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Das von Prinzessin Helga angemietete Schlößchen Neumatzen — ein Bau aus den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts — war als Aufenthaltsort „für die Zeit des Naziregimes“ gedacht, denn man war überzeugt, daß „der Spuk“ nicht lange dauern könne.* Doch Österreich sollte sich für die Löwensteins bald als ein unsicheres Asyl erweisen. Die auf dem Schloß gehißte schwarz-rot-goldene Reichsbannerflagge und der gleichfarbige Wimpel des Autos provozierten die Österreichischen Nationalsozialisten. Um einen Angriff von Nazis auf das vor der Universität Innsbruck parkende Auto abzuwehren, machte Prinzessin Helga sogar von einem neu angeschafften Revolver Gebrauch. Zeitweise mußte das Schloß von Polizei und einer halben Hundertschaft Soldaten des Bundesheeres geschützt werden. Auch im österreichischen Exil versuchte Prinz Löwenstein, in Wort und Schrift über das „Dritte Reich“ aufzuklären. Mehrfach reiste er nach Großbritannien, wo er als Enkel eines Peer Eingang in die „Gesellschaft“ fand und u. a. vor dem Royal Institute for International Affairs sprechen konnte. Auf seiner ersten Englandreise im Juli 1933 gelang es ihm, den Londoner Verlag Faber & Faber für die Herausgabe seines ersten Buches zu gewinnen; es erschien im März u.d.T. The Tragedy ofa Nation. Germany 1918-1934°. Das wohl überwiegend auf Neumatzen verfaßte Buch, das die Frage beantworten sollte, wie es zu der „Schande“ gekommen sei, „die durch die Blutschuld unseres Volkes über uns alle gebracht wurde“, war „in besonderem Maße“ für den „deutschen Volksstamm in Österreich“ bestimmt: „Es soll ihm noch einmal zeigen, daß es kein Verhandeln mit dem Nationalsozialismus geben kann, denn es gibt keinen Eid, keinen Vertrag, kein Sittengesetz und kein Leben, die ihm heilig wären. So primitiv es auch klingen mag - es sind Gangsters, die unter der Maske von Politikern plündern und morden, es sind Typen aus Lehrbüchern der Kriminalistik, die die Welt nur deswegen als ‚Staatsmänner‘ betrachtet, weil sie ihre Wohnungen in Häusern bezogen haben, in denen ehedem Minister amtierten.‘® Eine im Herbst 1933 im Prager Tagblatt und - leicht gekürzt — in der Neuen Zürcher Zeitung erschienene Denkschrift des Prinzen über die Gründung eines ,,Jugendvélkerbundes“ — ein Gedanke, den er Gesprächen mit dem niederländischen Kulturphilosophen Johan Huizinga verdankte —, wurde Anlaß für eine enge und fruchtbare Freundschaft mit dem damals weithin bekannten österreichischen Schriftsteller und Journalisten Richard A. Bermann (alias Arnold Höllriegel). Nach der Machtübernahme Hitlers, die ihn vom deutschen Buchmarkt ausgeschlossen und seiner Tätigkeit für Berliner Blätter ein Ende gesetzt hatte, hatte Bermann sich zunächst einer Expedition des Ungarn Ladislaus Eduard von Almäsy in die ägyptisch-libysche Wüste angeschlossen. Nach der Rückkehr im Frühsommer 1933 nahm er — nicht nur in seiner Publizistikentschieden den Kampf für die Demokratie, gegen den Nationalsozialismus und den Austrofaschismus auf. Bermann habe besonders die Vorstellung einer „Jugendvölkerwanderung“ gefallen, von der er sich die Förderung internationaler Freundschaft und somit die Bekämpfung von Haß und Krieg versprochen habe, schreibt Prinz Löwenstein in seiner Autobiographie: „Er kam nach Matzen und wurde mein treuester Ratgeber — die edelste Seele, der ich je begegnete.