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Ingrid Moroder Oskar Jellinek zum 50. Todestag Vor 50 Jahren, am 12. Oktober 1949, starb der mährisch-jüdische Schriftsteller Oskar Jellinek im amerikanischen Exil. Die offizielle Todesursache war ein Magentumor, eigentlich starb Oskar Jellinek aber an Heimweh nach Österreich, dem Land, das ihn 1939 vertrieben hatte, weil er Jude war. Sein Schicksal ist exemplarisch für all jene, deren künstlerische Karriere und Leben vom Nationalsozialismus zerstört wurden. Jellineks letzte Lebensjahre sind gekennzeichnet von Bitterkeit und Verzweiflung und dem traurigen Bewußtsein der Unmöglichkeit, seine geliebte Heimat jemals wiederzusehen. Geboren wurde Oskar Jellinek am 22.1. 1886 in Brünn. Sein Vater, Edmund Jellinek, war Textilkaufmann und Brünner Gemeinderat. Über ihn schrieb Jellinek in seinen autobiographischen Skizzen, daß er musisch empfindsam, menschen- und lebensfreundlich gewesen sei. Über die Mutter Leontine Bachrich berichtete er: Sie trachtete stets ihr Gefühl für feine Sitte, für formale Schulung und Bildung auf uns Kinder zu übertragen. Weder sie noch mein Vater stellten je die Wichtigkeit des Materiellen in den Vordergrund, erstaunlich genug für das Haus eines Kaufmannes und Industriellen, immer hoben sie die Bedeutung geistigen Gutes und den Wert der Bildung hervor." Nach dem Abitur am Ersten Deutschen Staatsgymnasium in Brünn absolvierte Jellinek das Studium der Rechtswissenschaften in Wien, der Stadt, nach der, wie Oskar Jellinek selbst sagte, der Kulturblick der deutschen Bevölkerung Brünns gerichtet war, und auf die sich auch seine Sehnsucht, entzündet durch die begeisterten Erzählungen seines Vaters, richtete.? Seine Liebe zum Theater und besonders zu den großen Schauspielern des Burgtheaters gibt er in seinem ersten Buch „Das Burgtheater eines Zwanzigjährigen“ Ausdruck. Er wird ein glühender Verehrer von Karl Kraus, in dessen Zeitschrift „Die Fackel“ auch eines seiner Gedichte? erscheint. Auf diese Zeit gehen auch seine ersten, erfolglosen Versuche, Theaterstücke zu schreiben, zurück. Nach Abschluß des Studiums arbeitet Oskar Jellinek zunächst als Richter am Brünner Landesgericht, leistet sodann seinen Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger und ist in der Folgezeit bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs am Wiener Landesgericht tätig. 1917 heiratet er Hedwig Müller, die Inhaberin eines Modesalons in Wien ist.* Aus Gewissensgriinden und um sich ganz seiner literarischen Tätigkeit widmen zu können, gibt er 1919 das Richteramt auf. Der literarische Durchbruch ans Licht der Öffentlichkeit erfolgt 1925, als der Dichter schon auf die 40 zugeht: mit der Novelle Der Bauernrichter gewinnt er unter 2763 Einsendungen den ersten Preis des von der Zeitschrift Velhagen und Klasings Monatshefte ausgeschriebenen Wettbewerbs. In einem nicht rapiden aber regelmäßigen Rhythmus entstehen dann mehrere Novellen: Die Mutter der Neun (1926), Der Sohn (1928), Hankas Hochzeit und Valnocha, der Koch (1930), Die Seherin von Daroschitz (1933). Jellinek, der sozusagen über eine unglückliche Liebe zum Drama zur Erzählkunst gelangte°, bezeichnete sich selbst als ein in der Emigration der Novelle lebender Dramatiker, doch es zeigte sich, daß es ihm gerade in dieser erzählenden Form am besten gelang, sein literarisches Talent zu entfalteten. Oskar Jellineks psychologische Kriminalnovellen sind, abgesehen von ihrer sprachlichen Brillanz und der Klarheit des Aufbaus, vor allem wegen ihres außerordentlichen Einfühlungsvermögens, was die Seelenzustände der einzelnen Charaktere betrifft, bemerkenswert und erinnern in eigentümlicher Weise an Freuds Krankengeschichten. Auch der Einfluß seines Jusstudium und seiner Tätigkeit als Richter ist in Jellineks Novellen offensichtlich: Mord, Gewalt, Gericht, Recht und Unrecht, Schuld und Sühne sind immer wiederkehrende Themen. Den überscharfen Sinn des Dichters für Gerechtigkeit und den Drang, Ungerechtigkeiten aufzudecken und anzuprangern, erklärt Richard Thieberger wenigstens zum Teil durch die jüdische Tradition. „Bei Angehörigen eines seit Jahrtausenden verfolgten Volkes‘, schreibt Thieberger, „sind die Sinnesorgane zur Wahrnehmung jedweder Erscheinungsform der Verfolgung besonders geschärft - auch dann, wenn die Opfer anderen soziologischen Gruppen angehören. Daran haben Judenemanzipation und Assimilation kaum etwas geändert, jedenfalls nicht bei Oskar Jellinek.“© Und in der Tat sind die Menschen, die er gestaltet, auch die Mörder und Verbrecher, die zu Tätern gewordenen Opfer, Getriebene, vom Leben Benachteiligte, Bedrückte und Unterdrückte. Die bewußte Parteinahme für die Armen und Schwachen drückt Oskar Jellinek in seinem Gedicht „Bekenntnis“ aus: Was macht meine Seele dichterstark? Zwei Bettelkinder im Rathauspark, Ein Arbeitsloser in Simmering, Eine Mutter ohne Ehering. Ich liebe die Großen des Lebens nicht, Ihr Schicksal formt sich mir nicht zum Gedicht, Doch einer Näherin Untergang ' Kann werden mir zum Heldengesang. Was namenlos hin durch das Dasein wallt, Dem gebe ich Namen und geb ihm Gestalt: Der Verkiirzten und der Verstrickten Schrei Durchhallt meiner Dichtung Armenkanzlei. Wen schon die Geschichte hob aus der Nacht, Der bedarf nicht des Künstlers verkündende Macht — Ich präge wen Gott zu prägen vergaß, Ich bin der Historiker Valnochas. Mich selbst hat der Ruhm nur leise gestreift, Ich wandle im Schatten, der mich ergreift Mit meinen Geschöpfen in Reih und Glied Sing ich ihr klagendes Liebeslied. 11