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Norbert Weiß Waloschek(s) Weg Fünf Jahre erst sind vergangen, seit die Bewohner der am Stadtrand von Dresden in Trachau gelegenen Hans-Richter-Siedlung ihre denkmalgeschützten Häuser der städtischen Wohnbaugesellschaft abtrotzten, eine eigene Genossenschaft gründeten und die Siedlung aufkauften. Einem, dem die Architektur- und Sozialgeschichte der Siedlung besonders am Herzen liegt, dem Diplom-Ingenieur Karl-Heinz Löwel, gelang es beim Stöbern in den städtischen Archiven die Namen der Architekten in Erfahrung zu bringen, die neben Hans Richter, dem wohl „modernsten Architekten Dresdens“ (F. Löffler), an Entwurf und baulicher Gestaltung der „neusachlichen“ Siedlung am Dresdner Stadtrand entscheidenden Anteil hatten. So stießen Karl-Heinz Löwel und der Historiker Horst R. Rein bei ihren Recherchen zu den Eigentumsverhältnissen in Kataster-Unterlagen und Planungsmappen mehrfach auf die Unterschrift Hans Waloscheks auf Zeichnungen und Entwürfen, der als Architekt und Technischer Leiter der den Gewerkschaften nahestehenden „Gemeinnützigen Wohnungs- und Heimstättengesellschaft für Arbeiter, Angestellte und Beamte“ - kurz: GEWOG - von 1928 bis 1932 angehörte. Im März 1928 war der 1899 in Wien geborene Hans Waloschek, der kurz vorher eine Studienreise durch Deutschland und Holland mit dem Ziel unternommen hatte, sich über die Rationalisierung im Wohnungsbau und die Bauhüttenbewegung zu informieren, nach Dresden gekommen. Waloschek verfügte zu diesem Zeitpunkt bereits über einige Erfahrungen im sozialen Wohnungsbau, die er im Österreichischen Siedlerverband unter Dr. Otto Neurath bei der „Erschließung von Wohngegenden in Randgebieten der Stadt Wien, unter.anderem der Siedlung Eden (Hütteldorf am Wienerwald)“ gewonnen hatte. Nun stand er in Dresden vor der neuen Herausforderung, mit der Trachauer Siedlung Sonnenlehne die erste Dresdner Flachdachsiedlung und mehrere Mietshäuser zu bauen, die modernstem Komfort genügen und mit Bad, Gas- oder Elektroherd und teilweise mit Warmwasserheizung ausgestattet werden sollten; immerhin - eines der wesentlichen und kompliziert zu verwirklichenden Projekte der GEWOG, sollten doch die Wohnungen für die Mieter — Vorarbeiter, Meister, mittlere Angestellte und kleine Beamte mit ihren Familien — wenngleich nicht eben billig, so doch erschwinglich bleiben. Hatte sich die Gesellschaft zudem auf ihre Fahnen geschrieben, die künftigen Bewohner der Siedlung auch in Fragen der Einrichtung nach modernsten Gesichtspunkten (Bauhaus-Entwürfe, „Frankfurter Küche“, Möbel aus den Hellerauer Werkstätten) zu beraten, sollte außerdem besonderer Wert auf die Einbeziehung besonders wirtschaftlich nutzbarer Gemeinschaftseinrichtungen wie Gärten, Heizhaus und Wäscherei gelegt werden. Im Oktober 1932 mußte Waloschek sein Angestelltenverhältnis bei der GEWOG beenden, weil die Gesellschaft aufgrund ihrer pekuniären Situation nicht mehr in der Lage war, ihm das monatliche Gehalt auszuzahlen. Der Versuch, mit einer Privatfirma die angestrebten Siedlungsprojekte doch noch zu verwirklichen, schlug fehl. 1933, nach dem Wahlsieg Hitlers, wurde Waloschek kurzzeitig verhaftet. Er mußte „durch die Straßen der Siedlung vor den Bajonetten der SA hermarschieren und die Hände hochhalten. Dann wurde er ins Polizeipräsidium oder auf eine größere Wache gebracht. Dort erkannte er unter den Leuten, die ihn identifizieren sollten und die ihn als Urheber ‚semitischer Architektur‘ angezeigt hatten, einige GEWOG-Bewohner, die ihre Miete schon lange nicht bezahlt hatten.