OCR
Christlich-Sozialen Volkspartei teilweise Sympathisanten (so in Friedrich Funder, dem Chefredakteur der „Reichspost“). Bis auf wenige Ausnahmen gehörten zu den gemeinsamen Nennern: antiparlamentarische, antiliberale, mehr oder weniger berufsständisch gegliederte, antimarxistische, autoritäre Regierungs- und Staatsauffassungen. Der Großteil der Christlich-Konservativen unterstützte die politischen und kulturellen Konzepte des Ständestaates, der eine österreichische Reichsmythik als „säkularisierte, rückwärtsgewandte Prophetie“ konstruierte. Sie beanspruchte für Österreich eine gottgewollte universale Größe und entwarf „zur Überwindung der als unselig arm empfundenen Gegenwart aus verfälschter Vergangenheit politische Aktionsprogramme fiir die Zukunft.“> Der Ewigkeitsanspruch wurde vom Ständestaats-Historiker Hugo Hantsch, besonders aber von Bundeskanzler Schuschnigg formuliert. Bundeskanzler Dollfuß zielte auf eine politische und soziale Erneuerung, die kapitalistisch-liberaler, marxistischer und „materialistischer Volksverführung“ den Kampf ansagen sollte. Die Karrieren einiger Immigranten beweisen, daß Dollfuß und sein Nachfolger Schuschnigg das Engagement christlich-konservativer Flüchtlinge nicht nur schätzten, sondern auch förderten, indem sie ihnen zu guten Posten und Positionen in administrativen und politischen Ämtern verhalfen: Der promovierte Volkswirtschaftler und Theologe Fritz Kühr beispielsweise wurde 1933 als Hochschullehrer nach Graz berufen und Ende 1935 von Bundeskanzler Schuschnigg zum General-Sekretär des „Gewerkschaftsbundes der österreichischen Arbeiter und Angestellten“ ernannt. Im Auftrag des Kanzlers entwarf er eine ständische Arbeitsverfassung. Der Ministerialbeamte und Presserechtler Kurt Häntzschel floh 1933 nach Wien und avancierte zum politischen Direktor des Verlages „Neues Wiener Journal“. 1937 emigrierte er - wie einige Jahre später Görgen — nach Brasilien. Der Journalist Klaus Dohrn arbeitete als Chefredakteur, der Philosoph und Soziologe Dietrich von Hildebrand, sein Verwandter, als Herausgeber des „Christlichen Ständestaats“. Die mit Unterstützung des Bundeskanzlers Dollfuß 1933 gegründete und finanzierte Zeitschrift positionierte sich als wichtigstes publizistisches „Auffanglager“ der Christlich-Konservativen „vaterländischer“ und monarchistischer Prägung. Als Zielgruppe galt die „katholische Intelligenz“, die sich vom alldeutschen „Reichswehrmythos‘“ absetzte, wie ihn die gesamtdeutsch orientierte Zeitschrift „Schönere Zukunft“ propagierte und damit auch den konservativen politischen Katholizismus der späten Weimarer Republik beeinflußte. Auch die ,,Gruppe“ christlich-konservativer Immigranten war durchaus heterogen und suchte im Aufnahmeland fiir ihre jeweiligen Positionen Nischen. Im „Christlichen Ständestaat“ publizierten ebenfalls deutsche Immigranten wie der Historiker Felix Gilbert und der Philosoph Balduin Schwarz, aber auch Protestanten und „rassisch“ Verfolgte. So Walter Mehring (unter dem Pseudonym „Glossator“) und Rudolf Brendel, obwohl sich die Zeitschrift der Verteidigung „objektiver Werte christlich-abendländischer Kultur“ gegen deren größte Bedrohung durch den Nationalsozialismus, aber auch den „Bolschewismus“ verschrieben hatte. Dollfuß engagierte deutsche Flüchtlinge im Hinblick auf seinen Plan, die bestehende Theologische Fakultät Salzburg zu einer katholischen Hochschule zu erweitern. Nach Rudolf Ebneth verfolgte der Bundeskanzler das Ziel, alle aus Deutschland geflüchteten katholischen Professoren in den österreichi30 schen Wissenschafts- und Bildungsbereich einzugliedern.’ Bei der Auswahl eines geeigneten Lehrpersonals für die geplante katholische Hochschule dürfte der Einfluß des liberalen Pädagogen und vehementen Kritikers deutscher Geopolitik Friedrich Wilhelm Foerster eine nicht unwesentliche Rolle gespielt haben. Dietrich von Hildebrand erhielt als ehemaliger außerordentlicher Professor für Philosophie an der Universität München eine temporäre Honorarprofessur an der Fakultät, sowie finanzielle Zusicherungen. Hier zeigen sich die Fatalitäten ständestaatlicher Politik: Jüdische Intellektuelle, denen Habilitationen an Universitäten zunehmend verweigert wurden, waren gezwungen, auf außeruniversitäre Institutionen auszuweichen bzw. Österreich zu verlassen. An ihrer Stelle holte Dollfuß deutsche Gegner des Nationalsozialismus christlich-konservativer Haltung, um den an österreichischen Hochschulen verbreiteten deutschnationalen und gesamtdeutschen Überzeugungen ein Gegengewicht zu bieten. Hermann M. Görgen, Foersters Student und Biograph, versuchte sich im Hinblick auf eine Dozentur oder Professur zu habilitieren, nachdem seine Universitätskarriere vom nationalsozialistischen Regime vereitelt worden war. Görgen schreibt in seiner autobiographischen Skizze, daß Foerster ihm erste Türen im Aufnahmeland öffnete, mit dem Hintergedanken, auch die Kontakte zum Salzburger Erzbischof und deklarierten Hitler-Gegner Waitz zu intensivieren. Das Universitäts-Projekt sollte schließlich am Widerstand des gesamtdeutschen Lagers um Wilhelm Wolf, des ehemaligen wissenschaftlichen Leiters der RAVAG und späteren Außenministers für zwei Tage (von 11.-13. März 1938), scheitern.? Die Besetzung von Stellen im kulturpolitischen und sozialen Bereich zeigt die zwar ambivalente, doch in sich geschlossene Haltung des Ständestaates, die schließlich tragische Folgen zeitigen sollte: Zur Abwehr nach außen und zur Konsolidierung im Inneren wurde an der Konstruktion einer rückwärtsgewandten „Österreich-Idee“ gebastelt, die mit dem Paradigma des „christlichen Deutschtums“ ausgestattet wurde. Schuschnigg fügte noch die Formel „des Österreichers als des besseren Deutschen“ hinzu, mit der sich der Ständestaat argumentativ völlig verhedderte. !0 An diesem Schutzwall, der das postulierte christlich-abendländische, „einzig legitime“ Erbe des ehemaligen „hl. römischen Reiches deutscher Nation“ vor dem preußisch-protestantischen Aggressor schützen sollte, arbeiteten Deutsche mit. Wie sich diese Kooperation direkt auf inhaltliche Konzeptionen zwischen gesamtdeutschen und ,,vaterländischen“ Strömungen auswirkte und erstere beeinflußte, müßte genauer untersucht werden. Das Beispiel Görgen bietet einige Aufschlüsse. Katholischer Reichsmythos als Defensivstrategie Hermann M. Görgen gehörte zur Gruppe um Klaus Dohrn, Leopold von Andrian, Josef Dobretsberger und Dietrich von Hildebrand, in dessen Wohnung regelmäßig Diskussionsabende stattfanden. Görgen schuf sich rasch eine Position als Kulturpublizist und Historiker innerhalb der ständestaatlichen Einheitspartei, der Vaterländischen Front, als einer ihrer Funktionäre im Traditionsreferat. Er schrieb im „Vaterland“, das vom Legitimisten Wilhelm Schmid herausgegeben wurde, in den ab 1935 von den katholisch-österreichischen Landsmannschaften herausgegebenen „Österreichischen Akademischen Blättern“ und publizierte im Organ der „Ostmärkischen