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zwischen Ariertum und Judentum offiziell zugegeben; daher wird es ihr in Hinkunft schwer möglich sein, gegen die Rassenlehre ernstliche Einwände zu erheben.“”? Blickt man also genauer hin auf die Feierlichkeiten zum 25. Todestag Mahlers im Jahre 1936 und klammert die Umgebung, in der sie stattfinden, dabei nicht aus, so erscheint vieles bereits als Fassade: der „Ständestaat“ geriet gerade in diesen Wochen in eine schwere Krise, am 16. Mai meldeten die Zeitungen, daß Schuschnigg die Vaterländische Front umorganisieren werde, Heimwehr-Führer Starhemberg zurücktrete und Italien dessen Ausscheiden aus der Regierung bedaure. Der Ankündigung Schuschniggs folgte ein „imposanter Fackelzug von 12 000 Mann unter brausenden Heil-SchuschniggRufen“.?? Schuschnigg übernahm nun selbst das Außenministerium und die Führung der Vaterländischen Front. De facto bedeutete das Ausscheiden Starhembergs bereits eine Konzession an das Dritte Reich, denn Starhemberg hatte noch im Mai bei einer Unterredung mit Schuschnigg ein Abkommen mit Deutschland abgelehnt. Starhemberg vertraute offenbar noch immer ganz auf die Unterstützung Italiens gegenüber Nazideutschland. Andere Politiker bauten indes ihre geheimen Verbindungen zur deutschen Regierung weiter aus. Was sich bereits bei Mussolinis Abessinienfeldzug andeutete, wurde nun Gewißheit: das Bündnis zwischen Italien und Deutschland, dem die Unabhängigkeit Österreichs zum Opfer fallen mußte. Zwei Monate später-am 11. Juli- schloß Schuschnigg dann das Abkommen mit Hitler, das - freilich nur in dem nicht veröffentlichten Protokoll — die ganze Schwäche des „Ständestaats“ gegenüber dem Nationalsozialismus offenbarte und die Weichen für den Anschluß stellte. Bei genauerem Hinsehen bröckelte auch die MahlerFassade. Selbst wenn die fortdauernde schwierige wirtschaftliche Situation bedacht wird, die für das Musikleben erhebliche Einschränkungen zur Folge hatte, ist die geringe Zahl von Mahler-Aufführungen gerade im Vergleich zu den frühen zwanziger Jahren signifikant. Charakteristisch für die Situation im Exilland Österreich ist auch, daß zwar das bereits vor 1933 geplante Denkmal für Gustav Mahler jetzt mit scheinbar großem Eifer in Angriff genommen wurde, es aber zur wirklichen Errichtung nicht kam. Noch im Juli berichteten die Zeitungen von der geplanten Aufstellung des Denkmals auf dem Grinzingerplatz, nicht weit von der Hohen Warte, wo Alma Mahler-Werfel ihr neues Haus bezogen hatte; zuvor waren als Ort die Stallburggasse und der Strauß- und Lanner-Park (!) im Gespräch. Ursprünglich, noch in der Zeit der Ersten Republik, war Anton Hanak vom Denkmals-Komitee mit dem Entwurf betraut worden. Zu dieser Zeit hatte sich — wie Alma Mahler-Werfel berichtet — besonders Julius Tandler für das Mahler-Denkmal eingesetzt. Das Komitee aber konnte sich „in seiner Gesamtheit, nicht mit des Künstlers Auffassung befreunden, überdies schwankte man in der Bestimmung eines geeigneten Ortes für das Monument, und schließlich waren im Komitee andere Unstimmigkeiten entstanden, so daß die Angelegenheit verzögert wurde. Im Jänner 1934 starb Hanak (...) Das Komitee sah sich nach einem anderen geeigneten Künstler um, und es beschloß, dem jungen Fritz Wotruba, einem der meistbeschäftigten Schüler des Dahingegangenen, dem sehr eignen und immer sicherer aufstrebenden Bildhauer, den Auftrag zu erteilen.