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wa Geld aus dem Staatsschatz zum Ausbau des Circus Maximus zur Verfügung gestellt? Dort wo Hunderte von Quiriten zuschauen. Wozu braucht man Theaterszenen in den Tavernen, wenn doch der Circus Maximus allen offen steht?“ „S0... So... Wenn jemand von der Norm abweicht, fällt Cicero für sich den Entschluß, ihn wie einen Aussätzigen zu behandeln.“ Lukrez leert seinen Becher und wirft die zerteilten Granatäpfel in die Luft und fängt sie wieder auf. Der rote Saft der Früchte färbt seine Handfläche. „Heute redet man viel über Catilinas Jugend. Aber vor fünfzehn Jahren, zur Zeit von Lepidus, behauptete man, daß er verrückt sei. Die Tabernakel, über die du, Ciceron, und du, Pompejus, so abfällig redet, helfen vielleicht den Kindern aus den Müllgruben unserer Stadt herauszukommen...“ „Du hast leider deinen erhabenen Stil abgelegt...“ „Ich schätze dich, Lukrez.“ Pompejus blickte Cicero an. „Schätze dich als besten Dichter der Stadt. Marcus Tullius hat es ganz richtig erkannt. Du hast deinen erhabenen Stil vergessen... wenn du die Straßen Roms mit einer stinkenden Müllgrube vergleichst...“ „Ich ziehe keinen Vergleich.“ Lukrez schmeißt den halbierten Granatapfel auf den Tisch. „Pompejus, ich habe Kinder in Müllgruben gesehen! Das hat nichts mehr mit erhabenem Stil zu tun! Cicero, ich habe gesehen, wie ein Kind... Ich habe Kinder in den Müllgruben des Palatins gesehen, die mit einen Stab verfaulte Früchte aufspießten, stinkende Brühe lief über ihre nackten Rücken...‘ Lukrez betrachtet seine Finger, von denen der Granatapfelsatz tropft. „Sie schienen ganz zufrieden... waren sogar fröhlich... achten. Ich bekam Angst... Cicero, wenn du mich schon einlädtst, dann sorg auch dafür, daß genug Wein da ist.“ Cicero erwidert, nachdem er Lukrez ausführlich gemustert hat: „Laut Beschluß des Senats sollen alle Müllgruben der Stadt gesäubert werden. Jeder soll seinen Teil zur Verschönerung und zur Sauberkeit Roms beitragen. Pompejus, ich glaube Lukrez hatte einfach zu viel getrunken. Auf dem zentralen Hügel Roms, dem Palatin, haben Wachleute schon lange für Ordnung gesorgt... sie haben alles darangesetzt, die Bälger von den ärgerniserregenden Plätzen zu vertreiben... Aus der ganzen Welt kommen jetzt Leute nach Rom. So etwas würde hier nicht mehr-vorkommen...“ Ärgerlich blickt er Lukrez an und fügt hinzu: „Und wir werden... wir werden diese Ordnung aufrechterhalten!“ Lukrez sagte geschwollen: „Der lang ersehnte Moment ohne Krieg für alle, wir brauchen ihn, um Kinder zu zeugen!“ „Pompejus! Wir sollten auf unseren Lukrez trinken.“ Auf Ciceros Gesicht zeigt sich ein Lächeln. „Wir brauchen ihn... Nein, sein Stil ist doch nicht trübe geworden. Lukrez wird für unseren Staat noch nützlich sein... Glaube mir, Pompejus, wären da nicht Catilinas Übeltaten und die der adeligen Jugend, die man neuerdings Catilinianer nennt, würde ich mich wie Lukrez ganz und gar der Kunst widmen und nur zu Apollo beten. Ich habe schlecht geschlafen... Ich kann fast gar nicht mehr schlafen...“ „Kein Wunder“, bemerkte Lukrez ironisch. „Du machst dir zu viele Sorgen...“ „Du hast ja recht... Recht hast du, Lukrez. und was meinst du, Haruspex? Was verheißt dein Orakel?