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Schriftstellerverbandes und des Gebietskomitees der Partei im Smolny auch die Berufsbezeichnungen und wissenschaftlichen Titel zweier meiner Lehrer, W. Admoni und E. Etkin, beide ausgezeichnete Sprach- und Literturwissenschaftler und Freunde von Anna Achmatowa und Heinrich Böll, man schrie sie gewissermaßen mit den Anführungszeichen nieder, weil sie allen Anfeindungen zum Trotz für den späteren Nobelpreisträger J. Brodski als wohlwollende Gutachter auftraten. Das negative Anführungszeichen war damals sowohl in graphischer als auch in gesprochener Form das in den offiziellen Kreisen beliebteste Satzzeichen, ohne das kein politischer Zeitungsartikel, keine politische Rundfunksendung auskam, etwa wenn von dem „Ministerpräsidenten Israels“ die Rede war. Die Sprache ist ein Kommunikationsmittel und sie entwickelt sich in der Kommunikation. In der damaligen Sowjetunion jedoch kommunizierte sie nur mit der Zeitung, mit der unifizierten Ideologie und mit der Propaganda, mit einer einzigen, gewaltigen Zeitung, so groß wie das ganze Land. Bildlich gesprochen hatte man das Land in die „Prawda“ eingewickelt. Das Wort kam von oben in die Sprache und wurde so vom ganzen Land verdaut. Und wer es nicht verdauen konnte oder — Gott behüte — nicht verdauen wollte, den erwarteten gewöhnlich „Erziehungsmaßnahmen“ oder — als Vorstufe der Einweisung ins Gulag — die negativen Anführungszeichen. Und diese erhoben sich ehern wie die Pfosten des Höllentores, durch das Millionen Menschen getrieben wurden: Die sowjetische Inteligenzija, der russische Adel, der Klerus, die Bauernschaft, die Armee, in Ungnade gefallene Parteifunktionäre, aus deutschen Lagern heimgekehrte Kriegsgefangene und Deportierte und ganze Völkerschaften wie die Krimtataren, Tschetschenen, Moldawier und Balten. — Der Stil der negativen Anführungszeichen führte so zur Herausbildung eines völlig neuen Denk- und Lebensstils. Und das zu verstehen, zu begreifen, ist nicht allein die Sache von Philologen, es ist eines der Grundprobleme für das Verhalten und für die Zukunft Rußlands. „Diese Nazis, -ich verstand sie nicht. Ihre Journale — ‚Stürmer‘, ‚Angriff‘, ‚Völkischer Beobachter‘ oder wie der Unflat sonst noch heißen mochte — hätten ebenso gut in chinesischer Sprache erscheinen können: ich kapierte kein Wort“, schrieb Klaus Mann in seiner Autobiographie „Der Wendepunkt‘, einem der wichtigsten Erinnerungsbücher des 20. Jahrhunderts. In Rußland gelang es mir erst nach jahrzehntelangem Kampf die erste russische Übersetzung dieses Buches 1991 fertigzustellen und herauszubringen. Sollte man nicht vielleicht auch von unsichtbaren negativen Anführungszeichen reden? Aber bleiben wir bei den sichtbaren. In der Sowjetunion gab es kein Entrinnen vor der offiziellen Anführungszeichen-Sprache der Propaganda. Ob es um einen Prozeß gegen „Feinde des Volkes“ ging, um die Arbeitsinitiative einer Melkerin aus einem Stalin-Kolchos, den Protest eines sibirischen Garderaketenregiments namens Stalin gegen die ,imperialistischen Brandstifter“ oder den Protest von Krankenschwestern einer kasachischen Entbindungsstation namens Stalin gegen das Verbot von Abtreibung in Obervolta, all das wurde in Parteichinesisch, in der Anfiihrungszeichen-Sprache verfertigt und zusammengebosselt, die dem Volk buchstäblich nichts bedeutete und sowohl dem Ohr als auch dem Bewußtsein fremd war. Und jene exotischen Namen, die in dieses Parteichinesisch eingeflochten wurden und manchmal, obwohl sie mitunter recht komisch klangen, lange nachhallten, die nach einem trefflichen Wort Andrej Bitows gewissermaßen eine Volksetymologie erlangten, wurden zu Sprachpartikeln, zu Schaltwörtern, zu Sprachparasiten, d. h. sie nahmen den Status von 60 Schimpfwörtern an. Und da verwunderte es auch nicht, wenn sich der einfache Russe mitunter fragte: „Lumumba - ist das nicht eine sexuelle Praktik?