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zerrt unter den, mit der riesigen Kreuzgroteske abgestempelten roten Leichentüchern. Und statt, wie einst meine Träume, spiegelte das nun gebrochene Auge der teuren Plätze und Gärten die Fratze ihres Mörders wider. Ausgestoßen lebte ich nur noch körperlich an der Stätte, aus der ich gestoßen war, und das bitterste Heimweh, war das in der Heimat selbst. Oskar Jellinek gehörte zu jenen 24 Schriftstellern des Österreichischen P.E.N.-Clubs, die eine Resolution gegen Hitlers Regime unterzeichnet hatten. Er mußte daher, mehr noch als andere, um sein Leben fürchten. Die Flucht in die Heimatstadt Brünn erschien Hedwig und Oskar Jellinek zunächst die nächstliegende Lösung. Es gelingt ihnen, die österreichische Grenze ohne Visum zu überqueren. In Brünn wird ihnen eine Aufenthaltserlaubnis für fünf Monate gewährt. Während dieser Zeit sieht Oskar Jellinek viele seiner Freunde zum letzten Mal: sie werden nach der Besetzung der Tschechoslowakei durch Hitler in verschiedene Konzentrationslager deportiert und ermordet. Durch Bekannte!! erhält das Ehepaar ein französisches Visum, das aber ungenutzt bleibt, weil Oskar und Hedwig der Abschied von der Heimat und besonders von der kranken Mutter so schwer fällt. Die Bemühungen um ein neues Visum für Frankreich erweisen sich als außerordentlich schwierig, aber schließlich gelingt es ihnen glücklicherweise doch noch, eines zu erhalten und nach Frankreich zu fliehen. Nach dreimonatigem Aufenthalt im Internierungslager Camp Villemalard erkämpfen sie sich ein Visum für die Vereinigten Staaten, und am 8. April 1940 kommen sie an Bord der Champlain in New York an. Auf der Schiffsreise nach Amerika schreibt Jellinek: Heute letzter Fahrtag. Wenn man jemals nach Österreich zurückkehren sollte, wohin könnte man sich begeben, ohne an das furchtbare Geschehnis der Diffamierung und Austreibung und an den teils tückischen, teils wahnwitzigen Verrat erinnert zu werden, den so viele Menschen an uns begangen haben, mit denen wir uns durch unsere Liebe zum Lande und zum Volke verbunden geglaubt hatten? Ich denke: nach Südtirol, das für mich immer schönstes, glühendstes Österreich geblieben ist und bleiben wird, und das durch die staatliche Abtrennnung von der Befleckung bewahrt wurde.'? Für Oskar Jellinek blieben das schreckliche Erlebnis der Verbannung aus seiner Heimat und das erzwungene Exil ein Trauma, das er bis zu seinem Lebensende nicht zu überwinden vermochte. Die Hoffnung auf eine Rückkehr nach Europa erfüllte sich nicht. Bis zum Sommer 1943 blieben er und seine Frau Hedwig in New York, um sich dann in Hollywood bei Los Angeles niederzulassen. Das Heimweh begleitete Oskar Jellinek alle Jahre des Exils hindurch und seine Tagebucheintragungen sind die traurige Dokumentation seines Schmerzes: Ein Baum wird entwurzelt und in einen vom Orte seines Blühens und Wachsens weit entfernten Geräte-Schuppen geworfen. Dort ist er vor Sturm und Wetter geschützt. Auch tritt niemand auf ihm herum. Doch nur bodenlose Dummheit könnte behaupten, es gehe ihm gut — wie den dort untergebrachten Geräten. (Tagebuch, 16.5. 1945) Oder: Oft fiihle ich jetzt, wenn ich einen Brief schreibe, das Verlangen, meine Feder in Tränen zu tauchen, wodurch zwar das Geschriebene unsichtbar würde, um so sichtbarer aber sein Sinn. (Tagebuch, 1.6. 