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geplant hatte. Wie Stauffenberg mit seiner Operation Walküre hatte Szokoll eine Geheimorganisation innerhalb der Wehrmacht errichtet: die Operation Radetzky. In der Literatur gilt Szokoll als die eigentliche Schlüsselfigur der Wiener Ereignisse vom 20. Juli 1944. Infolge der Verschwiegenheit von Bernadis und Marogna-Redwitz und des glücklichen Zufalls waren seine Aktivitäten von den Nationalsozialisten nicht entdeckt worden. Daher konnte er auch nach dem Scheitern des Juli-Aufstandes weiterarbeiten und manches aus dem Konzept Stauffenbergs übernehmen. Für die Auslösung des österreichischen Widerstands wurde das schon vor dem 20. Juli 1944 gewählte Kennwort Radetzky beibehalten. '® Gemeinsam mit der Freiheitsbewegung O5 arbeitete Szokoll einen Plan aus, der die anrückenden Befreiungsarmeen Marschall Tolbuchins überzeugte. Doch nur wenige Wochen vor Kriegsende scheiterte der für den 6. April 1945 geplante Militäraufstand am Verrat des nationalsozialistischen Führungsoffiziers Hanslik. Die engen Mitarbeiter Szokolls, Major Karl Biedermann, Hauptmann Alfred Huth und Oberleutnant Rudolf Raschke, wurden festgenommen und hingerichtet (vgl. DÖW 4623; 7936; 8832). Trotz dieses Rückschlags war es dem von Major Szokoll beauftragten Oberfeldwebel Ferdinand Käs gelungen, mit dem russischen Oberkommando zu verhandeln.'’ So konnten schwere Bombenangriffe auf Wohnhäuser und historische Gebäude im letzten Moment verhindert werden. Und der Endkampf um Wien war nach nur einer Woche abgeschlossen. In dieser Zeit machte die O5 das Palais Auersperg zu ihrer Widerstandszentrale. Die Mitglieder des Siebener-Ausschußes waren entschlossen, für Wien und bald für ganz Österreich neue innenpolitische Strukturen aufzubauen. Doch die Sowjets wollten den Widerstandskämpfern nach dem Krieg keine politische Autorität zugestehen. Nach dem 13. April 1945 bestand der Siebener-Ausschuß nur noch wenige Tage. Es fehlte ihm an einer entsprechenden politischen Basis, um über eine neue provisorische Regierung für Österreich zu diskutieren.'® Am 23. April 1945 löste sich die Freiheitsbewegung OS mit einem letzten Aufruf an die Österreicher vollständig auf: „Dank jedem von Euch, Eure Leistungen übertreffen alle Erwartungen. Stellt Euch nur in den Dienst der Interessen, die Österreich wieder errichten“ (DÖW 8832). August Hermann Zeiz bedauerte das schnelle Auseinanderbrechen der Freiheitsbewegung O5. Resigniert stellte er fest: „Die Widerstandsbewegung hatte ihre Schuldigkeit getan. Sie konnte gehen. — Und sie löste sich auf. Aber das stolze Bewußtsein blieb ihr: Sie hatte Wien vor dem Untergang gerettet [...]“ (DÖW 8832). Die Anerkennung von außen aber, das heißt von der Bevölkerung, den Alliierten oder den Politikern, blieb den Aktivisten lange versagt. Nach den ersten freien Wahlen im November 1945 fanden einige Widerstandskämpfer in den Parteien ihre neue politische Heimat. Die meisten aber zogen sich aus der Politik zurück. Zeiz versuchte noch im Dezember 1945, die Widerstandsbewegungen aus ganz Österreich unter dem Namen Österreichisch demokratische Freiheitsbewegung zusammenzufassen. Als Bevollmächtigter dieser neuen Organisation setzte er sich maßgeblich für die Haftentlassung Karl Szokolls ein und forderte die offizielle Anerkennung der Widerstandskämpfer (DÖW 1540; 12032/2; 15658). Doch erst 1977 wurden die aktiven Gegner des Nationalsozialismus von der österreichischen Regierung unter Kreisky mit einer Ehrenmedaille ausgezeichnet und damit offiziell geehrt und anerkannt. Anmerkungen 1 Vgl. Karl-Friedrich Schrieber: Die Reichskulturkammer. Organisation und Ziele der deutschen Kulturpolitik. Berlin 1934, S. 24 und 28. 