OCR
sam unbeholfenen Art zu spielen, als verstehe sich das ganz von selbst. Freilich, es entging mir nicht, daß er müde geworden war. Das war mir, offen gestanden, durchaus nicht unangenehm. Ich glaubte auch sonst keine schlechten Chancen zu haben, oder richtiger gesagt, ich war felsenfest davon überzeugt, daß ich die Partie gewinnen würde. Wir spielten um dreizehn Mark, keinen Pfennig drunter oder drüber, und damit hatte es seine Bewandtnis. Erst wollte ich den Einsatz nur verdoppelt haben, dann aber schlug ich noch eine Mark hinzu; Meschelke hatte nichts dagegen. „Gewinne ich, so bekomme ich nicht nur das Geld zurück, sondern trage noch eine bare Mark in der Tasche mit nach Hause. Eine Mark, das ist nicht viel. Stecke zwar in einer Geldklemme, doch eine Mark ist nur ein Tropfen auf heißem Stein. Ganz egal, ohne diese Mark ist mein Leben nicht mehr lebenswert ...“ So überlegte ich mit eisiger Ruhe, während mir ein Fieberschauer über die Haut lief. Allerdings verhehlte ich nicht, daß irgend etwas Außergewöhnliches geschehen müsse ... Ich spielte womöglich noch niederträchtiger als zuvor, war während der ganzen Nacht kein einziges Mal richtig in Stoß gekommen und immer noch andauernd miserabel disponiert. Da verfiel ich auf einen absonderlichen Gedanken. Hier muß ich ein Geständnis machen. Man wird überrascht sein. Von einem Menschen, wie ich einer bin, würde sogar ich selbst es am allerwenigsten erwarten; dennoch ist es die reine Wahrheit. Denn wenn auch mein Verhältnis zu einer gewissen sehr hochstehenden Persönlichkeit nicht gerade freundschaftlich zu nennen ist, (ich kann mir, nebenbei bemerkt, jenen Höheren überhaupt nicht mehr anders vorstellen als in der Gestalt des alten Zagelow) ... trotz alledem, es kommt schon vor, daß mein verhärtetes Gemüt sich erweicht, aber nur, wenn die Situation es unbedingt erfordert. Dann sage ich mein Sprüchlein her, schicke gewissermaßen ein Stoßgebet zum gütigen Himmel, der mir, wie ich versichern kann, regelmäßig darauf hereinfällt. Ich mache mir sogar oft den harmlosen Spaß, unmittelbar vorher allerlei Gotteslästerungen zu begehen. Dann trage ich meine Bitte vor, gelobe Besserung und bereue aufrichtigen Herzens die Sünde; ich beschwöre es: vollkommen aufrichtigen Herzens. Es bleibt Ihm nach den Statuten nichts anderes übrig, als mir, dem reuigen Sünder, zu vergeben und obendrein noch meine Bitte zu erfüllen. Das wiederholt sich von Fall zu Fall. Aber Seine Langmut ist unerschöpflich, wie allgemein bekannt sein dürfte. Da nun das wichtigste meiner kleinen Geheimnisse verraten ist, so will ich auch weiter offen sein. Diesmal war ich so verängstigt, daß ich selbst der berühmten Langmut mißtraute. Wollte also ohne alle Faxen gleich inständigst zu bitten anheben, doch wie glühend mir auch der Durst nach Gebet den Atem stocken ließ - ich konnte durchaus den rechten Ton nicht finden. Ich blieb ironisch und gehässig wider ihn gestimmt. Die Macht der Gewohnheit! „Man muß ihm ein Schnippchen schlagen“, so kicherte ich in mich hinein. Weiß der Kuckuck, ich dachte dabei zur Vorsicht weniger an Ihn als an den alten Zagelow. „Ist das ein verfluchter Kerl, ein dürres, gefräßiges Männchen, hat Zeit seines Lebens an der Börse spekuliert und scharrt immer noch mitleidslos das Geld zusammen! Das wär ein ganz wollüstiges Vergnügen, könnte man ihn so bei günstiger Gelegenheit mal gehörig übers Ohr haun. Wer mir dazu verhilft, dem zahl ich einen Schnaps!