“ Der Haruspex beendet die Wahrsagerei, spült sich die Hände im Becken ab. Geht auf Cicero zu. Blickt in die Runde. Mit dumpfer schnarrender Stimme unterbricht er die ermüdende Unterhaltung. „Du, Marcus Cicero, aus der Familie der Tullier wirst zum 22 Konsul gewählt werden. Deine Zeit in diesem Amt wird erfolgreich und glücklich für uns alle... Die göttlichen Protektoren werden dich in vielen Dingen begleiten. Bis an dein Ende wirst du in Reichtum und Ehre leben. Deine Enkel werden stolz auf dich sein. Zum Ruhm und Ehre der Familie der Tullier wirst du den Titel des Oberhauptes von Rom hinzufügen. Du bist auf dem richtigen Weg!“ Cicero lauscht den Worten des Haruspex mit halb geschlossenen Augen. „Dein Leben wird in die Annalen der gesamten römischen Geschichte eingehen. Nicht nur in unserer Zeit wirst du berühmt sein, sondern alle, die nach uns kommen, werden sich an dir ein Beispiel nehmen...“ Der Haruspex stockte. Irgendetwas, das er herausgefunden hatte, schien ihn zu quälen. Er fuhr fort: „Und wenn ich nicht schon damals Haruspex gewesen wäre, würde ich es heute noch einmal sagen: Dieser ist der einzige unter Roms Männern, der es würdig ist, der Erste der Ersten zu sein!“ Der schwarze Wolf zu Füßen des. Haruspex blickte Pompejus mit glühenden Augen an. „He, he...‘“, Pompejus wiegte den Kopf und schnippte mit dem Finger ein unsichtbares Stäubchen von seinem metallenen Schulterpanzer. „An deinem Aufzug, Pompejus“, Cicero lachte, „ist etwas, das meine Gedanken stört.“ Pompejus antwortete schnell: „Deine Gedanken kann man nicht stören!“ Lukrez stand mühsam vom Tisch auf und trat auf Cicero zu. Seine Augen waren mit Tränen gefüllt: „Wozu brauchst du mich?“ Cicero antwortete nicht auf diese Frage. „Wozu?“ „Meine Kleider! Ohne mich kann der Senat seine Sitzung nicht beginnen... Zum Senat! Schnell zum Senat!‘ Cicero lächelt Lukrez an. Lukrez wiederholt ganz leise: „Wozu ich dir?“ „Manchmal bist du komisch...“ Aus dem Russischen übersetzt von Eva Kirchheim Nachbemerkung des Autors: Der kleine zur Lektüre vorgeschlagene Ausschnitt aus dem historischen Roman „Der Silberadler“ wurde für die Machthaber der UdSSR zum großen Stolperstein. Das ganze Buch, meistens wegen solcher Nuancen, wurde in der UdSSR verboten und konnte 15 Jahre lang nicht veröffentlicht werden. Was war denn in diesem Fragment für die Parteiorgane so furchtbar? Aus einer der Rezensionen von damals: „Der Autor will die Erniedrigung der kulturschaffenden Intellektuellen in der UdSSR zeigen.“ Das Gespräch zwischen Cicero (in diesem Fall — Machthaber) und dem begabten Dichter Lukrez (Kulturschaffender) wurde von den Redaktionsorganen ideologisch wahrgenommen als ein Versuch des Autors (V. Nikolaevskij), das sowjetische Regime zu attackieren. „Der Autor spricht von den Müllgruben, als hätte er sonst keinen Stoff zu besprechen.“ Was aber mich persönlich betrifft, ich schreibe einfach die Geschichte der Vergangenheit, und natürlich entstand hier auch die Übertragbarkeit auf aktuelle Verhältnisse. Diese Übertragbarkeit wurde zum Grund, dieses — mein — Buch zu verbieten. Valerij Nikolaevskij, Wien, 19. Mai 1999