2 Die „Entjudung“ des Kulturbereichs sollte nach folgendem Grundprinzip geregelt werden: „Entfernung der Juden, aber weitgehende, am Grad der wirtschaftlichen Bedeutung (Auftragsvolumen, Arbeitsplätze) der Unternehmen orientierte Erhaltung ihrer Betriebe zugunsten ‚arischer‘ Ankäufer.‘“ Daneben hätte ein völliges Verbot jüdischer Kulturtätigkeit die antideutsche Stimmung im Ausland erheblich verstärkt, woran den Nationalsozialisten nicht gelegen war. Vgl. Volker Dahm: Das jüdische Buch im Dritten Reich. Die Ausschaltung der jüdischen Autoren, Verleger und Buchhändler. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens 20 (1979), Sp. 1-300; hier Sp. 64 und Sp. 83. 3 Mitteilung des Kammer-Präsidenten Blunck an Hans Grimm, Mitglied des RSK-Präsidialrats, vom 6.12. 1933, S. 2. Zitiert aus Jan-Pieter Barbian: Literaturpolitik im Dritten Reich. Institutionen, Kompetenzen, Betätigungsfelder. München 1995, S. 367. 4 Vom 10.12. 1938 bis zum 5. März 1939 war Zeiz im Polizeigefängnis Rossauerlände in Einzelhaft. Vgl. Eidesstattliche Erklärung des zuständigen Polizeirayonsinspektors. 5 Vom5. 2. bis 2.7. 1943 war Zeiz dort in Gemeinschaftshaft. Vgl. Eidesstattliche Erklärung des zuständigen Polizeirayonsinspektors. Am 12. August 1943 wurde Gertrud Zeiz, seine Frau, festgenommen. Die Jüdin unterhielt „laufend Beziehungen zu deutschblütigen Personen und befaßte sich mit Schleichhandel von Rauchwaren.“ In: Tagesbericht der Gestapo Wien Nr. 5 v. 13.-16.8. 1943, S. 6 (DÖW 5734, d). 6 Schutzhaftbefehl der Gestapo vom 15. Juni 1943, DÖW 8832. 7 Gutachten der Sicherheitspolizei und des SD vom 16.4. 1943; Nachlaß. 8 Hans Becker: Österreichs Freiheitskampf. Die Widerstandsbewegung in ihrer historischen Bedeutung. Wien 1946, S. 10. Vgl. diesen Zusammenhang auch bei Erika Weinzierl: Der österreichische Widerstand gegen den Nationalsozialismus 1938-1945. In: Erich Zöllner (Hrsg.): Revolutionäre Bewegungen in Österreich. Wien 1981, S. 163-175; hier S. 164. 9 Vgl. Geschichte des Wiener Theaterverlages; Manuskript aus dem Nachlaß, S. 1. Sowohl Georg Marton selbst, Gina Kaus, Otto und Edgar Eis sowie Ladislaus Fodor wanderten nach Paris aus. Unter seiner Leitung gelang es Zeiz, weitere Mitarbeiter und Schriftsteller ins Ausland zu schmuggeln: Rudolf Lothar und Siegfried Geyer entkamen nach Ungarn, Paul Frank nach Paris, Adolf Schütz nach Finnland und Fred Heller nach Montevideo. 10 Zeiz versuchte, die „Verbindung zwischen der KPÖ und der KPD herzustellen“, indem er mit dem Berliner ZK Verbindung aufnahm. „Ich erhielt von dort Vervielfältigungsmaterial, Schreibmaschinen und Material zur Herstellung leichter Sprengbomben, die der Flugzettelverteilung dienen sollten.“ Zu einer umfassenden Aktion in Wien aber kam es nicht, „da unsere Gruppe aufflog. Einer der beiden Reichswehrangehörigen wurde verhaftet und später hingerichtet.“ Georg Fraser: Memorandum; DÖW 7936, S. 2. 11 Vgl. Hans Becker: Österreichs Freiheitskampf, S. 17-20: Zunächst war die O5 keine Organisation, sondern nur eine Operationsstelle, der es gelungen war, einen gewissen Überblick über die Aktivitäten des Widerstands an vielen Orten Österreichs zu erhalten. Vgl. außerdem Otto Molden: Der Ruf des Gewissens. Der Österreichische Freiheitskampf 1938-1945. Beiträge zur Geschichte der österreichischen Widerstandsbewegung. Wien und München 1958. 12 Hans Becker: Freiheitskampf, S. 20. 13 Otto Molden: Ruf des Gewissens, S. 169. 14 Ausfiihrlich zu seiner Person vgl. Otto Molden: Ruf des Gewissens, S. 205f. 15 Vgl. Otto Molden: Ruf des Gewissens, S. 175ff. 16 Vgl. Erika Weinzierl: Widerstand, S. 170f. 17 Vgl. Israel Nachrichten vom 11. November 1994, S. 2; Neues Linzer Volksblatt vom 31. März 1995, S. 26f., Wiener Kurier vom 21. April 1945 (DÖW 8389). Ausführlich zu den Verhandlungen von Ferdinand Käs vgl. DÖW 2495; Nachlaß Zeiz: Geschichte des Wiener Theaterverlages und Erika Weinzierl: Widerstand, S. 172f. 18 Vgl. dazu Radomir Luza: Widerstand, S. 270ff. 39