“ Aber Waloschek kam mit dem Schrecken davon, und als österreichischer Staatsbürger konnte er damals mit seiner Familie, den beiden Kindern und der wegen ihrer halbjüdischen Herkunft besonders gefährdeten Ehefrau im Juli 1933 Deutschland „halbwegs fluchtartig“ aber immerhin samt Mobiliar Richtung Wien verlassen. Voller Erwartung in seine Heimatstadt zurückgekehrt, erwies sich das Wien des Jahres 1933 als Enttäuschung für den nunmehr arbeitslosen, auf wenige Gelegenheitstätigkeiten angewiesenen Architekten. Hinzu kam, daß viele seiner ehemaligen Kollegen und Freunde der nationalsozialistischen Ideologie verfallen waren und sich an „Heim ins Reich“-Parolen begeisterten. 1936 faßte Waloschek deshalb den Entschluß, nach Südamerika auszuwandern, um in Zukunft mit „Politik, Religion und Rasse keine Probleme mehr zu haben“. Als Tourist, denn ein offizielles Einreisevisum war ihm verwehrt, reiste ernach Buenos Aires und begann, unterstützt vom befreundeten Architekten Willi Ludewig, mit dem erfolgreichen Aufbau einer neuen Existenz als selbständiger Architekt, wenngleich ihm die staatliche Zulassung noch auf lange Zeit vorenthalten bleiben sollte. Schon wenige Monate nach seiner Ankunft in Argentinien fühlte er sich finanziell in die Lage versetzt, seine Frau Grete und die beiden in Dresden geborenen Kinder Peter und Jutta nachkommen zu lassen. Mehr als zwei Jahrzehnte wirkte Waloschek als Architekt in Südamerika und verwirklichte die unterschiedlichsten Entwürfe. Es entstanden Fabrikgebäude, Chalets, Luxusvillen, Rathäuser, Siedlungen, Kinos und Kirchen - bis er 1959 nach Europa zurückkehrte, um bis zur Pensionierung für die in Hamburg ansässige „Neue Heimat“, der GEWOG-Nachfolgegesellschaft, vorwiegend wiederum in Lateinamerika tätig zu werden. Die Stätte seines Wirkens in Dresden, die Trachauer Siedlung, hater nicht wieder aufgesucht. Am 28. Oktober 1985 ist Hans Waloschek in Wien gestorben. Mit Hingabe und Intensität suchte Karl-Heinz Löwel nach weiteren Fakten, die Leben und Werk Hans Waloscheks vollständiger hätten dokumentieren können, und er stieß in Hamburg auf den Physiker Peter Waloschek, den Sohn des Architekten, und konnte ihn veranlassen, gemeinsam mit der in Wien lebenden Schwester einen Lebensabriß des Vaters aufzuzeichnen. „Das Internet ermöglichte einen intensiven Gedanken- und Meinungsaustausch, und bald war der Gedanke geboren, den von den Nazis vertriebenen und geächteten Architekten und aufrechten Demokraten zu ehren.“ Anläßlich seines 100. Geburtstages, am 13. Juli 1999, organisierte der Trachauer Bürgerverein „Hans-Richter-Siedlung“ eine würdige Ehrung des Architekten, die durch die Ausstellung seiner Tochter, der Malerin und Textilgestalterin Jutta Waloschek eindrucksvoll eröffnet und durch informative Fachvorträge von Peter Waloschek, Karl-Heinz Löwel und Horst R. Rein zu Leben und Wirken Waloscheks in Dresden fortgesetzt wurde. Und seither trägt auch ein schmaler Weg inmitten der von ihm geschaffenen Wohnanlage, zwischen frisch renovierten Mietshäusern und Vorgärten seinen Namen. Zur Ausstellung ist im Juli 1999 eine reich bebilderte Beilage der „Trachauer Bürgerzeitung“ Nr. 61 mit einem Aufsatz „Wer war der Architekt Hans Waloschek?“ von Jutta und Peter Waloschek erschienen. Dieser Beilage sind auch alle Zitate entnommen. 65