OCR
III. Zeiz kämpft in der „Österreichischen Freiheitsbewegung O5“ Wann genau die Freiheitsbewegung O5 entstanden ist, läßt sich aus den Quellen nicht präzise herauslesen. In den Protokollen und Berichten einiger Akteure wird die Geburtsstunde der Bewegung mit dem 11. März 1938, dem ersten Tag der Besetzung Österreichs durch die Nationalsozialisten, gleichgesetzt. Nur der Name O5 sei erst viel später gewählt worden (DÖW 7936, 8832). In anderen Quellen hingegen wird behauptet, daß die Freiheitsbewegung O5 in ihrer eigentlichen Zusammensetzung 1944 entstanden ist.'! Dafür spricht, abgesehen von der Namensgebung im selben Jahr, daß alle Aktivitäten der O5 ausschließlich in den letzten beiden Kriegsjahren stattgefunden haben. Die Datierung auf das Jahr 1938 ist meiner Ansicht nach aus dem Wunsch einiger Akteure zu erklären, den eigenen Widerstand, der anfangs noch diffus und kaum organisiert gewesen war, im Rückblick konsequenter und stringenter darzustellen. Vermutlich brachte Hans Becker die Widerstandskämpfer Anfang 1944 unter dem Namen O5 zusammen: „Es war notwendig, ein Zeichen zu erfinden, daß kurz und einprägsam ist. Die Anfangsbuchstaben des Wortes Oesterreich ergaben O5 (e = 5. Buchstabe des Alphabets).“!? Dieses gemeinsame Zeichen hatte nicht nur eine psychologische Wirkung, indem es ein neues Gefühl der Stärke unter den verschiedenen Gruppierungen verbreitete. Auch war das neue Symbol notwendig, um „die vielen kleinen Abteilungen zu einer großen Organisation zu koordinieren und einen gemeinsamen obersten Führungsstab zu schaffen.“'? Ziel der O5 war es, keine neue Partei oder Organisation zu gründen, sondern „eine alle umfassende Bewegung für Österreich. Unter diesem Dach sollen alle opferbereiten, kampfentschlossenen und kompromißlosen Gegner des Nazitums und aller faschistischen Richtungen selbständig, jedoch zentral beraten und geleitet, Platz finden können und müssen“ (DOW 7936). Anfangs gab es weder Mitgliederlisten noch feste Absprachen, dennoch fühlten sich die Freiheitskämpfer untereinander verbunden. Ihnen kam es darauf an, „aufzustacheln; das Bewußtsein zu wecken, Österreicher zu sein und österreichisch zu denken und das Ende jener Herrschaft anzustreben, die unserem Fühlen diametral entgegengesetzt war, weil nun einmal der Kadavergehorsam, das ‚Zackige‘ der ‚preussische Ton‘ nicht zu jener geschmeidigen österreichischen Art paßte [...]“ (DÖW 8832). August Hermann Zeiz hielt in Wien gute Kontakte vor allem zu Künstlern, „kleinen Intellektuellenzirkeln“ und ehemaligen KZ-Häftlingen, die er in Dachau kennengelernt hatte. „Der Mann, bei dem alle Fäden zusammenliefen“, war Franz Sobeck, der — nachdem er aus dem KZ Dachau entlassen worden war - als „kleiner bescheidener Beamter in einem Steuerberatungsbüro saß und für jeden, der ihn anrief, eine Stütze war“ (DÖW 8832). Er brachte Zeiz mit den Sozialisten Eduard Seitz und Viktor Müllner zusammen. Gemeinsam verabredeten sie, „das Naziregime in dem Zeitpunkt zu stürzen, wenn die russische oder eine der alliierten Armeen österreichisches Territorium erreichen sollten. [...] Wir gingen an die Bildung kleiner Gruppen [...]. Seitz suchte Verbindungen zu Militärkreisen [...];, Müllner übernahm die Gruppenbildung in der Bauernschaft [...]