“ Bei seinem ersten Besuch bei Bermann in Wien lernte Löwenstein die sozialistischen Funktionäre Otto Bauer und Julius Deutsch kennen. Im Februar 1934, während des Aufstandes 24 des Republikanischen Schutzbundes gegen den Austrofaschismus der Regierung Dollfuß, schlossen der Prinz und Bermann Freundschaft. Wie Bermann in einem autobiographischen Aufsatz berichtet, wurde er in seiner Wohnung in der Türkenschanzstraße (im 18. Bezirk) Zeuge der Niederschlagung des Aufstandes durch die Regierung. Als er erfuhr, daß viele schwerverwundete Barrikadenkämpfer sich versteckt hielten und es nicht wagen konnten, sich in Krankenhäuser zu begeben, da ihnen Auslieferung und Hinrichtung drohte, ließ er dem Prinzen, der sich zu jener Zeit in London aufhielt, eine dringende Botschaft übermitteln: „Kommen Sie nach Wien, Prinz; Sie werden hier gebraucht. Auf Tod und Leben!“® Prinz Löwenstein hatte sich in den Wochen zuvor, u. a. auch bei dem Wiener Erzbischof Kardinal Innitzer, um einen Ausgleich der Regierung Dollfuß mit den Gewerkschaften bemüht. Über ihn erreichte er nun, wie er berichtet, daß Dollfuß eine Amnestie für die niedergeworfenen Schutzbündler erließ. Die unermüdlichen Aktivitäten im Exil lassen Prinz Löwenstein für die deutschen Machthaber zum gefährlichen Feind werden. Er wird überwacht, vor allem durch die deutschen diplomatischen Vertretungen der Länder, in denen er sich aufhält. Wie aus seiner umfangreichen Akte im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes in Bonn hervorgeht, wurde das deutsche Konsulat in Innsbruck dabei von einem Nachbarn der Löwensteins in Matzen, dem reichsdeutschen Nationalsozialisten Freiherrn von Kropff, unterstützt, der auf der wenige hundert Meter von Neumatzen liegenden „Kropffs Burg“ lebte und eine gemeinsame Telefonleitung mit dem Prinzen benutzte. Er hörte dessen Gespräche ab und berichtete darüber an den deutschen Konsul in Innsbruck Hans Saller, der die Nachrichten nach Berlin weitergab. — Prinz Löwensteins Ausbürgerung erfolgte am 1. November 1934 auf der 3. Ausbürgerungsliste, u. a. zusammen mit John Heartfield, Alfred Kantorowicz, Klaus Mann, Erwin Piscator, Gustav Regler und Otto Straßer. Zu den bedeutendsten Unternehmungen des Prinzen gehört damals der Versuch, eine deutsche Akademie der Künste und Wissenschaften im Exil und zu ihrer Unterstützung eine amerikanische Hilfsorganisation, die „American Guild for German Cultural Freedom“, zu gründen. Die Anfänge dieser „Zwillingsorganisation‘ reichen also bereits in die Zeit seines Exils in Österreich zurück. — In Löwensteins zweitem Buch!°, das seine — von Stefan George beeinflußte — Vision eines „Kommenden Reiches“ nach Hitler wiedergibt, finden sich Überlegungen, die zur Gründung der American Guild führen sollten. Seine unmittelbaren Zielvorstellungen: Nachdem das Deutsche Reich vom Feinde besetzt sei, müsse die gegenwärtige Aufgabe sein, „ein geistiges deutsches Territorium“ aufzubauen: „Es ist notwendig, Deutschland zu schaffen, ehe es wieder ein Deutsches Reich gibt.“ Zu gewinnen seien möglichst alle Deutschen draußen, die Auslandsdeutschen wie die Exilierten, die sofort ihre Zerstrittenheit überwinden müßten. Das Ziel: eine legitime deutsche Reichsregierung draußen — möglichst noch auf einem Rest deutschen Bodens, z. B. im Saargebiet. Doch die Auslandsdeutschen standen unter dem Einfluß des Reiches, und die politische Emigration war und blieb gespalten. Den konkreten Vorschlägen Richard A. Bermanns ist es zu verdanken, daß Prinz Löwenstein seine kühne Vision eines „geistigen deutschen Territoriums“ mit der Gründung einer Deutschen Akademie im Exil und der ihr verbundenen Hilfsorganisation „American Guild for German Cultural Freedom“