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Silke Engel I. August Hermann Zeiz und die Widersprüche in der nationalsozialistischen Literaturpolitik Mit der Machtergreifung in Deutschland hatten die Nationalsozialisten nicht zugleich die Herrschaft über den kulturellen Bereich erlangt. Während die Staatsgewalt durch die Gleichschaltung der Länder und die Entfernung der mißliebigen Beamten konsolidiert werden konnte, entzog sich das Kulturleben solchen Radikalkuren. Insbesondere die Form der Kulturorganisation machte eine wirksame Gleichschaltung unmöglich. Sofern die Kulturschaffenden überhaupt organisiert waren, gehörten sie einer Vielzahl von Verbänden an, die ihre speziellen, häufig divergierenden Interessen wahrnahmen. Um den kulturellen Bereich dennoch vollständig unter staatliche Kontrolle zu bringen, wurde am 22. September 1933 die sogenannte „Reichskulturkammer“ als Unterabteilung des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda eingerichtet. Ziel der Nationalsozialisten war es, alle Angehörigen eines Kulturberufes (des Rundfunks, des Films, des Theaters, der bildenden Kunst, der Musik, der Literatur und der Presse) zusammenzufassen. Unter der Führung Adolf Hitlers sollten die Kulturschaffenden zu einem „Organ des Ganzen“ werden, damit sie als einheitliche Schaffensgemeinschaft die nationalsozialistischen Grundwerte in der deutschen Gesellschaft propagieren und festigen. Insofern galten die sieben Paragraphen des Reichskulturkammergesetzes als eine Art Ermächtigungsgesetz im kulturellen Bereich. Zusammen mit der Ersten Durchführungsverordnung vom November 1933 bildeten sie die Grundlage für eine große Anzahl nachfolgender Erlasse und Verordnungen. Wer keine Mitgliedschaft bei der Reichskulturkammer beantragte, durfte nicht mehr künstlerisch arbeiten. Das „Recht zur weiteren Berufsausübung“ ging aber auch dann verloren, wenn die beantragte Mitgliedschaft abgelehnt oder eine „Kündigung der Mitgliedschaft“ ausgesprochen wurde. Die Entscheidungen der Kammerpräsidenten über die Ablehnung der Aufnahme (oder den Ausschluß wegen mangelnder „Zuverlässigkeit und Eignung“) durften nur „von Fall zu Fall“ und „unter Berücksichtigung der besonderen Umstände“ getroffen werden.! Weitgehend unklar blieb zunächst die Behandlung der „nichtarischen‘ Schriftsteller. Aus wirtschaftlichen und außenpolitischen Erwägungen wurde bis 1936 kein expliziter „Arierparagraph“ in das Kulturkammerrecht aufgenommen.” Doch auch bei Autoren, deren Antrag auf ständige Mitgliedschaft man ablehnte, stellte sich die Frage der weiteren Berufszulassung. Denn die endgültige „Ablehnung bedeutet Zwang zur Auswanderung oder aber wirtschaftliche und moralische Verfremdung, in den meisten Fällen die Vernichtung der bürgerlichen Existenz.“° Daher suchten die Verantwortlichen der Reichskulturkammer nach Kompromissen. Wie wenig konsequent das nationalsozialistische Verfahren der Berufszulassung war, zeigt exemplarisch der Umgang mit dem heute weithin unbekannten Bühnen- und Filmautor August Hermann Zeiz. Seine Biographie ist bislang nicht erforscht, von einigen wenigen Eintragungen in Nachlaßverzeichnissen oder Handbüchern abgesehen, und soll daher an dieser Stelle kurz skizziert werden. 1893 in Köln geboren, verfaßte Zeiz bereits als Gymnasiast seine erste Lyriksammlung. 1912 erschienen weitere Gedichte von ihm in der Aktion, dem wichtigsten Sprachrohr der Berliner Expressionisten. Während des Ersten Weltkriegs schrieb Zeiz als Kriegsberichterstatter für das Berliner Tageblatt. 1918 veröffentlichte er die Kriegsnovelle Tanz um den Tod im Berliner Erich Reiß Verlag. In den 1920er Jahren arbeitete der junge Schriftsteller vornehmlich als Journalist, um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Während des Krieges hatte er die jüdische Kaufmannstochter Gertrud Segall geheiratet, im Dezember 1915 kam der gemeinsame Sohn Hanno Peter Zeiz zur Welt. Bis in die frühen dreißiger Jahre schrieb er für das Berliner Tageblatt und als Gerichtsberichterstatter für die Berliner Volkszeitung. Daneben entwickelte August Hermann Zeiz seine Vorliebe für das Theater und den Film. Sein erstes Stück Eine Frau macht Politik wurde 1930 in Halle uraufgeführt. Mit seinen sozialkritischen Volksstücken und Komödien war er vor allem im Berliner Raum erfolgreich. Unter dem Pseudonym Georg Fraser konnte Zeiz gegenüber den Nationalsozialisten zunächst unbelastet auftreten. 1935 emigrierte er nach Wien. Doch nach dem „Anschluß“ Österreichs, wurde er als ehemaliger Redakteur des Rudolf Mosse Verlags und aufgrund seiner Kontakte zu Juden politisch verfolgt und mehrfach verhaftet. Seine Frau starb 1943 im Konzentrationslager in Auschwitz, er selbst verbrachte über ein halbes Jahr in Dachau. Dennoch kämpfte Zeiz als Mitglied der Österreichischen Freiheitsbewegung O5 bis zum Ende des 2. Weltkriegs im politischen Widerstand. Nach 1945 konnte er an seinen damaligen Bühnenerfolg nicht wieder anknüpfen - wenn auch seine Stücke in ganz Österreich, Hamburg und Frankfurt gespielt wurden. Am 30. August 1964 starb der Schriftsteller und Widerstandskämpfer vergessen in Berlin. Betrachtet man den Umgang der Behörden mit August Herkann von einer durchdachten Einflußnahme auf die Entwicklung der Literatur und einer bewußten Nutzung von Kunst zu Herrschaftszwecken keine Rede sein. Auf literaturpolitischem Gebiet war kein einheitlicher „Regieplan‘“ vorhanden. Die unterschiedlichsten Institutionen und Gruppierungen agierten ohne jegliche Absprache untereinander. Obwohl Zeiz auch nach der nationalsozialistischen Machtergreifung als Redakteur für das regimekritische Berliner Tageblatt geschrieben hatte und zudem mit einer Jüdin verheiratet war, wurde er im August 1934 als ständiges Mitglied vom Reichsverband der deutschen Presse aufgenommen. Von dem Erfordernis der „arischen‘“ Ehe wurde er befreit. Auch von der Reichskulturkammer erhielt Zeiz eine „jederzeit widerrufliche Sondergenehmigung“, um auf dem „Gebiet der Reichsschrifttumskammer und der Reichsfilmkammer tätig zu sein“ (Nachlaß). Autoren, die wie Zeiz in der Vergangenheit eine nicht nationale und für das Ansehen des deutschen Schrifttums wenig erfreuliche Haltung eingenommen hatten, sollten zunächst nur vorläufig in die Reichsschrifttumskammer aufgenommen werden. 35