußerst wenig oder überhaupt nichts. Sollte es wirklich in dem musikbegabtesten aller Völker, dem deutschen und speziell österreichischen, keine lebenden Komponisten mehr geben, deren Werke einer Aufführung würdig wären? Zum letzten achten philharmonischen Konzert wird Otto Klemperer als Dirigent geladen. Und was musiziert er uns vor? Strawinsky, Debussy und Musik zu ‚Sommernachtstraum‘ von Mendelssohn. Sapienti sat!“!? Im Folgenden wird klar, daß der Kritiker auch Gustav Mahler nicht zu den Komponisten des „musikbegabtesten aller Völker“, des deutschen und des speziell deutschen, nämlich österreichischen, zählt und daß auch Bruno Walter nicht dazugehört: „Im siebenten Abonnementkonzert dirigierte Bruno Walter, von seiner Verehrerschar lebhaft begrüßt, Mozarts entzückende Sinfonie Es-Dur, ohne besondere innere Anteilnahme, akademisch korrekt und kühl, das Menuett etwas zu schwerblütig, das Finale überhetzt. Erst im zweiten, dem ‚Lied von der Erde‘ gewidmeten Teil des Konzertes, fand der begeisterte Mahlerapostel sein innerstes Wesen und damit die Stärke und Höhe seiner Interpretationskunst. Gustav Mahler besaß eine geradezu fanatische Liebe für deutsche Romantik, deutsches Wesen. (...) Wo immer er konnte, suchte er das Naturgefühl der deutschen Seele sich künstlerisch anzueignen. Wenn ihm dies zum Teil auch gelang, so mußte doch der Versuch einer vollständigen Verschmelzung mit deutschem Geiste, eines vollständigen Aufgehens in deutscher Art aus naheliegenden Gründen mißlingen. Er liebte und suchte die deutsche Seele. Das Unvermögen aber, in ihr eine organische, lebendige Verwurzelung zu finden, war die große Tragik dieses Künstlerlebens. Mit richtigem Instinkte vertiefte er sich in den Inhalt der Natur in der Hoffnung, mit diesem eine geistig-seelische Brücke zum Deutschtum schlagen und sich so von seiner inneren Not befreien zu können. Er hielt sich ja selber für einen ‚Sänger der Natur‘. Dazu fehlte ihm aber die unkomplizierte Naivität etwa eines Schubert oder Bruckner. Dieser Mangel brachte es mit sich, daß dem fanatischen Wollen Mahlers nicht ein gleichstarkes Können entsprach.“ Hier setzte sofort die Wiener Ausgabe des Stürmer dankbar an und buchstabierte die „naheliegenden Gründe“ für das „Scheitern“ Mahlers aus: „Gelegentlich der Besprechung des siebenten Philharmonischen Konzertes beklagt sich die ‚Reichspost‘ bitter darüber, daß die Philharmoniker dem musikalischen Schaffen heimischer lebender Tondichter nicht das geringste Interesse entgegenbringen. Uns kann das nicht wundern, wenn man die Namen der Dirigenten liest, die nach Wien berufen werden. Das achte ‚Philharmonische‘ wird beispielsweise Otto Klemperer [Klemperer gesperrt gedruckt! — eine bei antisemitischen Zeitungen übliche Praxis, den „jüdisch‘“ klingenden Teil des Namens besonders hervorzuheben; G.S.] anvertraut, der Strawinsky, Debussy und Mendelssohn [gesperrt gedruckt!] angesetzt hat.‘?! Und im folgenden greift der Stürmer nun dankbar die Formulierungen aus der Reichspost auf und spitzt sie zu — ganz so, wie der Antisemitismus der Nationalsozialisten in allen Bereichen mit dem bereits vorhandenen Antisemitismus umgegangen ist: nur eine Drehung genügte, um von der Ausgrenzung zur Vernichtung überzugehen: „Gustav Mahler besaß eine geradezu fanatische Liebe fiir deutsche Romantik, deutsches Wesen.‘ (Diese Liebe blieb wohl einseitig). ‚Mit Vorliebe bewegten sich seine poetischen Vorstellungen in urdeutschen (!) Empfindungsregionen.‘ Allerdings ist es nur bei den Vorstellungen geblieben, wie die banale Volkstümelei Mahlers beweist. ‚Wo immer er konnte, suchte er das Naturgefühl der deutschen Seele sich künstlerisch anzueignen.‘ Merkwürdig, daß sich die Juden Naturgefühle fremder Seelen aneignen müssen; verfügen sie denn über kein eigenes Seelenleben? ‚Der Versuch einer vollständigen Verschmelzung mit deutschem Geiste, eines vollständigen Aufgehens in deutscher Art mußte aus naheliegenden Gründen mißlingen.‘ Wie vorsichtig, diskret sich das Blatt ausdrückt! ‚Er liebte und suchte die deutsche Seele‘, konnte sie jedoch niemals finden. ‚Das Unvermögen aber, in ihre eine organische, lebendige Verwurzelung zu finden, war die große Tragik dieses Künstlerlebens.‘ Der Mangel an Fähigkeit, ‚zum Deutschtum eine geistig-seelische Brücke zu schlagen‘, brachte es mit sich, ‚daß dem fanatischen Wollen Mahlers nicht ein gleichstarkes Können entsprach‘. Was wir immer gesagt haben: ein Woller, aber Nichtkönner. Es ist wertvoll, über die Stellungnahme der ‚Reichspost‘ zu Mahler aus authentischer Quelle — der Bericht ist von Max Klinger gezeichnet — unterrichtet zu werden. Sie hat hiemit die unüberbrückbare Kluft 17