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... Widmungszeile: „Klinge Seele, geheimen Laut.“ Ihr sehr ergebener Thomas Mann Was Thomas Mann mit seiner zitierten Widmungszeile am Ende des Briefes an Kreisler meinte, habe ich nicht herausbekommen. Aber das Gedicht, auf das sie sich bezieht, fand ich in Kreislers Sammlung ,,Trunkenheit und Stille“: Widmung auf ein Buch Klinge Seele, geheimen Laut... Wie die still erschauernde Braut tritt zum heiligen Hochaltar, sink ins Ewige tief und klar! Und Manns anerkennende Worte, „Ihre Lyrik ist klar und lauter, voll Innigkeit und Melodie“, hat Kreisler seinem 1938 im Wiener Saturn-Verlag herausgegebenen Gedichtband „Beseelte Welt“ vorangesetzt. Kreisler war vor allem Lyriker. Seine Werke sind zum Großteil in Buchform herausgekommen und befinden sich in der Mährischen Landesbibliothek in Brünn. Hier die Titel einiger seiner Bücher: „Junge Liebe“, „Beseelte Welt“, „Trunkenheit und Stille“; weiters der Brünner Gesellschaftsroman aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg „Die ewige Liebe der Frau Lilly Schwarz“. Kreisler, der Goethe-Verehrer und Goethe-Kenner offenbart sich uns auch mit seiner Einführung zu Goethes Liedern und Gedichten und in einem Aufsatz „Goethes Beziehungen zu Böhmen“. In einer historischen Studie befaßte sich Kreisler mit dem aus Prag stammenden Rainer Maria Rilke, einem der bedeutendsten europäischen Lyriker, dem er auch einen Vierzeiler widmete. Derartige kurze Gedichte verfaßte er auch an weitere Personen wie Frank Wedekind, aber auch an bereits Verstorbene wie Immanuel Kant sowie an verschiedene Figuren aus Gerhart Hauptmanns Dramen, wie Hannele, Der arme Heinrich, Fuhrmann Henschel oder Und Pipa tanzt. Z. B. Hannele: Armes Kind, du hast nicht viel verloren. Leben ist nur Schmerz und Nichtigkeit... Doch aus deinem tiefen Erdenleid wird die Menschenliebe neu geboren. Der arme Heinrich: Ritter, der die Seuche überwand, Gnade wird dem Leidenden gegeben, denn durch Not in göttlich reines Leben leitet liebend uns des Weibes Hand. Im Jahre 1922 veröffentlichte Kreisler in der Deutschen Gesellschaft für Wissenschaft und Kunst in Brünn eine Schrift unter dem Titel „Hieronymus Lorm, Schicksal und Werk“, worin er sich eingehend mit dem aus Nikolsburg stammenden und auf dem Brünner jüdischen Friedhof ruhenden Dichter, Schriftsteller und Philosophen Hieronymus Lorm, der eigentlich Hieronymus Landesmann hieß, befaßte. Als Kenner der Antike verfaßte Kreisler einen höchst bemerkenswerten Catilina-Roman, den Roman eines Verschwörers. Mich fesselte das Buch nicht zuletzt deshalb, weil ich anläßlich eines längeren Romaufenthaltes, auch 2000 Jahre nach Catilina, den Spuren seiner Streifzüge durch die Stadt folgen konnte. Wie Kreisler selbst bekennt, waltet in dem Zeitbild die dichterische Einbildungskraft frei, aber er versuchte, die wi10 derstreitenden Elemente im Charakter einer starken Persönlichkeit, wie es Catilina war, zur Einheit zusammenzufassen. Catilina war in seinem Charakter ein Kind seiner entarteten Zeit, nicht anders als Sulla, Caesar und Pompeius. Sein soziales Gewissen war jedoch stärker. Hätte er mit seinem Vorhaben Glück gehabt, wäre er, wie Kreisler meint, der Nachwelt nicht minder groß erschienen wie jene. Kreisler beschäftigte sich ferner auch mit dem Ifiez de Castro-Stoff im romanischen und germanischen, insbesondere deutschen Drama. Mit Ihez, der schönen kastilischen Hofdame, mit der sich der spanische Infant heimlich vermählte, und die dessen Vater hinterrücks ermorden ließ. Seine Verbundenheit mit Mähren drückt er in dem Gedicht „Südmährische Heimat“ aus. Von weiteren Werken Kreislers sind noch zu nennen die Novelle „Leidenschaft und Tod“, das Drama ,,Savitri, ein altes Spiel von Tod und Treue in einem Rahmen“. 1923. Die Lustspiele: Psychoanalyse (1927), „Gefühl mit fünf Buchstaben“ 1928, und Balladen: z.B. Godiva. Zum Schluß noch einige persönliche Erinnerungen. Wie schon erwähnt, war Kreisler auch Mitarbeiter der deutschen Sendungen des Brünner Rundfunks. Damals gab es nur LiveSendungen. D. h., er begab sich in den Nachmittagsstunden, gewöhnlich nach dem unobligaten Stenographie-Unterricht, ins Rundfunkstudio in der Kaunitzstraße. Das wußten wir natürlich und eilten alle heim, beziehungsweise zu denjenigen Mitschülern, deren Eltern damals schon ein Radio besaßen, um den Worten unseres Lehrers über die Ätherwellen zu lauschen. Worüber er sprach, weiß ich heute nicht mehr. Aber ich erinnere mich genau, daß Kreisler, der kein Spaßverderber war, uns durch den Äther vorher abgemachte Grüße sandte, etwa durch ein kaum vernehmbares Räuspern an einer bestimmten Stelle. Zu Beginn der 1930er Jahre brachte unser Gesangsprofesland. Eine damals in Brünn unbekannte Blockflöte. Dieses uralte Instrument war in den letzten 200 Jahren weithin in Vergessenheit geraten und eben erst wiederentdeckt worden. Für mehrere Interessenten aus dem Schülerkreis wurden solche Flöten bestellt und an der Schule ein Blockflötenkurs eingerichtet, der erste in der Tschechoslowakei. An diesem Kurs nahmen nicht nur Schüler, sondern zu unserem großen Gaudium auch ein Professor teil, und zwar Karl Kreisler. Das Spiel auf der Flöte bereitete ihm sichtliches Vergnügen, und er widmete ihr sogar ein Gedicht: An die Flöte O süßer Ton, in dem der Abend glänzt, vom Tau des Walds und Blüten leicht bekränzt. In dem die Liebe zart zum Himmel singt und weißer Engellaut verhallend schwingt. Wo Kinderunschuld lächelt still und rein, und Sehnsucht dunkel fließt wie schwerer Wein. Ich will dich blasen, Flöte, wenn ich weit verträume mich in blaue Ewigkeit.