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Mit eurer Nacht will ich mich silbern malen, Mit euren Sonnen mach ich Eis — Dein junges Herz mach ich zum Greis.® Haringer stand mit seiner Dichtung außerhalb der Zeit. Nach Überwindung der expressiven Phase kann er weder der „Neuen Sachlichkeit“ noch der aufkommenden politischen Literatur zugeordnet werden. Er schreibt keine „Blut und Boden“Hymnen und keine scharfzüngigen Kritiken. Die einen lieben sein ausuferndes Augenblicks-Schreiben, die anderen tun ihn als veralteten Romantiker ab. Seine Dichtung spiegelt die Ambivalenz seines Wesens wider. In Versen von höchster Musikalität besingt er die verlorene Kindheit, die Schönheit der Landschaft, die Unbill des Lebens und die Unzuverlässigkeit Gottes. Sein Band Das Schnarchen Gottes, 1931 im’Eigenverlag gedruckt, da kein Verleger so deftige Verse publizieren wollte, strotzt vor blasphemischen Angriffen; andere, vor allem die späten Poeme, hingegen verraten sehnsuchtsvolle Innigkeit. Er mischt sich unters Volk, versteht die Sprache der einfachen Leute und teilt ihr Elend. Andererseits war er oft von elitärer Verachtung, brüskierte Freunde aufs schärfste und ging in seiner Egozentrik bis zur Unverschämtheit. Die Publikation des Bandes Die Dichtungen in einem der angesehensten Verlage des deutschen Sprachraums, die zweimalige Kandidatur für den Kleistpreis (1925 und 1927), der Zuspruch berühmter Kollegen, eine Reihe von Zeitungsartikeln zu seinem Leben und seinen Gedichten zeigen, daß Jakob Haringer in den späten 1920er Jahren Gesprächsthema im Literaturbetrieb war. Die Verleihung des Gerhart-HauptmannPreises entpuppt sich als Seifenblase: aus Geldmangel kommt es nicht zur Verleihung.’ Haringers Popularität nimmt zu: 1926 erscheint in Frankfurt am Main im Iris Verlag der Gedichtband Kind im grauen Haar, 1928 und 1930 folgen durch die Vermittlung Franz Werfels im Wiener Paul Zsolnay Verlag die Gedichtbände Heimweh und Abschied. Presse und Rundfunk reagieren schnell und positiv, Haringers Gedichte klingen in ihrem volksliedhaften Ton lange nach. 1933 vertont Arnold Schönberg drei von Haringers Gedichten, es sind die einzigen Lieder, die Schönberg in der Zwölftontechnik komponierte. Lebenslied Zog der Frühling ins Land Wie ein tändelndes Kind, Und der Frühling ging hin, Und mein Herz durft nit blühn! Kam der Sommer ins Land, War so leuchtend und rot, Und der Sommer zog hin, Und mein Herz schrie sich tot... Kam der Herbst übers Land Mit goldenem Tand — Und der Herbst mußte verglühn, Wie mein Herz, meine Hand! Wird der Winter bald sein, Macht mich nichts mehr verworrn, Und mein Grab wird’s einschnein — Ach was wurd ich geborn.® Zeichnung von Emmy-Claire Haag, aus: Gertrud Kurz: Wanderndes Volk. Wuppertal-Barmen 1968 Jakob Haringer kümmert sich nicht um seinen schnellen Ruhm. Schwermütig und leichtsinnig lebt er seinen wechselnden Stimmungen. Im Sommer 1929 ist er in Stuttgart-Degerloch beim Internationalen Vagabundenkongreß zu finden, den Gregor Gog für die „Kunden“ und Leute von der Landstraße organisiert hatte.” Wie eine Reihe intellektueller Außenseiter seiner Zeit überträgt er daher auch als einer der ersten die Dichtungen der großen Leitfigur des Vagantentums, Francois Villon. Haringers spezifischem ,,Vagabunden- und Vagantentum“ liegt wesentlich auch die politische und wirtschaftliche Zuspitzung seiner Zeit zugrunde. Im Weimarer Staat und der Ersten Republik in Österreich schwinden durch zunehmende Not und sich verschärfende polizeiliche Reglementierung die Freiräume der Streuner. Die Honorare für seine Bücher ver LZLAESN JAKOB HARINGER DAS SCHNARCHEN GOTTES 41