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vermeidlich scheint, solange Sie beides: Freiheit und ‚Legitimität‘ retten wollen; aber es ist nicht mein Recht, irgendetwas an Erfahrungen Ihnen vorwegzunehmen.“” Kfenek seinerseits hätte übrigens nur wenige Monate davor ähnliches an Adorno über dessen eigene Illusionen angesichts der Situation im Dritten Reich schreiben können: Adorno publizierte damals noch in der gleichgeschalteten Presse und fand lobende Worte für eine Vertonung von Gedichten Baldur v. Schirachs und berief sich dabei sogar namentlich auf Goebbels ‚romantischen Realismus‘; es ist vielleicht auch kein Zufall, daß Adorno die antisemitische Konsequenz Nazi-Deutschlands gerade im Fall Mahlers verkannte, solange er für sich selbst an ein Auskommen in Nazi-Deutschland glaubte: in einem Artikel für die gleichgeschaltete Zeitschrift Die Musik war er bereits 1933 an das neue Regime mit dem konstruktiven Vorschlag herangetreten, es wäre vielleicht doch wichtiger, Operetten wie die von Kälmän „auszumerzen, als von den Programmen Mahlersymphonien abzusetzen‘.** In Österreich jedoch publizierte Adorno für die von Kfenek herausgegebene Musikzeitschrift 23, und hier erschien — unter dem Pseudonym Hektor Rottweiler — auch der große Mahler-Aufsatz Adornos aus der Mitte der dreißiger Jahre: „Marginalien zu Mahler — Bei Gelegenheit des fünfundzwanzigsten Todestages“, der in vielem sein großes Mahler-Buch von 1960 vorwegnimmt: gestützt auf die Kategorien von Georg Lukäcs‘ Geschichte und Klassenbewußtsein, sieht er in Mahlers Komposition eine „Kritik der musikalischen Verdinglichung“ durchgeführt, und unter diesem Gesichtspunkt demontiert er jenen Vorwurf des Banalen, der Mahlers Musik immer wieder gemacht wurde: „Erscheint ihr Banales vom Material her gesehen als Trümmer der musikalischen Dingwelt, ist es doch zugleich vom Ich produziert, dessen Drang nach unvermittelter Kundgabe, ja Reproduktion des Seienden, dessen dokumentarischer Wille aller Wahl vergißt und, der mittleren musikalischen Artikulation satt, soviel an humanem Ausdruck ihr zumutet, bis sie zerfällt und zerfallend zur banalen wird. (...) Der zweideutige Mahler: über die banalen Themen hat er manchmal ‚mit Parodie‘ geschrieben und manchmal ‚ohne alle Parodie‘, und der Hohe Verstand plagt sich, wo die Anweisung fehlt, mit der peinlichen Frage: hat er es ernst gemeint oder nicht; peinlich, weil er meint fürchten zu müssen, an der falschen Stelle seriös zu bleiben, während doch sein Humor dort noch deplaciert ist, wo es in der Tat etwas zu lachen gibt. Aber auf seine Frage verweigert Mahlers Musik die Antwort. Das macht: ihre Banalität ist Parodie und Ernst zugleich. Im Banalen verfällt die Dingwelt dem Lachen, die als ewig, natürlich bestätigt sich gibt und am sichtbaren Bruch doch als gemacht, schadhaft, schäbig kenntlich wird. Aber der Bruch ist wiederum ganz ernst und buchstäblich: lesbar eben als Spur des vergeblichen Menschen, der all dies gemacht hat und dem es nun zerfiel.“ ? Adornos Sicht der Mahlerschen Musik ist jener Bruno Walters genau entgegengesetzt. Am deutlichsten zeigt sich dies in der Interpretation von Mahlers ‚Märschen‘: „seiner Musik hat die gesellschaftliche Bewegung sich dargestellt an ihrem wirklichen Opfer und konkreten Maß, dem individuellen Trieb und seinen Konflikten. Dafür ist das bündige Zeugnis die Konzeption des Mahlerschen Marsches, wie sie etwa im ersten Satz der Dritten Symphonie zwingend schon hervortritt. Er ist gemeint fürs Kollektiv und für solidarische Bewegung: gehört jedoch aus der individuellen Perspektive. Er befiehlt nicht sowohl als daß