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Phantasie und Erinnerung ihn in schöne Wärme hinüberretteten. Ich dachte an die Aufführungen in Max Reinhardts Deutschem Theater. Und ich dachte besonders an ein schönes, warmes, venetianisches Schauspiel Hofmannsthals: ‚Christinas Heimreise‘ und an die Stimme Alexander Moissis.‘“”® Jacobs Verlobte Dora deckte sowohl den Wiener Generalstaatsanwalt, die Geheime Staatspolizei in Wien und Berlin wie auch das Amerikanische Generalkonsulat in Wien, wo das von Jacobs amerikanischem Onkel gesandte Affidavit bereits vorlag, mit Eingaben und Hilferufen ein. Ständig wies sie darauf hin, daß Jacob sofort in die Vereinigten Staaten von Amerika auswandern werde, sobald er aus der KZ-Haft entlassen würde. „Auf Anordnung des Geheimen Staatspolizeiamtes in Berlin vom 26.1.39“ wurde der „Schutzhäftling Jude Henry Jacob“ am 10. Februar 1939 nach Wien entlassen.” Am 11. Februar 1939 nahm Dora Angel-Soyka ihren Verlobten am Wiener Bahnhof in Empfang, wo sie ihn nach 11 Monaten kaum noch erkannte. „Alsich am 11. Februar 1939, einen Tag nach seiner Entlassung aus dem K.Z. Buchenwald, meinen damaligen Verlobten, Heinrich Eduard Jacob, wiedersah, vermochte ich ihn kaum zu erkennen. Er war zum Skelett abgemagert und ging völlig gebückt. Seine Haltung war fast waagrecht zur Erde.‘ Es dürfte aber nicht nur an den bereitliegenden Auswanderungspapieren gelegen haben, daß Jacob Buchenwald verlassen konnte. Unmittelbar vor ihrem Tod am 26. Februar 1984 in Berlin berichtete Dora Jacob dem Autor im letzten persönlichen Gespräch, daß ein hoher Wiener Gestapo-Offizier ihr die Freilassung ihres Verlobten in Aussicht gestellt habe, wenn sie sich ihm sexuell hingeben würde. Wissend, wie schrecklich die Lage für Jacob in Buchenwald war und wie nahe am Tode er sich bewegte, gab sie der Erpressung nach. Dora Jacob litt zeitlebens unter dieser Nötigung und war doch froh, alles für Heinrich Eduard Jacob gegeben zu haben. Am 18. Februar 1939 heirateten Dora und Heinrich Eduard Jacob in Wien, seiner ersten Exilstation, wo er seiner Meldeverpflichtung nachkommen mußte. Am 15. April 1939 erreichte er über Belgien kommend London, seine zweite Exilstation. Dora Jacob selbst konnte Wien erst Anfang Juli 1939 verlassen, denn Jacobs Mutter Martha hatte eine letzte Gemeinheit zur Störung der zwischenmenschlichen Beziehung ihrers Sohnes parat. Aus dem Gefängnis heraus teilte sie ihrem Chicagoer Bruder Michael Barnes mit, daß eine Ausweitung des Affidavits für Dora Jacob indiskutabel sei. Ihrem Sohn schrieb sie: „Seine [Barnes] Unterstützung darf nur für Dich und mich in Anspruch genommen werden.‘*! Noch von London aus mußte Jacob die letzte Initiative ergreifen und den Onkel bitten, das Affidavit auf Dora auszudehnen,*” worauf dieser sich auch umgehend einließ. Die Verzögerung führte jedoch dazu, daß die Immigrationsquote in die USA bereits erfüllt waren, so daß Dora zunächst in Wien zurückbleiben mußte. Am 14. Juli 1939 gelangte Jacob mit seiner Frau Dora endlich in die Vereinigten Staaten von Amerika, der dritten Exilstation, deren Staatsbürger beide wurden. \ Von den Mißhandlungen und der schweren körperlichen Arbeit während seiner elfmonatigen Internierung erholte sich Jacob nie mehr. Sein Leben war bis zu seinem Tod am 25. Oktober 1967 in Salzburg — es war der einzige österreichische Ort, an den er wegen seiner Liebe zu Mozart zurückkehrte — von Krankheit gezeichnet. Sein Schaffen als Literat war erheblich beeinträchtigt. Die Mutter Martha Jacob erlitt schließlich ein furchtbares Schicksal. Von Wien aus wurde sie in einer Haftodyssee zunächst in das berüchtigte Frauenzuchthaus in der Barnimstraße in Berlin verlegt, danach kam sie in das Frauenzuchthaus Cottbus. Offizielles Haftende war der 9. Dezember 1942, sie „wurde [aber] am 15. Dezember 1942, von Berlin, durch die Geheime Staatspolizei Berlin, mit Transport //80, in das Ghetto Theresienstadt eingeliefert; [und] ist dort am 5. Februar 1943 verstorben, Todesursache nicht angeführt, Kategorie: ,Jiidin‘.““? Die vielfältigen Versuche Heinrich Eduard Jacobs von den USA aus etwas für seine Mutter zu unternehmen oder nach 1945 etwas über ihr Schicksal zu erfahren, schlugen fehl. Seine Erlebnisse an diese schreckliche Zeit von 1935 bis 1939 konnte Jacob im Gegensatz zu seinem Kamerad Raoul Auernheimer”* nie ausführlich schildern. Lediglich anläßlich einiger Gedenkfeiern im amerikanischen Exil sowie in seinem kulturhistorischen Sachbuch „6000 Jahre Brot“° und in späteren Briefen oder vertrauten Gesprächen mit Freunden°® streifte er das Thema. Der Schock über das Erlebte saß zu tief.>” Anmerkungen zu H. E. Jacob 1 Heinrich Eduard Jacob: „Ich liebe Amerika — aber kann es nicht leiden“; in: „Die Zeit“ Nr. 41, Hamburg, den 9. Oktober 1964, S. 28. 2 Die Witwe Jacobs, Dora Jacob geborene Angel (1889-1984), berichtete dem Autor in persönlichen Gesprächen mehrfach diesen Sachverhalt. 3 Bereits am 12. Mai 1933, also lediglich zwei Tage nach der Bücherverbrennung im Deutschen Reich, erfolgte beim „Berliner Tageblatt“ die sogenannte „Selbstgleichschaltung“, was automatisch dazu führte, daß diejenigen Mitarbeiter ihres Postens enthoben wurden, von denen vermutet wurde, daß sie den Nationalsozialisten nicht ge3