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auch und vor allem bei der Sowjetisierung geographischer Namen. Der Sowjetterror gegen die historische Toponomastik hat die Glieder der Zeitenkette zerrissen. Die Sprache rächt sich für die Vergangenheit. Von den noch immer sehr lebendigen Rudimenten der Sowjetsprache lebt noch heute die politische Alchemie Rußlands. Im Dezember 1996 wurden am Tag der x-ten Wiederkehr des Geburtstages Stalins Menschen auf der Straße befragt. Eine junge Frau, die keines der Verbrechen während der Stalin-Ära leugnete, erklärte, das sei nicht wichtig, von Wichtigkeit sei allein, daß er - Stalin - eine Persönlichkeit gewesen sei. Man kann das Rechtsbewußtsein dieser jungen Frau gewissermaßen als den späten Gipfelpunkt der Sowjetisierung bezeichnen. Die Sowjetunion ist untergegangen — ihre bekannten Sprach-, Denk- und Verhaltensmodelle aber keineswegs. Und deshalb bin ich —- in einem Punkt — nicht mit Victor Klemperer einverstanden. Er legte außerordentliches Gewicht auf die Wörter und Wortkonstuktionen, er schlug sogar bildhaft vor, sie in die Erde einzugraben, um zusammen mit ihnen auch das Gift des Nazismus zu vernichten. Aber damit ist das Pro“ blem nicht gelöst. Die Wörter verschwinden, aber die Intonationen bleiben. Die kompromittierten Redewendungen und Definitionen sterben aus oder man entledigt sich ihrer, aber die Denkweise, die sich in ihnen ausdrückte, dringt wie ein mutierte Virus in die neuen Modewörter und Sprachkonstruktionen ein. Und so wird, ehe nicht die alte Art zu denken überwunden ist, niemand behaupten können, die Sowjetunion sei ein für alle Mal und unwiederbringlich vergangen. Bei alledem sei aber eines festgestellt: in ihrer übergroßen Mehrzahl haben sich die Russen inzwischen aufrichtig von der kommunistischen Ordnung distanziert, auch wenn sie noch längst nicht den in ihnen nachwirkenden Sauerteig des Anführungszeichensyndroms überwunden haben. Doch nichtsdestoweniger haben auch sie (zumindest zu einem großen Teil, wenn wir an das gewaltige russische Territorium und seine Brückenfunktion zwischen Europa und Asien denken) das Recht, nach Europa zurückzukehren, und das nicht zuletzt, weil die Russen, wie Dostojweski einmal schrieb, zwei Vaterländer haben — Rußland und Europa. Und was für ein Europa damit gemeint ist, formulierte bereits ziemlich bald nach dem Zweiten Weltkrieg Klaus Mann in seiner Autobiographie „Der Wendepunkt“: „Wehe dem Erdteil, wehe der europäischen Kultur, wenn eine ihrer Komponenten sich jemals auf die Dauer die unbedingte Hegemonie über alle anderen anmaßen sollte! Die permanente Vorherrschaft eines Bestandteils wäre gleichbedeutend mit dem Zerfall, der Auflösung des Ganzen. Die Harmonie Europas beruht auf Dissonanzen. Das Gesetz, welches der Struktur, dem Wesen des europäischen Genies immanent ist, verbietet die totale Uniformierung, die ‚Gleichschaltung‘ des Kontinents. Europa auf einen Nenner bringen - sei er deutsch, russisch oder amerikanisch -, Europa ‚gleichschalten‘ heißt Europa töten.