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Lissauer (1882-1937), Robert Neumann (1897-1975), Stefan Zweig (1881-1942) oder Lothar Wallerstein (1882- 1949) hielten ihn für ganz und gar unschuldig. In Verbindung mit der Anklage wurde Jacobs mehrere tausend Bände umfassende Bibliothek, aber auch der sonstiger Wertbesitz, gepfändet und kam im Wiener Dorotheum zur Versteigerung. Dem Schriftsteller war sein Handwerkszeug genommen. Besonders schlimm war aber die Tatsache, daß zwischen dem Freispruch und dem „Anschluß“ Österreichs an das Deutsche Reich am 13. März 1938 lediglich vier Wochen Zeit lagen, also viel zu wenig, als daß Jacob noch etwas für seine Emigration hätte unternehmen können, zumal die Staatsanwaltschaft gegen das Urteil auch noch eine Nichtigkeitsbeschwerde führte. Bedingt durch den politischen Umsturz wurde Jacob am 22. März 1938 in der Wohnung seiner damaligen Verlobten und späteren Ehefrau Dora Angel-Sokya (18891984), der Schwester des Dichters Ernst Angel (1894-1986) und erste Ehefrau des Schriftstellers Otto Soyka (1881-1955), in der Skodagasse 15 (VII. Bezirk), von der Geheimen Staatspolizei erneut verhaftet und in die Polizeikaserne auf der Wiener Rossauerlände in „Schutzhaft“ genommen. Am 1. April 1938 war Jacob als die Nummer 99 beim 1. Wiener Transport von „Schutzhäftlingen“ in das Konzentrationslager Dachau, dem sogenannten „Prominentenzug“, dabei. Ebenfalls dabei beim 150 Personen umfassenden Transport (andere Quellen sprechen von 154 Personen) waren z.B. Raoul Auernheimer (1876-1948), Bruno Heilig (1888-1968), Viktor Matejka (1901-1993) und Leopold Figl (1902-1965), der spätere östereichische Bundeskanzler.'’ Friedrich Bock, von 1966 bis 1968 Vizekanzler Österreichs, schildert in einem eindrucksvollen Bericht die Deportation nach Dachau: „Etwa um 10 Uhr nachts wurden wir aufgerufen und in Gruppen zu 20 in die Schubwagen, den „Grünen Heinrich“, verladen. Die Fahrt ging zuerst über die Ringstraße. Wir versuchten zu erraten, wo das Ende der Fahrt sein konnte. Zunächst dachten wir, vom Schottenring kommend, es ginge in das Landgericht. Als _ ee Alice Lampl-Jacob (1898-1938), Schwester des Schriftstellers Heinrich Eduard Jacob. Aufgenommen um 1915 Dora Jacob geb. Angel (1889-1984) in den 50er Jahren im USA-Exil wir aber daran vorbeifuhren, hieß es, man werde uns wahrscheinlich in die Stiftskaserne bringen. Aber auch diese Annahme erwies sich als irrig. Als wir die Stiftskirche in der Mariahilferstraße passierten, fiel in unserem Wagen plötzlich das Wort ‚Dachau‘ und legte sich, ohne daß wir genau wußten, was uns dort erwarten würde, wie lähmendes Entsetzen auf unsere Herzen. Dann bogen die Wagen auf das Vorschubgebäude des Westbahnhofs ein und hielten; die Tür wurde aufgerissen: ‚Heraus, ihr Hunde!‘ Und es begann ein Spießrutenlaufen, an dessen Ende, oft erst nach Jahren, für viele der Tod stand. Durch eine Masse von SS-Bütteln, die mit den Gewehrkolben mit aller Gewalt auf uns eindroschen, hieß es zu den Eisenbahnwaggons laufen, wo je zehn oder zwölf, manchmal auch bis zu 15 Menschen in die Coupes gedrängt wurden. Eng aneinandergepreßt mußte man Platz nehmen und unter dem Kommando eines SS-Schergen, der in der offenen Coupetüre stand, ununterbrochen mit aufgerissenen Augen in das trübe Licht an der Decke starren. Gegen Mitternacht setzte sich der Zug in Bewegung und damit begann bis in die Vormittagsstunden des 1. April eine wahrhaft unvergeßliche Fahrt, bei der sich die Angehörigen der Elite der NSDAP, meistens kräftige junge Burschen, abwechselnd an uns müde prügelten. Viele von uns hatten am Ende dieser ‚Reise‘ so zerschlagene Gesichter, daß sie nicht mehr einem menschlichen Antlitz glichen. Als nach fast zwölfstündiger Fahrt der Verschubbahnhof vor dem Dachauer Lager erreicht war, war es nur mehr eine taumelnde Masse menschlicher Kreaturen, die dann vor dem Kommandogebäude des Dachauer Lagers Aufstellung nehmen mußte.“!® Dachau bedeutete für Jacob schwerste körperliche Arbeit, Hunger und Zusammenbruch. Von Dachau aus korrespondier53