“ ... Vor giftigem Haß war mir die Kehle wie zugeschnürt, ich wollte jedenfalls meine sündige Natur noch rasch in ihrer ganzen Gemeinheit präsentieren, bevor ich ... Ich erstickte beinahe vor Wut. „Mein Vater, hilf mir“, murmelte ich bereits, „laß mich um Jesu Christi willen nicht im Stich! Du weißt, wie viel er gelitten hat, um auch mich zu erlösen. Du allein siehst meine Qual, hilf mir, rette mich“, murmelte ich voller Inbrunst, „gib mir Kraft! Laß Kraft und Wohlgefühl durch meine Adern strömen, Du verstehst und erhörst mich, mein Vater. Ich brauche mich vor Dir ja nicht zu genieren, ich bitte Dich, laß mich die Partie gewinnen, ja, gewinnen, gewinnen ...!“ Meine Lippen bewegten sich in religiöser Ekstase, die durch das scheinbar Alltägliche und Nüchterne, ja fast Lächerliche meiner Bitte noch gesteigert wurde. „Ich habe Dich gekränkt, vergib! Ich mache so meine zweifelhaften Späßchen und ich, armseliger Narr, rede mir sogar ein, ich könnte Dich betrügen. Aber es ergeht mir wie Bileam, der fluchen wollte und segnen mußte. Genau so ergeht es mir. Wie wäre es anders möglich, wie könnte ich mich vor Dir verstellen, da Du doch in die geheimsten Falten meines Herzens siehst. Je nun, Du weißt, daß ich Dich liebe, wahrhaftiger, zärtlicher, kindlicher, als Dich die Pharisäer lieben, die Sonntag für Sonntag in der Kirche vor Dir knien.“ Ich war merkwürdig bewegt, und fast hätte ich laut aufgeschluchzt. Nichtsdestoweniger beobachtete ich mich selbst mit argwöhnischer Aufmerksamkeit; aber mein Gemüt, so schien es mir, war rein. „Rette und erlöse mich, laß mich in Stoß kommen, diese letzte Partie gewinnen!“ murmelte ich flehentlich und wäre, von meiner Demut überwältigt, zweifellos ins Knie gesunken, wenn nicht Meschelke, unerwartet genug, einen Ball verfehlt hätte. Die Reihe war an mir. Es machte sich sogleich eine kleine Besserung bemerkbar. So ein Sprüchlein hatte noch stets seine beruhigende Wirkung auf mich ausgeübt. Mir war so leicht und zuversichtlich ums Herz, nur hütete ich mich, irgendeinen Gedanken zu fassen, hätte mir doch eine voreilige Lästerung alles wieder verscherzen können. Ich dachte krampfhaft an nichts und spielte gar nicht schlecht; zwar lange nicht so gut wie sonst, doch immerhin ganz leidlich. Der Bann war gebrochen. Meschelke schien, wie gesagt, etwas abgespannt zu sein, doch er spielte noch immer mit ziemlicher Sicherheit. Wir hielten uns auf gleicher Höhe. Ich gab mir die denkbar größte Mühe, einen Vorsprung zu gewinnen, doch ich schaffte es nicht. Zwar war ich immer etwas voraus, aber er folgte mir dicht auf den Fersen, offenbar ohne sich auch nur im geringsten anzustrengen ... Plötzlich kam mir der Einfall, nach der Uhr zu sehen. Es war gegen vier. Der Billardsaal war wie ausgestorben und rings um uns herum in Dunkel gehüllt. Nur die Lampe, die abgeblendet über unserem Billard hing, beleuchtete darüber hinaus noch einen kleinen Kreis. — Eine junge Magd tauchte auf, ein Tuch um den Kopf, der erste Mensch des neuen Tages. Verschlafen und teilnahmslos machte sie sich mit Gepolter daran, die Stühle auf die Tische zu stellen; dann streute sie Kaffeesatz aus und fegte den Boden. Gustav erwachte, rieb sich die Augen und starrte eine Weile trüb vor sich hin; bald aber wurde er munter und verfolgte unser Spiel anscheinend mit großer Aufmerksamkeit. Keiner von uns sprach ein Wort. Nichtsdestoweniger war zwischen Meschelke und mir ein zäher Kampf entbrannt; das heißt, der Kampf wurde eigentlich nur von meiner Seite geführt. Meine Müdigkeit war ganz verflogen, ich riß mich energisch zusammen und spielte drauf los ... hatte auch immer einen kleinen Vorsprung, doch es handelte sich eben nur um wenige Points. Es gelang mir nicht, einen entscheidenden Vorteil zu erringen. Er kroch mir nach, saß mir im Nacken, dabei erweckte er den Eindruck, als ginge ihn die ganze Sache überhaupt nichts mehr an. Er war wohl schläfrig und spielte ziemlich nachlässig. Mein Vorsprung aber wurde nicht größer. „Nun, wenn es so bleibt, dann komme ich immerhin als Erster ans Ziel“, dachte ich.