. Ich betrieb meine Gruppenbildung in den Kreisen der Ärzteschaft, der Künstler und suchte Verbindung mit anderen schon vorhandenen Gruppen und Kreisen der KPÖ“ 38 (DÖW 8832). Während dieser Arbeit im Untergrund lernte Zeiz den Widerstandskämpfer Raoul Bumballa kennen. Auch er war mehrere Jahre im KZ Dachau inhaftiert gewesen. „Bumballa lebte versteckt in Wien. [...] Er hatte ein transportables Sende- und Empfangsgerät und stand in ständiger Verbindung mit dem ‘Secret Service,. Seine Meldungen leitete er auf einer Welle, auf der sonst nur Wehrmachtsfunksprüche gesendet wurden, zu einem britischen Kriegsschiff [...]. Auf seine Initiative hin unterließen die Engländer weitere schwere Bombenangriffe auf Wien [...]“ (DOW 8832).!4 Die Aufzeichnungen von August Hermann Zeiz und anderen Mitgliedern der O5 belegen, wie heterogen und in ihren Aktivitäten wenig aufeinander abgestimmt die Bewegung trotz aller Zusammenführungsversuche blieb. Um die einzelnen Kleingruppen, die alle im Namen der O5 kämpften, gegenüber den Alliierten besser zu koordinieren, kam es im Dezember 1944 zur Bildung des Provisorischen Österreichischen Komitees (POEN). Darunter ist eine Art politisches Organ im Untergrund zu verstehen, das die geistig-politische Leitung der O5 übernehmen sowie ihre Ziele nach außen vertreten sollte.!> „Gleichzeitig wurde von uns ein Siebener-Ausschuß als Spitze der Widerstandsbewegung gewählt“ mit Raoul Bumballa, Viktor Müllner, Franz Sobeck, Eduard Seitz, der Kommunistin Mathilde Hrdlicka, Emil Oswald und August Hermann Zeiz alias Georg Fraser. Der Siebener-Ausschuß erhielt ein ständiges Büro in der Bösendorfer Straße 4, den ehemaligen Räumen des Georg Marton Verlages. Er stand zunächst unter der Leitung von Hans Becker. Nach dessen Verhaftung im März 1945 übernahm Raoul Bumballa diese Aufgabe (DÖW 8832). Doch im Gegensatz zur Entwicklung in anderen Ländern führte das zentrale Gremium Siebener-Ausschuß zu keiner umfassenden Integration der Gruppen in eine übergeordnete Bewegung. In den letzten beiden Kriegsjahren war es eine der dringendsten Forderungen der O5 an die Alliierten, die schweren Bombenangriffe vor allem auf Wohnhäuser und Kulturdenkmäler einzustellen. Doch die zivile Freiheitsbewegung O5 war auch an der Planung eines militärischen Aufstandes in Wien beteiligt. August Hermann Zeiz erinnert sich: „Eines Nachts [...] Klingelte es an unserer Wohnungstür. [...] Ein Wehrmachtsoffizier in voller Uniform stand vor mir und sagte mit knarrender Stimme: ‚Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, dann muß der Berg zum Propheten kommen.‘ — Der Offizier war der Adjutant des Kampfkommandanten von Wien, General von Büchner, Major Karl Szokoll. Er setzte sich zu uns“ (DÖW 8832) und schilderte die allgemeine Lage in Wien wie folgt: „Die Wiener Garnison mit ihren Offizieren [...] steht fast vollständig auf Seiten der Widerstandsbewegung und ist bereit, gegen die SS Front zu machen.“ Doch Szokoll wollte die militärische Leitung selbst übernehmen. „Die Organisation O5 habe sich lediglich auf den zivilen Sektor zu beschränken und auf die Verwaltungsgebäude in Wien, sowie die öffentlichen Unternehmungen wie Gas und Elektrizität zu sichern. Die Sicherung der Brücken und Rundfunkanlagen werde Szokoll zwar durch seine Soldaten vornehmen“ (DÖW 7936). Doch eine enge Zusammenarbeit mit den zivilen Widerstandsgruppen war erwünscht, schreibt Zeiz rückblickend (Nachlaß). Der Siebener-Ausschuß ging auf die Vorschläge des Majors ein, der als ehrgeiziger, aber zuverlässiger Offizier galt, da er schon den Umsturzversuch in Wien am 20. April 1944 in Verbindung mit Claus Schenk Graf von Stauffenberg