‘* Die Neue Galerie in der Lothringerstraße zeigte im Juli 1936 zwölf plastische Entwürfe zum Gustav-MahlerDenkmal, sowie die Entwürfe für die architektonische Anlage des Monuments auf dem Grinzingerplatz. Die ursprünglich ge18 plante großzügige Anlage wurde jedoch schon zur Zeit der Ausstellung wegen einer Straßenregulierung zu Fall gebracht, und Wotruba schuf eine zweite Variante, die auf einen verkleinerten Raum Rücksicht nimmt. Die Anlage jedoch wurde schließlich so sehr ‚verkleinert‘, daß die Nazis, als sie in Wien die Macht übernahmen, überhaupt kein Mahler-Denkmal abräumen mußten. „Nach der Machtübernahme in Österreich“, berichtet Alma Mahler-Werfel, „hat Hitler sofort die MahlerStraße in Wien unbenannt in Meistersingerstraße — und das gesamte Mahler-Denkmal-Geld eingestrichen!“”° Wien - vermutlich die Stadt mit den meisten Musiker-Monumenten der Welt - besitzt bis heute kein Mahler-Denkmal. Die Moderne im Exilland Österreich Nachdem sie 1933 aus Deutschland vertrieben worden waren und dort alle ihre Arbeits- und Wirkungsméglichkeiten verloren hatten, suchten viele Musiker und Musikschriftsteller jüdischer Herkunft oder antinationalsozialistischer Gesinnung in Österreich Fuß zu fassen — darunter nicht wenige Mahler-Interpreten und -Spezialisten. Das berühmtestes Beispiel ist hier natürlich Bruno Walter: er verlagerte zwischen 1934 und 1938 das Hauptgewicht seiner Tätigkeit auf das Musikleben in Österreich, ehe er schließlich auch von hier vertrieben wurde und über Frankreich in die USA emigrierte. Seine Nähe zum österreichischen Regime war wohl — neben dem Einfluß der Witwe Mahlers und ihres Mannes Franz Werfel auf die Kulturpolitik des Staates — eine der wesentlichen Impulse der „Mahler-Pflege“ unter Dollfuß und Schuschnigg. Für die Wiener Philharmoniker, die in den frühen zwanziger Jahren im Gegensatz zum Wiener Sinfonie-Orchester (den späteren Wiener Symphonikern) nur wenig Mahler gespielt hatten, war dies von ähnlich großer Bedeutung wie später in den siebziger Jahren die Arbeit Leonard Bernsteins mit dem Orchester: Walter dirigierte zwischen 1933 und 1938 in Wien nicht weniger als acht Mahler-Konzerte: neben der Ersten, Zweiten, Dritten und dem Lied von der Erde kam nun auch die Fünfte und die Neunte mit den Philharmonikern zur Aufführung - bei der Achten dirigierte Walter die Wiener Symphoniker. Fast könnte man von einem Mahler-Zyklus des „Ständestaats‘“ sprechen, der hier dem republikanischen Mahler-Zyklen von Oskar Fried und der Arbeitersymphonie-Konzerte entgegengesetzt werden sollte — doch sparte man im Unterschied zu diesen gerade die Sechste und Siebente aus. Ob die offiziöse Funktion, die Bruno Walters Mahler-Aufführungen zwischen 1934 und 1938 besaßen, auch seine musikalische Interpretationsweise geprägt hat, ist natürlich schwer zu sagen. Folgt man den meisten Kritiken aus den dreißiger Jahren, so hat man fast diesen Eindruck. Bei der Aufführung der Zweiten im Jahr 1936 wird betont, daß Walter „Schroffheiten scheinbar mildert“, den Klangstoff „delikat modelliert“ — „Im Finale verwandelt sich denn auch seine liebende Zärtlichkeit in lodernde Inbrunst, und seine ausdrucksvolle Deklamation steigert sich zu Pathos und Feierlichkeit.“?° Schroffheiten und Groteskes zu mildern und zu modellieren, das ‚kämpferische‘ Moment aufzulösen, das lyrische gegenüber dem dramatischen zu betonen, die gesamte Symphonie teleologisch auf das feierliche Finale mit christlicher Auferstehung und Erlösung hin auszurichten und damit die Bedeutung eines Satzes wie des Scherzos als bloße Vorstufe der Erlösung herabzusetzen - all das entspricht einem Mahler-Bild, mit dem auch ein christlich-deutscher „Ständestaat‘ gut leben kann. Das im Jah