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Bermanns Denkschrift über eine Deutsche Freistatt im Exil nimmt Prinz Löwenstein Ende Januar 1935 mit auf seine erste Vortragsreise durch Nordamerika. Es gelingt ihm, amerikanische Persönlichkeiten aus Kultur und Wissenschaft für ihre gemeinsame Vision zu gewinnen. Mit der Gründung einer Organisation mit dem programmatischen Titel „American Guild for German Cultural Freedom“, die am 4. April 1935 in das Korporationenregister des Staates New York eingetragen wird, gelingen ihm die ersten Schritte zur Verwirklichung der „Freistatt“. Die amerikanische Organisation soll die Mittel für den Aufbau eines Zentrums der freien deutschen Kultur beschaffen, das wenig später im Plan einer Deutschen Akademie der Künste und Wissenschaften im Exil weitere Gestalt annimmt. Nach Prinz. Löwensteins Rückkehr nach Europa im Mai 1935 schien der weitere Aufbau der American Guild weitgehend zu stocken. Doch versuchte er auch hier, Sponsoren zu gewinnen und persönliche Verbindungen zu knüpfen, die für die Guild wichtig werden sollten. In einem Memorandum, das er dem tschechoslowakischen Staatspräsidenten Edvard Bene’ in Prag überreichte, und in Veröffentlichungen stellte er die von ihm mitgegründete Organisation vor, so auch in einem Artikel „Amerika und der Nationalsozialismus“ im Wiener Tag vom 6. August 1935, der wohl frühesten Erwähnung der American Guild in der Presse. Den Winter 1935/36 verbrachten die Löwensteins in London. Anfang Februar 1936 schiffte sich Prinz Löwenstein zu seiner zweiten Vortragsreise durch Nordamerika ein; am 16. April kam auch Prinzessin Helga in New York an. Baron Georg von Franckenstein, der österreichische Gesandte in London, hatte ihr dringend von der geplanten Rückkehr nach Matzen abgeraten, da ein „nazi-Österreichisches Abkommen“ bevorstiinde.'* So bedeutete ihr Abschied von Neumatzen am 16. Oktober 1935 das Ende ihres Exils in Österreich. Von der Aufgabe von Neumatzen an datierte Prinz Löwenstein seine „Zweite Emigration“: „Wenn Matzen auch von Anfang an bedroht war — ein Heim war es dennoch gewesen.“ !?— Der junge Journalist und Schriftsteller Peter de Mendelssohn, der seit 1934 im österreichischen Exil lebte und von Frühjahr bis Oktober 1935 als Gast der Löwensteins auf Neumatzen gelebt hatte, war Volkmar von Zühlsdorff bei der Auflösung des Hauses behilflich. Auch in den folgenden Jahren blieb Österreich - vor allem durch die Person Richard A. Bermanns - ein wichtiger Stützpunkt für die Verwirklichung von Akademie und American Guild. Neben Prinz Löwenstein war es Bermann, der die amerikanischen Förderer immer wieder zum Handeln drängte. So verfaßte er im Frühsommer 1936, zusammen mit Peter de Mendelssohn, eine „Denkschrift über die Begründung einer Deutschen Akademie in New York“!*, die im Juni 1936 bei Waldheim-Eberle in Wien gedruckt wurde. Ihr Leitgedanke: der Akademie soll — als der repräsentativen Organisation „der verbannten deutschen Geisteswelt [...] in der ganzen Welt“ „die Ausübung einer höchsten Schutzherrschaft über alles bedrohte deutsche Geistesgut obliegen“. Ihre Aufgabe sei es, als höchste Autorität für den Wiederaufbau und die Verteidigung der deutschen Kulturgüter zu wirken und die von der American Guild for German Cultural Freedom aufgebrachten Mittel zu verwalten und auf die gerechteste, zweckdienlichste und fruchtbringendste Weise zu verteilen und nutzbar zu machen. Als praktische Aufgaben der Akademie werden u. a. genannt: die Vergabe von Stipendien