“ Eine der Besonderheiten des Anfiihrungszeichen-Stils resultiert aus dem hierarchischen Denken der Russen. Selbst auf die Kultur, auf die Wissenschaft und Bildung blickten die Sowjetbiirger (und sie tun es bis heute) durch das Prisma von Rängen und Dienstgraden. Sogar den Klassikern der Literatur verordnete man raffinierterweise eine entsprechende Nomenklatura. Da gab es die höchsten Ränge, sozusagen Politbüromitglieder, sowie Kandidaten und niedere Dienstgrade. Diese Nomenklatura war aber keineswegs konstant, von Zeit zu Zeit gab es Veränderung. So wurde beispielsweise Ende der vierziger Jahre, nach entsprechenden Säuberungen und Überarbeitungen der Anführungszeichen-Verwendung in der Presse, Dostojewski zeitweilig aus dem „Politbüro“ ausgeschlossen. Und Mitte der fünfziger Jahre, bereits in der Periode des „‚Tauwetters‘“, wurde er wieder aufgenommen. Der Status Leskows und Gontscharows war unklar: waren sie nun Mitglieder des literarischen Politbüros oder nur Kandidaten? Ganz und gar ambivalent war die Situation Saltikow-Stschedrins: Seit Lenins bekannten Worten, daß man ihn „preisen, erklären und zitieren muß“, wurde ihm der oberste Rang zuerkannt, aber zitiert wurde er immer seltener; es ist nicht schwer zu erraten warum — man fürchtete die Vielzahl der kritisch-satirischen Anspielungen in seinem Werk. Wie werden in Rußland noch heute die Feiern anläßlich sich rundender Todesjahre russischer Klassiker von bürokratischer Seite arrangiert? Eine peinliche Reglementierung der offiziellen Teilnahme an derartigen Festivitäten zeigt an, welches Maß an staatlicher Anerkennung man dem jeweiligen Schriftsteller oder Gelehrten zukommen läßt und produziert entsprechende Vorstellungen, obwohl das eigentlich nicht eine Angelegenheit des Staates, sondern der öffentlichen Meinung ist. Und bei jedem Anlaß dieser Art stellte sich die Frage von neuem: Politbüromitglied, nur Kandidat oder gar mit Anführungzeichen zu versehen? Entsprechend dieser Katalogisierung relativiert sich dann natürlich auch die offizielle Anteilnahme. Nomenklatura und das Anführungszeichensyndrom verfolgen den Betreffenden bis über den Tod hinaus. Der prominenteste Moskauer Friedhof war und ist der des Nowodewitschi-Klosters. Und auch er wurde seit der Sowjetzeit zu einem Schnittpunkt, an dem sich Kollisionen, Ambitionen und ehrgeiziges Streben über den Tod hinaus kreuzten. Ein makabres, aber durchaus reales Phänomen des Anführungszeichensyndroms. Ein sowjetischer Gelehrter, Schriftsteller oder Schauspieler, vor allem ein Gelehrter, der die Höhen der Nomenklatura erklommen hatte — sagen wir: Präsident, Rektor, Held der sozialistischen Arbeit usw. —, sah als nächsthöhere Stufe nur noch ein Grab auf dem Nowodewitschi-Friedhof vor sich. Aber um diese Stufe zu erreichen, waren seinerseits Vorsorgemaßnahmen notwendig, die er, wenn er sichergehen wollte, weder Verwandten noch Freunden überlassen konnte. Man erzählt sich in Moskau von einem Gelehrten aus der Parteihierarchie, der sich lange um eine für ihn angemessene Ruhestätte auf diesem Friedhof bemüht hatte. Endlich wurde er von höchster Stelle verständigt, daß seiner Bitte stattgegeben werde, nur müsse die Grablegung noch in der laufenden Woche stattfinden! Für die sogenannten mittleren Kader gab es eine Filiale dieses Hauptfriedhofs, den Kunzewer Friedhof in Moskau. Man stelle sich das vor, eine Friedhofsfiliale, und das als offizielle Bezeichnung. — Todesnomenklatura. Diese Neigung, diesen Drang, diesen Urtrieb zum Hierarchischen meinte ich eines Tages auch angesichts der Ehrengrabtei