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wird nichts anders, bis wir nicht nach Wien kommen und einfach die Parteileitung abschießen. “’ Protestbriefe Grafs bekanntester politischer Text ist der am 12. Mai 1933 in der Wiener Arbeiter-Zeitung veröffentlichte Aufruf Verbrennt mich!®, der anschließend durch die internationale Presse ging.” Bauer nennt ihn Grafs antifaschistisches Grundsatzprogramm.!” In diesem offenen Brief, von dem Graf selbst schrieb, daß er ihn bis an den Rand der Berühmtheit gebracht hätte'!, schildert er recht drastisch die widersprüchliche Behandlung seiner Person einerseits, und seiner literarischen Werke andererseits: Von seiner Lese- und Vortragsreise in Österreich konnte er nicht mehr in seine Heimat zurückkehren. Denn inzwischen hatte die Polizei seine Wohnung aufgesucht, zwei dort versteckte Kommunisten festgenommen, die später in Dachau umgebracht wurden, und u. a. viele seiner Manuskripte beschlagnahmt. Die meisten seiner Werke befanden sich hingegen auf der sogenannten Weißen Liste der vom Regime empfohlenen Literatur. Graf fordert in seiner Polemik eine konsequente Haltung, auch ihm gegenüber, und so die Verbrennung seiner Bücher: Nach meinem ganzen Leben und nach meinem ganzen Schreiben habe ich das Recht, zu verlangen, daß meine Bücher der reinen Flamme des Scheiterhaufens überantwortet werden und nicht in die blutigen Hände und die verdorbenen Hirne der braunen Mordbanden gelangen.'” Wie Graf in seiner Nachschrift zu diesem Protest 1960"? berichtet, war sein Schreiben erfolgreich. In der Aula der Münchner Universität fand noch im Mai eine eigene Bücherverbrennung der Grafschen Werke statt. Graf kommentierte das wie folgt: Nie in meinem Leben hätt‘ ich mir träumen lassen, daß die Erzeugnisse meiner Provinzschriftstellerei je in so feine, gelehrte Kreise dringen. '* Einen Monat später wurde ihm die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt, so daß er nun bis zum März 1958, in dem er die US-Bürgerschaft erhielt, staatenlos blieb. Im Juli folgte der Ausschluß aus dem gleichgeschalteten Schutzverband deutscher Schriftsteller. Ähnlich deutliche Briefe wie Verbrennt mich! folgten an den deutschen P.E.N.-Club und die Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums. Exsterer hatte Graf mehrere Aufforderungen, den Mitgliedsbeitrag zu entrichten, geschickt. Graf antwortete in einem Brief, in dem er den P.E.N. grundsätzlich als Abendessen-Club bezeichnet, seine wiederholten Austrittsversuche und das Paradox schildert, daß der Schatzmeister Hans Martin Elster ihn, einen verfolgten, exilierten Schriftsteller, nun um Zahlung offener Mitgliedsbeiträge angeht: Herr Sekretär? Sie waren auch als Beauftragter — nicht etwa des P.E.N.-Clubs, sondern der deutschen Machthaber - in Ragusa [Dubrovnik] beim Kongreß aller P.E.N.-Clubs der Welt und haben gehört, was die Geistigen der anderen Nationen zu dieser deutschen Schande gesagt haben. Und Sie sind heimgefahren und haben mitgeholfen, den deutschen P.E.N.Club gleichzuschalten. Und nun wenden Sie sich an mich, an ein unfreiwilliges, längst ausgetretenes Mitglied, an einen emigrierten und verfemten deutschen Schriftsteller, an einen seit Jahren bekannten Kämpfer gegen die stockreaktionäre, kulturfeindliche Hitlerei!'” 46 Im Brief an die Reichsstelle vom November 1933 knüpft Graf seine Verbrennt mich!-Aufforderung und deren polemischeren Tonfall an: Ein Werk, meine Herren, ist für einen wesentlichen Schriftsteller immer so etwas wie eine Fahne. Die Fahne seines unverfälschten Menschentums und seiner politischen Gesinnung. Darum empfinde ich es als unverwindbare Schmach, wenn die derzeitigen deutschen Regierungsstellen und Sie, als deren Amtsverwalter in literarischen Angelegenheiten, es immer noch dulden, daß Bücher von mir in Deutschland verbreitet werden dürfen. Ich rechne nun damit, daß Sie meine literarischen Erzeugnisse in meiner Heimat ausrotten.'® Die politische Auseinandersetzung mit der Situation im Deutschen Reich dominierte in den ersten Monaten in Wien. Graf kritisierte das deutsche Regime und die Intellektuellen, sowohl in Briefen an ihre Institutionen, als auch in politischen Reden auf seiner Lesetournee durch Österreich.!’ Der politischen Situation, die in diesen oft lange unveröffentlichten politischen Appellen bzw. Bestandsaufnahmen dokumentiert ist, steht Grafs Erwerbsliteratur, meist im ländlich-bayerischen Millieu angesiedelte Geschichten, gegenüber. Seine äußere Betätigung, das Schreiben und Erzählen bayrischer Schnurren, kontrastierte, so steht zu vermuten, seine eigentliche Gemütslage, seine politisch-schriftstellerischen Anliegen und Pläne. Politische Schriften Im Zentrum seiner Beschäftigung mit der Situation im Deutschen Reich standen die verfolgten und umgebrachten GenossInnen. So machte Graf Aufzeichnungen über die Gewalttaten des Nationalsozialismus und seine Opfer in München und Umgebung, die er teils aus der Presse und teils über den in der ersten Exilphase noch möglichen offenen Briefwechsel mit FreundInnen und GenossInnen bezog. Hieraus gingen die Dachauer Chronik (1933)"® und die Bayerische Dämmerung” hervor. Grafs Hauptanliegen dabei war, seine Informationen über die Verbrechen festzuhalten und die internationale Presse auf die vielen unbekannten Opfer aufmerksam zu machen, um eine Verzerrung der Situation durch die alleinige Berichterstattung über prominente Gefangene wie Ossietzky, Torgler oder Thälmann zu verhindern. In der Dachauer Chronik nennt er die Namen der bisherigen Opfer und schreibt resümierend: Für jeden anständigen Menschen bleibt es aber Pflicht, immer und immer wieder darauf hinzuweisen, mit welch hemmungslosem Sadismus man wehrlose Menschen dort abschlachtet.”° Und einige Passagen zuvor: Ich will nicht weitschweifig sein und nur einen kurzen, tibrigens leicht feststellbaren Tatsachenbericht geben, denn das, was hier behauptet wird, war zum größten Teil in deutschen Zeitungen zu lesen, wird also amtlich zugegeben. Typisch für die von Graf in seiner frühen Exilzeit verfaßten Texte sind die Appelle in Nicht gehaltene Rede?! (1933). Obwohl er die politischen Ereignisse in ihrer Grausamkeit deutlich beschreibt, ist seine Hoffnung auf eine politische Wende durch ein Zusammengehen der ArbeiterInnenparteien noch so stark, daß er seine Niederschriften, von denen viele erst in den 70er und 80er Jahren veröffentlicht wurden, zumindest mit einem kämpferischen Aufruf beendete. Nein, Genossen und Genossinnen, das Wort ist mächtiger als jede Unterdrückung! Nein, ihr Freunde und Kämpfer für