1947) Anpassung im Exilland war für die meisten Emigranten, besonders aber für die Schreibenden, deren Werk mit ihrer Muttersprache eng verbunden war, schwierig. Damals schon anerkannte Persönlichkeiten, wie z.B. Thomas Mann, Lion Feuchtwanger oder Franz Werfel, hatten es leichter: sie konnten mit der Übersetzung ihrer Werke rechnen. Für unbekannte und nicht mehr ganz junge Schriftsteller war eine Umstellung schwieriger, wenn nicht unmöglich. Oskar Jellineks Schöpfungskraft und Karriere versiegten im Exil wie die vieler anderer: sie gingen in den ungünstigen Bedingungen, in die sie versetzt worden waren, unter. In einem Brief an Richard Thieberger schreibt Oskar Jellinek: Meine Macht- und Einflußlosigkeit dokumentiert sich reichlich auch in meinen Angelegenheiten. Des Wirkens in meiner Muttersprache beraubt, komme ich mir vor wie ein zum Tode Verurteilter ...'° Und eine weitere Tagebucheintragung lautet: Schritt für Schritt stoße ich (...) auf die tiefschmerzliche Grundtatsache, daß die Möglichkeit eines unmittelbaren Wirkens in meiner Muttersprache nur schmale Ausnahmen umfaßt — dies der Herzpunkt meiner Ausgestoßenheit! — so daß ich in einem fort stöhnen möchte. (Tagebucheintragung vom 10.6. 1940) Mit dieser existentiellen Sprachproblematik steht Oskar Jellinek keineswegs allein unter den Exilautoren. Sie ist, im Gegenteil, charakteristisch für die meisten von ihnen. Alfred Döblin drückt sie so aus: Wir, die sich mit Haut und Haaren der Sprache verschrieben hatten, was war mit uns? Mit denen, die ihre Sprache nicht loslassen wollten und konnten, weil sie wußten, daß Sprache nicht nur ‚Sprache‘ war, sondern Denken, Fühlen und vieles andere? Sich davon ablösen? Aber das heißt mehr, als sich die Haut abziehen, das heißt sich ausweiden, Selbstmord begehen. So blieb man wie man war — und war, obwohl man vegetierte, aß und trank und lachte, ein lebender Leichnam.'* Dieselbe Situation schildert der auch im Exil erfolgreiche Lion Feuchtwanger: „Dieses Sicheinschließen in die tote Vergangenheit, dieses Sichabsperren von allem wirklichen Leben ringsum, diese stolze Absonderung vermindert die Kraft der Dichter, macht sie trocken, dörtt sie aus...“!5 Für Oskar Jellinek ist das Erlebnis der Emigration ein „Ertötnis”!° und das Vorhandensein jenes „leeren Raumes so erschreckend, daß er es gar nicht über sich brachte, hineinzusprechen“! 7, Und obwohl ihm sein neuer Wohnoıt eigentlich gefällt und er Kalifornien sogar als das „schönste Exilsland“ der Welt bezeichnet, wäre „Exilsland“ nicht die „bitterste contradictio in adjecto der Welt“ (Brief an Otto Basil 9.11. 1948), gelingt es ihm nicht, sich in der neuen Welt heimisch und wohl zu fühlen. Er liest amerikanische Zeitungen und Bücher, wird selbst amerikanischer Staatsbürger, doch am 8.8. 1947 schreibt er: ... Aber ich wage nicht, mich hier so stark zu verfestigen und etwas als mein Zuhause zu erklären, was nicht mein Zuhause ist. Wo aber ist es? Eine Reihe familiärer und praktischer Gründe machen eine Übersiedlung nach Europa - das heißt: Österreich, Südtirol, Raach oder Ähnliches - jetzt nicht möglich. Ich mag auch nicht ohne ein neues Werk hinüber gehen. Hedwig schreckt überdies vor den Gespenstern der Ermordeten zurück - und auch ich weiß, daß ein Leben dort nur an den Abgründen der Erinnerung ausgerichtet werden könnte. Zu alledem kommen auch noch die materiellen Schwierigkeiten des Alltagslebens. Hedwig Jellinek'®, die ehemalige Modeschöpferin, sieht sich gezwungen, eine Arbeit als Näherin in einer Hemdenfabrik anzunehmen. Trotz der widrigen Umstände verstummt Oskar Jellineks dichterische Stimme nicht ganz. 13