an bedürftige Schriftsteller, 26 Künstler und Wissenschaftler, die Ausschreibung von Literatur- und Kunstpreisen, die Förderung der hervorragendsten Leistungen der deutschen Exilierten durch Druckkostenzuschüsse und Übersetzungen sowie der Aufbau von deutschen und englischen Buchgemeinschaften. — Die Denkschrift wurde an eine Anzahl bekannter Schriftsteller, Wissenschaftler und Künstler geschickt — darunter an Thomas Mann und wohl auch an Sigmund Freud - und trug wesentlich dazu bei, einen großen Teil der bekanntesten exilierten Intellektuellen in kurzer Zeit für die Idee der Akademie zu gewinnen. Die zweite Hälfte des Jahres 1936 verbrachte Bermann in den Vereinigten Staaten, meist zusammen mit den Löwensteins. Im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit der Guild organisierten sie ein Benefizkonzert des Los Angeles Philharmonic Orchestra unter der Leitung von Otto Klemperer, das am 23. September 1936 stattfand. In Bermanns Amerikanischem Notizbuch in der Stunde war am 13. Oktober 1936 sein Bericht über das Gründungskonzert der Deutschen Akademie im Exil zu lesen. Im Winter 1936 konstituierte sich mit Thomas Mann als Präsidenten der Senat der Akademie — gleichzeitig das „European Council“ der American Guild, dem von Anfang an neben Bermann auch die damals noch in Wien lebenden Österreicher Sigmund Freud und Robert Musil angehörten. Aus unmittelbarer Kenntnis der Notlage der exilierten Intellektuellen drängte Bermann im Laufe des Jahres 1937 immer wieder darauf, endlich mit der Verleihung von Arbeitsbeihilfen zu beginnen. So empfahl er z. B. wärmstens Hans Flesch-Brunningen und den damals in Wien lebenden Walter Mehring, die zu den ersten Stipendiaten der Guild im Januar und Februar 1938 gehörten. '? Im Dezember 1937, als die Existenz der Guild aufgrund fehlender Mittel ernsthaft gefährdet war und nur durch den persönlichen Einsatz des Publizisten Oswald Garrison Villard gerettet werden konnte, verfaßte Bermann für den wichtigsten amerikanischen Förderer des Unternehmens ein Memorandum — „German Literature To-day“ über die gegenwärtige Lage der deutschen Literatur; dabei handelt es sich im wesentlichen um eine englischsprachige Variante der „Freistatt“-Denkschrift von 1934. Einer seiner letzten Artikel im Wiener Tag galt dem Fall des aus Deutschland emigrierten jungen Schriftstellers Horst Galley, dem aufgrund der österreichischen Fremdengesetzgebung die Ausweisung drohte.!® Immer wieder mahnte Bermann den Aufbau eines deutschen Buchclubs im Exil an. Als zu Beginn des Jahres 1938 abzusehen war, daß die American Guild aufgrund ihrer knappen Ressourcen die Gründung eines Buchclubs nicht in Angriff nehmen konnte, nahm er selbst, wenige Wochen vor der Annexion Österreichs, zusammen mit dem Besitzer des Wiener Saturn-Verlages, Fritz Ungar, die Gründung eines Bücherbundes in die Hand. Dessen Sitz sollte „provisorisch Pressburg [...] sein, wo die Bücher unter freieren Zensurbedingungen hergestellt und vorläufig noch ohne jede Schwierigkeit nach Wien gebracht werden können“. 7 Von Anfang 1938 an übte Bermann zudem die Funktion eines europäischen Vertreters der American Guild aus. Sein Name — mit nom de plume und voller Wiener Adresse — wurde als Anlaufstelle für Stipendienanträge in den Pressemeldungen veröffentlicht, die über die Verleihung der ersten Arbeitsstipendien und Druckkostenzuschiisse berichteten.!® Diese Funktion war es auch, die Bermann daran hinderte, Österreich rechtzeitig zu verlassen, obwohl er äußerst gefähr