er mitnimmt; und nimmt er alles, noch das Unter20 ste und Verstümmelte mit, so verstümmelt er doch nicht selber; das mitgenommene Individuum wird nicht getilgt: der Verein von Liebenden wird ihm zuteil. Vermöge der Variante, der bestimmenden Asymmetrie hält der Mensch im Marsch sich durch: das macht den Mißbrauch von Mahlers Musik so ganz unmöglich. Die sonst bloß sterben mußten, wenn sie aus der Reihe fielen, der zu Straßburg auf der Schanz, die nächtliche Schildwache, der bei den schönen Trompeten Begrabene und der arme Tambourgesell: Mahler formiert sie aus Freiheit. Den Unterlegenen verspricht er den Sieg. All seine Symphonik ist eine Revelge.‘°° Ernst Krenek zeigte sich von Adornos Beitrag fiir die 23 begeistert; er schrieb ihm: „Gleichfalls muß ich Ihnen sagen, wie ausgezeichnet ich Ihre Bemerkungen zu Mahler finde. Ich mußte sehr daran denken, als ich neulich die IX. im Radio Wien (durch Walter vermittelt) hörte. Ihre Deutung ist so vortrefflich, weil sie die Widersprüche, über die selbst auf Mahler vereidigte Anhänger so oft die Köpfe schütteln, auflöst und doch verstehen läßt.“”” Dennoch bezog sich Kfenek in seinem eigenen, einige Jahre später geschriebenen, ausführlichen Essay über Mahler, der in einem gemeinsam mit Bruno Walter herausgegebenen Buch in Amerika erscheinen sollte,’ nur sehr indirekt auf Adornos Argumentation, am ehesten noch im Falle des „Schocks“, der von Mahlers „surrealistischer“ Kunst ausgehe. Nicht Bruno Walter, sondern Hermann Scherchen galt Adorno vermutlich als geeignet, Mahlers Modernität ins Licht zu rücken. (Bereits 1926 hatte er Scherchen neben Furtwängler und Webern als bedeutenden Dirigenten porträtiert und dabei nicht zufällig auf Scherchens Mahler-Interpretation verwiesen.*’) Scherchen, der 1933 Deutschland aus politischen Griinden verlassen hatte, kam nun 1937 nach Wien, griindete hier — wie fast überall wo er hinkam — ein Musica Viva-Orchester und begann einen vielbeachteten Mahler-Zyklus. Mit diesem Projekt kann Scherchen als der Gegenspieler von Bruno Walter begriffen werden, als derjenige Dirigent, der Mahler aus der Perspektive der Moderne zu interpretieren suchte. Und es ist unbezweifelbar, daß Scherchen damit neue Impulse fiir die Mahler-Rezeption in Österreich hätte setzen können — doch geschah es, kurz bevor diese Rezeption für ‚tausend‘ Jahre verhindert werden sollte. Die Kritiken seines Mahler-Zyklus heben insbesondere die Leistung des Dirigenten hervor, weisen aber immer wieder auf gewisse technische Mängel des noch jungen Orchesters hin; bei der Neunten, die den Zyklus eröffnete, heißt es etwa: „Mochte man vielleicht in Einzelheiten des Orchesterklanges noch Wünsche haben, etwa stärkere Besetzung und größere Fülle des Streicherkörpers, weichere Rundung des Hörnerklanges, als Gesamtleistung war diese Aufführung so schön, daß man ihrer nur mit aufrichtiger Bewunderung und Dankbarkeit gedenken kann.““? Was den Rezensenten als technische Mängel erscheint, mag durchaus ein bewußter Zug der Interpretation durch Dirigent und Orchester gewesen sein, um einer allzu romantischen Auffassung des Werks vorzubeugen: in dem vorliegenden Fall also ein etwas zurückgenommener Streicherklang und schärfer klingende Hörner. Auch in der Besprechung der Dritten könnte man solche ‚romantischen‘ Mißverständnisse vermuten: „Liebevoll studiert und wiedergegeben hinterließ die Aufführung auch diesmal tiefen Eindruck, ohne im Aufbau, Klang und Beseelung letzte Vollendung zu geben. Nicht zuletzt infolge der noch nicht ganz ausgeglichenen inneren Struktur des tüchtigen jungen Orchesters, dessen Streicher schön und gesangvoll