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Hildemar Holl, Brita Steinwendtner Jakob Haringer War er Deutscher? War er Österreicher? Er war kein Jude. Warum brannten seine Bücher? Warum wurde er verfolgt, mußte er fliehen, wurde er interniert? Jakob Haringer war ein Dichter, der zwischen den Ländern und Ideologien stand, der ein Außenseiter war und der dieses Außenseitertum lebte, stilisierte und erlitt. Er fühlte sich als schwermütiger Vagant, zog durch die Lande, liebend, schimpfend und dichtend, und wurde unvermittelt durch die politischen Zäsuren zum Ausgestoßenen. Getrieben und vertrieben, ausgebürgert und politisch verfolgt von den Nationalsozialisten, wurde er vom gefeierten Dichter zum Exilierten, der 1948 arm und vergessen in einer Zürcher Dachkammer starb. Tot Ist alles eins Was liegt daran, Der hat sein Glück, Der seinen Wahn. Was liegt daran! Ist alles eins, Der fand ein Glück! Und ich fand keins." Angeblich wurde Jakob Haringer in einem Eisenbahnwaggon vor Dresden am 16. März 1898 geboren. Der Vater: reisender Buchhändler, Kellner. Die Mutter: Trafikantin, Wursthändlerin. Beide stammen aus dem bayerisch-österreichischen Grenzgebiet. Beide werden später Gastwirte in häufig wechselnden Orten. Haringer besucht die Volks- und Bürgerschule in Salzburg, vier Klassen Realschule in Traunstein. 1914 ist er neun Monate Lehrling bei einem Lebensmittelhändler in Salzburgs Getreidegasse, dann, wie er selbst in seiner Autobiographie Bruchstück eines Lebens berichtet, Lastträger, Tagelöhner, Fabriksarbeiter. 1916 muß Haringer mit 18 Jahren einrücken. Er kommt als Kanonier nach Flandern, wird in die Materialschlachten des Ersten Weltkriegs geworfen — wird zum überzeugten Pazifisten. Zu Kriegsende ist er im Lazarett in München, er ist 1919 im Umfeld der Revolution der Münchner Räterepublik um Ernst Toller und Alfred Wolfenstein zu finden. Als Großmeister der Mystifikation kultiviert Haringer später seine Rolle als Revolutionär. Oskar Maria Graf hingegen berichtet nur vom Zuhörer Haringer. Gesichert ist seine Inhaftierung im Gefängnis Stadelheim nach der Niederschlagung der Revolution. Nach seiner Entlassung zieht sich Haringer nach Bayrisch-Gmain bei Bad Reichenhall zurück. „Dort bandelte er mit jedem Mädchen an, das ihm über den Weg lief. Reich war er an Liebschaften und arm an Geld“, schreibt Jürgen Serke in seinem Band Die verbrannten Dichter.? Haringer ist in der Folge bald hier, bald dort an verschiedenen Orten in Österreich, Deutschland, der Schweiz und der 40 Tschechoslowakei zu finden. 1919 erscheint sein erster Gedichtband Hain des Vergessens, der noch ganz vom Spätexpressionismus beeinflußt ist und im für literarische Experimente offenen „Dresdner Verlag“ erscheint. Schon die frühen Texte zeigen die Konstanten eines Menschen, der sich in Persönlichkeit und Themenwahl seiner Dichtung nur noch wenig verändert: Unstetigkeit, Auflehnung, Blasphemie, Streit und Händel mit Behörden und Polizei, Selbstmitleid, Verachtung und zugleich Sehnsucht nach bürgerlicher Sicherheit. Jahr für Jahr publiziert der überaus produktive Vagant einen Gedichtband nach dem anderen. Zunächst in kleineren Verlagen, bald aber schon in getarnten Eigenverlagen „Christof Brundel“, Amsterdam, und später „Grigat Verlag“, Ebenau bei Salzburg. Von einiger Relevanz bleiben die Bände Die Kammer, 1921, und Weihnacht im Armenhaus, 1924. Der Durchbruch gelingt Jakob Haringer 1925 in Berlin, wo er beim angesehenen Kiepenheuer Verlag in Potsdam sein Buch Die Dichtungen veröffentlichen kann. Prominenter Mentor Haringers ist Alfred Döblin, vom Gedichtband Weihnacht im Armenhaus (1924) so beeindruckt, daß er den Gustav Kiepenheuer Verlag auf den Lyriker aufmerksam gemacht und „Einen Gruß für Jakob Haringer als Vorrede zu seinen Dichtungen“ verfaßt hatte. Darin schreibt er unter anderem: „Dieser Typ ist unerwartet da: ein lyrischer Poet, ins Heute verschlagen, beständig hintapsender Träumer; der wirkliche, komplette, kranke, verängstigte, psychopathische Romantiker. Manche Lyriker hatten das teilweise, manche spielen es. Er ist es, durch Geschick, Unglück, konstitutionell.“? Reiselied Herbst färbt schon die Wipfel rötlich, Wiese duftet letzten Klee. Wald schneit arge Hand versöhnlich, Frauen seufzen lieb Ade. Sonne spielt um alte Mühle, Mädchen schluchzen Schwalbenlied, Sterne in den Bronnen fielen, Klöster unsre Wildnis kühlen, Mond am schwarzen Fenster blüht ...* „Ein Sonntagskind in einer Welt ohne Sonntag“, nennt Hermann Hesse Jakob Haringer. Auch Franz Blei, Paul Zech, Carl Sternheim, Otto Stoessl oder Berthold Viertel setzen sich für den unkonventionellen Lyriker ein, dessen Dichtung allerdings manche auch als überholt romantisch kritisierten. Max Hermann-Neiße faßt die unterschiedlichen Einschätzungen prägnant zusammen: „Einer tippelt durch sein fragwürdiges verqueres Dasein und singt auf Bergstraße und Großstadtasphalt, wie’s kommt, vor sich hin, von seinem Gram und Grauen, von allen kleinen Leiden und großen Enttäuschungen seines Weltabenteuers.‘“” Der Mensch Ich mache Ruh aus eurem Lärmen, Ich blühe Welt aus eurem Tod, Ich mache Stahl aus eurem Brot, Aus euren Wassern preß ich Sterne, Ich mache Finsternis aus eurem Strahlen,