“ Dieses Zitat steht hier nicht von ungefähr, denn es findet sich in einem Buch, daß das heutige Rußland — und wahrscheinlich nicht nur Rußland — ebenso braucht wie Victor Klemperers „LTI“, um sich mit den Erfahrungen zur Überwindung der vielfältigen Phänomene dessen, was ich hier als Anführungszeichensyndrom darzulegen versucht habe, vertraut machen zu können, um sich selbst wiederzufinden, und nicht in einem neuen ideologischen Abseits, sondern als integrierter Bestandteil eines neuen Europa innerhalb der von Klaus Mann beschworenen Harmonie der Dissonanzen. Ich habe zu Beginn von Thomas Bernhard gesprochen, von dem Verhältnis oder richtiger dem Nichtverhältnis, das viele 62 Österreicher zu ihm haben, von dem Anführungszeichensyndrom, mit dem auch sein Name noch Jahre nach seinem Tod befrachtet wird. Mag sein, daß die alte wiener Dame auf dem Friedhof in Grinzig auch Klaus Mann und Dostojewski nie gelesen, aber eine vorgefertigte und unverrückbare Meinung von ihnen hat; ich möchte es beinahe glauben, denn so schließt sich der Kreis dieses makabren Sprach- und Denkphänomens über Grenzen und Gesellschaftssysteme hinweg. Als Schulen zu Gefängnissen wurden. Die Gedenkstätte Karajangasse Die ehemalige Volksschule Karajangasse (jetzt Teil des Bundesrealgymnasiums XX) wurde im März 1938 von den Nationalsozialisten zu einem berüchtigten Gestapogefängnis umfunktioniert. Hunderte willkürlich verhaftete Personen wurden in den restlos überfüllten Klassenzimmern und im Turnsaal festgehalten, drangsaliert und in vielen Fällen nach Dachau und in andere Konzentrationslager transportiert. Ab Mai 1938 führte das Brigitta-Realgymnasium (so hieß die Schule früher) sogenannte i-Klassen (Israelitenklassen) ein, in denen die 361 SchülerInnen mit mosaischem Religionsbekenntnis getrennt von den restlichen 489 „Arierkindern“ in eigenen Klassen Unterrichtet erhielten. Im darauffolgenden Schuljahr 1938/39 wurden auch diese Klassen aufgelöst. Bereits 1988 war eine Dokumentation zur Geschichte der Schule im Nationalsozialismus von SchülerInnen und dem Geschichtslehrer Mag. Zahradnik erarbeitet worden. Über ein Jahr lang haben nun SchülerInnen der Oberstufe diese neu adaptiert und vor allem Forschungsarbeit zum weiteren Lebenslauf der jüdischen KollegInnen aus dem Schuljahr 1937/38 betrieben. Die Ergebnisse wie Emigration, Exilland, Rückkehr und auch die traurige Tatsache, daß mindestens 19 junge Menschen ins KZ gebracht wurden, wahrscheinlich ermordet wurden, sind in eigens angelegten Schülerlisten ersichtlich. An 40 emigrierte ehemalige GymnasiastInnen in aller Welt sind Briefe geschickt worden, mit der Hoffnung auf direkten Kontakt. Die heutigen SchülerInnen des Gymnasiums haben oft einen ganz anderen persönlichen Hintergrund. Aber die „Mazzesinsel“ ist wieder ein Ort der Zuwanderung geworden, gespannt zwischen schwierigen Assimilierungsprozessen und fremdenfeindlicher Abstoßung. Bedeutete 1938 einen großen menschlichen und kulturellen Verlust, so birgt die aktive Auseinandersetzung mit Verfolgung und Widerstand, die doch auch eigene Identitätsfragen berührt, ein kulturelles Potential für die Zukunft. Die Ausstellung, die in Zusammenarbeit mit einer LehrerSchülergruppe aus dem Polytechnikum Vorgartenstraße adaptiert und deren Organisation von der Kulturinitiative „Aktionsradius Augarten“ unterstützt wurde, ist jeweils Donnerstag 16.00 bis 20.00 Uhr geöffnet. Der Ausstellungskatalog „Die verlorene Insel. Als Schulen zu Gefängnissen wurden“ (hg. von Robert Sommer, 71 S., mit Beiträgen von ehemaligen SchülerInnen wie Fritz Kalmar, Claire Felsenburg, Arthur West) ist um OS 198,— beim Aktionsradius Augarten erhältlich, A-1200 Wien, Gaussplatz 11. . Siglinde Bolbecher