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Josef, oder er nahm ein Buch von den Regalen, um sich die Zeit bis zum Abendbrot zu vertreiben. Ihm, dem schon fast Erwachsenen, dem eine große Zukunft als Pianist vorausgesagt wurde, Konnte Michael nicht mehr bieten als den - für einen von früher Kindheit an Blinden nicht sehr bedeutsamen — Vorteil seiner zwei Augen und, vielleicht, die schmeichelhafte Wärme seiner stummen Ergebenheit. Für Michael jedoch war dies eine, nicht einmal tägliche, Stunde von unschätzbarem Wert, denn durch sie gewann er eine Ahnung vom Wesen der Kunst, und zwar — und das ist das Entscheidende — nicht, wie sie sich den meisten Menschen eher beiläufig und zufällig präsentiert: als fertiges Werk, als Objekt, dessen man sich je nach Gutdünken bedienen kann, sondern als Lebensinhalt, als ein fortdauernder und den Menschen bestimmender Prozeß. Dr. Siegfried Altmann (1887 — 1963) - Leiter des Israelitischen Blindeninstituts in Wien Siegfried Altmann stammte aus Nikolsburg, arbeitete seit 1909 am Israelitischen Blindeninstitut auf der Hohen Warte und wurde 1922 als Nachfolger von Simon Heller dessen Direktor. Er gründete weiters das Heim für blinde Mädchen „Providentia‘ in der Darwingasse 5, wie vor kurzem auch Herbert Exenberger in einem Vortrag im Jüdischen Institut für Erwachsenenbildung ausführte. Altmann war auch Gründer der Zeitschrift „Archiv für das Blindenwesen“, bis 1934 Konsulent der Stadt Wien für die Blindenfürsorge und Präsident des Weltrates für Erziehung von Blinden. 1938 emigrierte er mit Hilfe eines Affidavits von Helen Keller nach New York. Die Zeitschrift „Outlook for the Blind“ schrieb im Dezember 1938: „A great man is having to witness the destruction of his work ... And now this man must leave all — his school, his office in the city hall, his blind and seeing friends. Even worse, he has to see that all was in vain, a lost battle for the sake of humanity.“ 1943-63 leitete er in New York das Austrian Institute for Science, Art and Economy. Er war der Chairman des ,,Austrian Jewish Representative Committee within the World Yewish Congress“ und besuchte im Sommer ° 1946 zusammen mit Ernest Stiassny als offizielle Delegierte des World Yewish Congress die Israelitische Kultusgemeinde in Wien, um in Verhandlungen mit der österreichischen Regierung den „Status quo 11. März 1938" zu erreichen. Altmanns einziger Sohn Gideon wanderte 1938 nach Palästina aus. Seine Fragment gebliebenen Erinnerungen an seine Jugend erschienen vor kurzem in dem Buch: Albert Lichtblau (Hg.): Als hätten wir dazugehört. Österreichisch-jüdische Lebensgeschichten aus der Habsburgermonarchie. Wien: Böhlau 1999, 305-314. E.A. Dora Müller Der Brünner Lyriker Karl Kreisler - wie ich ihn kannte Karl Kreisler wurde am 29. November 1882 in Wien geboren. Nach dem Studium der Germanistik und Altphilologie in seiner Vaterstadt wirkte er zunächst kurze Zeit als Mittelschulprofessor in Kremsier (Kromeriz) und kam 1909 an das humanistische Gymnasium (das spätere deutsche Masaryk-Gymnasium) in Brünn. Hier wohnte er anfangs in der Falkensteinergasse (heute Gork£ho) Nr. 46 und später Augustinergasse (heute Jaselskä) Nr. 25. Neben seiner pädagogischen Tätigkeit war er auch Theaterreferent, Mitarbeiter zahlreicher Brünner und Prager Zeitungen und Zeitschriften sowie der Deutschen Sendung des Brünner Rundfunks. Gleichzeitig war er schriftstellerisch tätig. Allgemein geschätzt und beliebt, prägte er volle dreißig Jahre das deutsche demokratische Kulturleben in Mährens Hauptstadt. Bis zum Einmarsch der deutschen Truppen 1939. Dann mußte er aus „rassischen Gründen“ seinen Dienst quittieren, er kam ins Konzentrationslager Theresienstadt, wo er 1942 starb. Kreisler unterrichtete am Gymnasium die Fächer Deutsch, Latein und den Freigegenstand Stenographie. Von 1930 bis 1938 war er auch mein Lehrer. Mein Interesse an Literatur, Theater und der Antike verdanke ich in erster Linie ihm, auch wenn meine weiteren Studien später in andere Richtung gingen. Er, wie auch seine Gattin, die bekannte Kinderärztin Dr. Hedwig Kreisler, waren mit meinen Eltern befreundet. Sein Sohn Kurt war „fast‘ mein Mitschüler. D. h., er besuchte die Parallelklasse, da ihn sein Vater tunlichst nicht unterrichten sollte. Aber verschiedene Gegenstände besuchten wir auch gemeinsam. Mit einem Wort, unsere Familien hatten enge Kontakte. Vor mehreren Jahren wandte ich mich an Frau Lydie Kreisler, die Witwe seines frühverstorbenen Sohnes. Sie gewährte mir unter anderem Einblick in die Briefe aus dem Besitz ihres Schwiegervaters, den sie nie gekannt hatte. Was las ich da für Namen! Eine längst dahingeschwundene Welt tat sich vor mir auf. Unter den Schreibern: Max Brod, Arthur Schnitzler, Egon Friedell, Fritz von Unruh, Hans Albers, Lil Dagover, Emil Jannings, Maria Stona, Friedrich Torberg, Ernst Kfenek, Hermann Thiemig, Robert Stolz, Hermann Hesse, Hans Müller, Luis Trenker, Oskar Jellinek, Albert Bassermann u.v.a. Nobelpreisträger, Schriftsteller, Musiker, Schauspieler. Viele von ihnen gehörten im Laufe der Jahre zu den Geschmähten und Verfolgten des Hitlerregimes, hatten Schreibverbot, mußten die Heimat verlassen, wählten den Freitod. Schließlich hielt ich einen Brief in der Hand, den Kreisler sicher ganz besonders schätzte: Von Thomas Mann. Ehe ich den Brief zurückgab, habe ich ihn photographiert. Die Technik des Photokopierens war damals bei uns noch nicht verbreitet. Der Brief ist schwer lesbar. Etwas habe ich entziffert: München 20. 11. 1926 Sehr geehrter Herr Dr. Kreisler! Von Herzen danke ich für Ihren schönen Beitrag. Ihre Aufmerksamkeit erinnert mich an unsere Begegnung in Brünn und an Ihre Geburtstagsüberraschung, die mir eine Sympathie bekundete, die ich vollkommen erwidere. Ihre Lyrik ist klar und lauter, voll Innigkeit und Melodie. Ich liebe das Rationalistische sehr, denn es entwickelt ...